Der österreichische Fußball trauert um Helmut Köglberger, der am Sonntag im Alter von 72 Jahren nach längerer Krankheit verstorben ist. Lesen Sie zur Erinnerung ein Porträt, das der STANDARD am 11. Jänner 2016 in der Serie "Das wurde aus ..." veröffentlicht hat:

Da staunten die Zuseher im Linzer Stadion nicht schlecht. Schnurstracks hatte Helmut Köglberger in der 53. Minute das Spielfeld verlassen. "Eigenmächtig, ohne Zustimmung der Betreuer", schrieb die "Arbeiter-Zeitung" am 26. Mai 1968. Der unvermittelte Abgang war aber keineswegs der vermuteten Handverletzung geschuldet, in einem Linzer Bahnhofscafé erzählt der einstige Stürmer im Jänner 2016 die ganze Geschichte.

Kindheit in Oberösterreich? "Die Bauern waren von mir nicht begeistert."

"Ist ja längst verjährt", sagt Köglberger und grinst bis über beide Ohren. "Die Fans haben mich nach einer vergebenen Chance ausgepfiffen. Ich war verärgert und bin nach Hause gefahren." Der Publikumsliebling des LASK war bei den Anhängern in Ungnade gefallen, da sich sein bevorstehender Wechsel zur Wiener Austria herumgesprochen hatte. "Es lief geheim, trotzdem landete die Sache in der Zeitung. Gut recherchiert, Gratulation dem Journalisten!"

"Köglberger verließ eigenmächtig das Spielfeld", schrieb die "Arbeiter-Zeitung" am 26. Mai 1968, "ohne Zustimmung der Betreuer."

Besatzungskind in Sierning

Köglberger wuchs als Besatzungskind auf einem Bauernhof im oberösterreichischen Sierning auf. Den Vater, einen US-Soldaten, hat er nie kennengelernt, das Verhältnis zur Mutter war schlecht, die Großmutter nahm sich des Buben an. "Meine Oma arbeitete als Dienstbotin. Wir hatten wenig, kaum Kleidung. Von den Amerikanern bekam ich Schokolade geschenkt."

In der Landbevölkerung habe es klare Strukturen gegeben: Vater, Mutter, Kind. So ein dunkelhäutiger Rotzlöffel war in dem Konzept nicht vorgesehen: "Die Bauern waren von mir nicht gerade begeistert. Es war ja nicht so, dass nach dem Krieg die vielen Nazis sofort ihre Einstellung geändert hätten." Dank der Schulkameraden fand Köglberger trotzdem seinen Platz in der Gesellschaft. "Denen war die Hautfarbe wurscht."

Fußballbegeistert sei die Rasselbande gewesen, rastlos sei man der Kugel hinterhergelaufen. "Unser Lehrer hat uns unterstützt. Wir haben jeden Tag bei der katholischen Jugend gekickt. Der Fußball hat mich aufgefangen." Die Clique trifft sich noch heute, man erinnert sich gemeinsam an alte Zeiten, "wer halt noch am Leben ist".

Turnschuhe von Semperit

Zu den großen Erinnerungen zählen die Turnschuhe von Semperit, "die waren der Renner, in Blau und in Schwarz, jeder wollte sie haben". Auch das tägliche Zusammenstellen der Mannschaften sei als Hinweis auf Talent von Bedeutung gewesen. "Man hat schon gemerkt, dass man beim Auswählen nicht immer als Letzter stehen geblieben ist. Das hat das Selbstvertrauen gestärkt. Damals ist ja kein Scout oder Manager vorbeigekommen, um die Spieler zu beobachten."

Mit 14 Jahren lassen sich die Ansätze des flinken Teenagers nicht mehr übersehen, vom SV Sierning wechselt Köglberger zu Amateure Steyr und spielt schon bald in der Regionalliga mit der ersten Mannschaft. Zum Training fährt er mit einem schmucken Gangrad. "Ich war fast nie zu Hause, ich war immer da und dort. Der Hausschlüssel ist unter der Tackn gelegen."

1969 (Austria) und 1975 (Austria/LASK) krönte sich Helmut Köglberger zum Torschützenkönig.

