Seit 30 Jahren lebt der Schriftsteller Ludwig Fels, 1946 in Treuchtlingen, Bayern, geboren, in Wien. Für seine Prosa und Lyrik vielgelobt steht er trotzdem eher am Rande der Literaturszene.

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Wien – Deutsche Schande heißt das elfte Kapitel von Ludwig Felses Die Hottentottenwerft. Nach 320 Seiten ist der labile Scheinfriede zwischen den Deutschen und den "anderen" – "Welche anderen?" – "Die, die hier leben" – nun endgültig am Kippen. Die Illusionen sind dahin, "nichts bleibt". Fels hätte den ganzen Roman so nennen können, denn er erzählt von einem dunklen Abschnitt der deutschen Geschichte.

Und zugleich einem eher wenig beachteten, hat er doch nicht im engeren Sinn auf deutschem Boden stattgefunden, sondern in Deutsch-Südwestafrika. Von 1884 bis 1915 war dieses "Schutzgebiet", heute Namibia, Teil des Kaiserreichs. Neben Soldaten lockten Diamanten- und Kupferminen sowie die Aussicht auf Viehzucht auch Siedler an: junge Männer und Frauen, naiv und voll Hoffnung, die kamen, um sich eine einmonatige Überfahrt fern der Heimat ein Leben aufzubauen. Am Ende waren es knapp 15.000.

"Unten unterm Egwator"

Einer von ihnen ist Crispin Mohr. Er will ein paar Jahre als Reitersoldat dienen und sich dann eine eigene Farm kaufen. Doch ist es dort, wo man hinkommt, nicht immer so, wie, warum man hinwollte. Ganz unbekannt ist uns heute ja kein Flecken der Welt mehr. Ob tatsächlich oder virtuell.

Wie fremd war die Welt dagegen um 1900; wie viel dessen, was wir per Klick auf Google Maps auskundschaften können, war kaum dem Finger auf der Landkarte zugänglich, weil jene voll weißer Flecken war? "Hauptsache, Dir geht es gut, da unten unterm Egwator", wünscht ihm die mit dem trunksüchtigen Vater traurig zurückgebliebene Mutter. Gut geht es ihm aber nicht, gut geht es hier niemandem.

"Denk dir den Sand und das Meer weg, dann ist es wie daheim. Es gibt Bierhäuser, Weinhäuser, was willst du mehr?", scheint der erste anheimelnde Eindruck. Doch bald erkennt man sich um seine Hoffnungen betrogen von einem System, das von den Enttäuschten betrieben wird, die schon zu lang hier festsitzen: Es ist die Perspektive der traurigen Kolonisierer, aus der Ludwig Fels heraus beschreibt.

"Afrikanischer Dreck"

Obwohl mit christlichem Gedankengut präpariert, hängt die Moral tief, sind Alkohol, Vergewaltigungen und Gewalt die einzige Unterhaltung der Männer, für die der Sand in der spektakulär geschilderten Landschaft bald schlicht "afrikanischer Dreck" ist. Die wenigen mitgekommenen Frauen schreiben einander aus der Einsamkeit ihrer Leben und Farmen heraus Briefe mit Durchhalteparolen. Am schlechtesten jedoch geht es den Einheimischen, einen Schwarzen erschießt man leichteren Herzens als ein Kamel. Aber in letzter Zeit setzen sich die Unterdrückten häufiger zur Wehr.

1904 bis 1908 kostete der Aufstand der Herero gegen die Besatzer mehrere zehntausend afrikanische Leben. Am Anfang dieser Spanne spielt der Roman, der sich vor allem "der Fantasie des Autors verdankt", aber "trotzdem im weitesten Sinn von der Wahrheit und ihren Folgen handelt". Den Stamm der Kiphkhas hat Fels jedenfalls erfunden, auch sonst liegt sein Interesse (sicherheitshalber?) mehr auf den Auswanderern – denn als weißer Europäer einen Kolonialroman zu schreiben kann eingedenk aller möglichen Vorwürfe à la Eurozentrismus etc. schon zum Wagnis werden.

Der Mohr, der nach Afrika fährt

Es ist ein Zwinkern, den Deutschen, der nach Afrika fährt, Mohr zu nennen – aber auch ein Zeichen, denn Crispin hegt wirklich Sympathie für die Gegend und die Menschen. Deshalb findet er auch echten Gefallen an der schönen Hulette, Enkelin des Stammesführers Ximenz. Sie und ihr Schicksal als Faustpfand treiben ihn, halten ihn aufrecht bis zum Ende.

Einen gewaltigen Roman über Sehnsucht, Stolz und das Drama einer Liebe ohne Zukunft "verspricht" der Klappentext. So melodramatisch wird es Gott sei Dank nicht! Fels erzählt das alles kunstvoll. Rhythmisch und reich, dabei trotzdem unprätentiös passt sich seine Sprache in den Fortgang der Handlung ein, die er uns in Hinsicht auf Crispin und seine Kumpanen in detailfreudigen Schilderungen ausbreitet.

Bleibt ein wenig die Frage offen, ob diese eine Seite ohne die andere (holzschnitthaft bloß ist die Erfindung der Khipkhas) ausreichend betrachtet werden kann, insbesondere wenn sie doch so konkret auf ein problematisches historisches Setting anspielt. Und ob jenes sonst nicht Gefahr läuft, teils als exotistische Folie (miss-)verstanden zu werden für eine doch imposante Geschichte von Gewalt und Unterdrückung. (Michael Wurmitzer, 16.12.2015)