An unwirtliche Küsten in Nordirland führt Nicole Wenigers "The Unknown".

Foto: Nicole Weniger

Villach – Man kommt in der Galerie Freihausgasse derzeit aus dem Staunen kaum heraus. Singende Stoffe, Damenhosen, die eigentlich Herrenhemden sind, zusammengenähte Mandarinenschalen oder besticktes Küchenpapier, ein begehbarer Rock oder metallisch glänzende Rettungsdecken, die plötzlich wie Burkas erscheinen: roter faden lautet der Titel, unter dem 60 Künstlerinnen und Künstler das Publikum in alle Ärmel aktueller Textilkunst schlüpfen lassen. Ermöglicht wurde die erste große Leistungsschau der textilen künstlerischen Produktion, die man in Kärnten erleben kann, durch die Zusammenarbeit mit der Universität für angewandte Kunst Wien, genauer mit der von Barbara Putz-Plecko geleiteten Klasse für experimentelle Gestaltung der Abteilung Textil.

Der Frage nach Bekleidung als "kultureller Haut" wird in vielen der Arbeiten, die von Lehrenden ebenso wie von Absolventen und Studierenden der Angewandten stammen, feinfühlig nachgegangen. Die kurdische Künstlerin Nilbar Güres etwa ist auf einem Video mit den Kopftüchern aller weiblichen Mitglieder ihrer Familie verhüllt. Langsam nimmt sie die bunten Schichten von ihrem Gesicht, ordnet anhand der Art der Knüpfung und der Beschaffenheit des Stoffes jedes Tuch einem Familienmitglied zu. Nicole Wenigers Fotoserie The Unknown ist vor der Flüchtlingswelle entstanden, durch diese aber mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen worden: In Rettungsfolie gepackte Figuren an einem einsamen, unwirtlichen Meeresstrand vermitteln in fast surrealistischer Weise eine Ankunft in der Schwebe zwischen Unsicherheit und Suche.

Claire Chatel macht sich mit einem Stoffband im Schnee an die Rekonstruktion ihres im Zug der Emigration verlorenen Familiennamens. Manora Auersperg zeigt einen Rock mit nach außen gewendetem Futter, der im Inneren gleich die enthäutete Muskulatur zeigt. Auch auf kulturelle, soziale und menschenrechtliche Aspekte der Textilherstellung wird in der aufschlussreichen Schau vielfach eingegangen. Da erstehen die frühgeschichtlichen Hallstattfarben in ihrer erdigen Faszination neu auf, der Technik der Ikat-Stoffe mit ihren kostbaren Farbspiegelungen wird nachgegangen, und Maria Walcher durchquert mit ihrem Fahrrad ganze Länder auf der Suche nach Kleidungsstücken, die für ihre Träger mit einer besonderen Erinnerung verbunden sind: ein kleines Museum für sich. (Michael Cerha, 2.1.2016)