Seine Karriere als Profi beginnt Köglberger 18-jährig beim LASK, 40.000 Schilling Handgeld sollen den Besitzer gewechselt haben. 1965 folgt bereits der Meistertitel, der erste für einen Klub aus den Bundesländern: "Es war eine Rieseneuphorie, die Menschenmenge hat unseren Bus in Linz zum Stehen gebracht." Trainer František Bubka gab dem Youngster im Lauf der Saison kalt-warm. "Ich habe drei Tore geschossen und bin am folgenden Wochenende auf der Bank gesessen." Erklärungen habe es keine gegeben, Trainer waren in den Sechzigern nicht für einfühlsame Worte bekannt.

Trainer der alten Schule? "Was muss man als Schleifer schon können? Nichts."

"Die Schleifer waren gefragt, die Medien haben auf solche Leute gehört." Etwa zu Unrecht? "Was muss man als Schleifer schon können? Nichts. Dieser Trainertyp hat längst ausgedient." Schmähstad sei Köglberger trotzdem nie gewesen: "Ich war einer der wenigen, die sich getraut haben, den Mund aufzumachen."

Und dabei fiel der "Heli", wie man ihn liebevoll nannte, bei der Wiener Austria gleich dem nächsten strammen Trainer in die Hände: Ernst Ocwirk. "Er war im europäischen Fußball eine Persönlichkeit wie Beckenbauer." Seinen Führungsstil fasst Köglberger schnell zusammen: "Eine reine Diktatur."

Drei Derby-Tore und keine Heimat

Der Wechsel zu den Violetten sei trotzdem nur logisch gewesen: "Mein Herzensverein ist der LASK, aber ich war immer ein großer Fan der Austria. Der Verein hat mir imponiert." Drei Tore erzielte er 1968 in seinem ersten Derby gegen Rapid, Endstand 4:3. "Ein unglaubliches Gefühl, Rapid hatte kurz zuvor Real Madrid aus dem Europacup eliminiert."

Bei der Austria erfüllte Köglberger seinen Arbeitsauftrag mit Bravour: 202 Treffer in 301 Spielen führten den Verein zu zwei Meistertiteln und zwei Cupsiegen. Und das trotz Fehlens einer Heimstätte: "Wir haben in der Südstadt, auf der Hohen Warte, am Sportclubplatz, im Wiener Stadion und bei Wacker gespielt." Übliche Frage am Matchtag: "Wo spielen wir heute?"

Trotz der vielen Tore sollte der Sprung in Ausland nicht gelingen. Gespräche gab es, ein Transfer nach Belgien zerschlug sich an der Freigabe. "Wir haben leider den Herrn Bosman nicht gehabt." So oder so avancierte Köglberger zur Stammkraft im österreichischen Nationalteam. Ebendort traf er mit Leopold Stastny auf einen Trainer, der sich unzeitgemäß für die menschliche Seite der Spieler interessierte und Köglberger zum Kapitän machte.

0:0 in Brasilien? "Nach dem Spiel hast du gewusst, dass du kein Fußballer bist."

"Er war sehr gebildet, konnte Inhalte gut vermitteln. Damals gab es von den Gegnern keine Videoaufnahmen, man war auf Schilderungen angewiesen." Die WM 1974 in Deutschland wurde knapp verpasst, denkwürdige Erinnerungen an 28 Spiele im Nationaldress gibt es dennoch zuhauf. Etwa das Debüt gegen Ungarn im Budapester Nepstadion vor 80.000 Zusehern. "Der Gegner war richtig gut. Und ich richtig schlecht."

Oder ein freundschaftliches Match in São Paulo gegen Brasilien vor 120.000 Fans. "Vom ganzen Trara her sicher mein größtes Spiel. Die haben ewig die Hymne gespielt." Die Seleção erwies sich 1974 als charmanter Gastgeber: "Die waren so nett und haben uns ein bisschen mitspielen lassen, ohne Manndeckung, nicht wie die Deutschen."

Teamkollege Karl Daxbacher sollte sich um Weltmeister Rivelino kümmern. "Der Arme konnte gar nichts machen, Rivelino ist nicht einmal gelaufen, der hat alles direkt gespielt. Ich musste schon während des Spiels lachen, der Karl ist nicht einmal zum Schwitzen gekommen." Das 0:0 war freilich ein schönes Ergebnis, aber auch ein interessanter Augenöffner. "Da hast du nur zugesehen. Nach dem Spiel hast du gewusst, dass du kein Fußballer bist."

28-mal spielte Helmut Köglberger zwischen 1965 und 1976 im Nationalteam. Zehnmal ging es in WM- und EM-Qualifikation um Punkte. Für eine Endrunde sollte es nicht reichen.

Köglberger, der LASK-Spieler des Jahrhunderts, betreibt Understatement. Nach seiner Rückkehr zu den Linzern krönte er sich ein zweites Mal zum Torschützenkönig, seine Karriere beendete er bei den Athletikern im Alter von 35 Jahren. Nur ein Jahr später musste dem Vater dreier Söhne – mit Frau Christine ist er seit 50 Jahren verheiratet – ein gutartiger Tumor im Kopf entfernt werden.

Leben mit einem Defibrillator? "Einmal hat er mich niedergeschossen."

Auch in jüngerer Vergangenheit hatte er mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, seit einem Herzinfarkt trägt er einen implantierbaren Defibrillator. Köglberger öffnet das Hemd, schiebt die Goldkette zur Seite und zeigt die Narbe neben dem Brustbein. Das Gerät lässt sich unter der Haut erahnen.

"Man gewöhnt sich an alles. Einmal hat mich der Defi niedergeschossen. Zuerst habe ich gedacht, die Glühbirne ist kaputt." Angst? "Ich habe viele schöne Sachen erlebt. Jeder muss mal abdanken, damit habe ich kein Problem."

Krabbelstube und Akademie

Bis dahin will Köglberger weiter seine Projekte verfolgen. Jugendliche und Kinder waren ihm immer ein Anliegen. "Ich will etwas zurückgeben." Ob als Nachwuchstrainer oder Betreiber einer Krabbelstube in Oberbairing. "Wir haben mit sieben Kindern angefangen, später waren es 25 mit fünf Pädagoginnen. Man sagt, die Kinder seien das Wichtigste. Ich sage: Zuerst müssen wir auf die Eltern eingehen, die sollen keinen Stress haben."

Mittlerweile hat Köglberger eine neue Herzensangelegenheit. Gemeinsam mit Sohn Stefan kümmert er sich um die Fußballakademie Acakoro in Nairobi, Kenia. Stefan lebt seit drei Jahren dort, Helmut rennt in Österreich um Geld: "Am Anfang sind alle begeistert, später wird es schwieriger. Aber wir kriegen das schon hin."

Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren werden in der Akademie in einen geregelten Tagesablauf eingegliedert, erhalten fernab von Hunger und Gewalt eine schulische und fußballerische Ausbildung.

"Mastermind" Helmut Köglberger zu Besuch in der Acakoro-Fußballakademie.
Foto: hopeforfuture.at
Eine Akademie als Lichtblick im Slum Korogocho von Nairobi.
allFilm Alex Limberger

Im vergangenen Jahr wurde die U11 der Akademie nach Österreich zum Donauauencup eingeladen. Die Teilnehmer hießen nicht nur Rapid und Austria, sondern auch Liverpool, Dortmund, Juventus und FC Barcelona. Übermächtige Gegner, feinste Fußballschule. Für den afrikanischen Nachwuchs sollte das Turnier vor allem Erfahrungswerte bringen.

Wunder von Orth an der Donau

Die Heimreise traten die Acakoro-Schüler mit dem Pokal an, im Endspiel bezwangen die Kids aus den kenianischen Slums die Talenteschmiede des großen FC Barcelona mit 1:0. In Orth an der Donau wurde die Fußballwelt für zwei Tage auf den Kopf gestellt.

"Wir nehmen auch einige, die nicht so begabt sind. Die, die bei den Müllhalden leben. Buben und Mädchen", sagt Köglberger, "gleiche Rechte für alle. Ob einer ins Kreuzeck trifft oder nicht, ist nebensächlich. Jeder Mensch soll seine Chance bekommen. Ich weiß, wovon ich spreche." (Philip Bauer, 11.1.2016)