Foto: APA/AFP/JACK GUEZ

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/LEONHARD FOEGER

Wien / New York – Time takes a cigarette. Wenn man in die 1960er-Jahre hineingeboren wurde und sich auch nur eine Sekunde für Popkultur interessierte, war es nur schwer vorstellbar, sein Leben fortan ohne ihn verbringen zu müssen. Der am 8. 1. 1947 als David Robert Jones geborene David Bowie, darüber muss man nicht streiten, war abgesehen von den über die Jahrzehnte geschaffenen Hits und Alben der größte Popstar aller Zeiten. Immerhin begriff das künstlerische Multitalent zwischen den Sparten Musik, bildende und Multimediakunst sowie Film Pop als genreübergreifendes, vielschichtiges Gesamtkunstwerk.

David Bowie erlag nach 18-monatigem Kampf einem Krebsleiden.
Foto: APA/AFP/BERTRAND GUAY

In diesem stand die große Kunst der (Selbst-)Inszenierung immer gleichwertig neben Banalität, Größenwahn, Ironie und Tiefgang. David Bowie schlüpfte in Rollen wie Ziggy Stardust und Thin White Duke, er war der Mann, der vom Himmel fiel, und gab den im Weltraum verlorengegangenen Major Tom aus Space Oddity von 1969 elf Jahre später auf Scary Monsters als abgehalfterten Weißclown und Junkie. Dazwischen lagen harte Drogenjahre, in denen sich Bowie nur von weißen Lebensmitteln und Pulvern ernährte. Der Kunst aber ging es prächtig: Bowie produzierte Lou Reeds Walk on the Wild Side und das Album Transformer und Iggy Pop & The Stooges, er schrieb für Mott the Hoople 1972 die melancholische Hymne All the Young Dudes.

Anzugträger mit fünf Meter großem Ego

Ende der 1970er-Jahre hatte er nicht nur den Glamrock nach Großtaten wie Life on Mars, Starman und Changes und Alben wie The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars, Hunky Dory, Aladdin Sane und Diamond Dogs zu Grabe getragen. Als slicker und mit fünf Meter großem Ego ausgestatteter Anzugträger beschäftigte sich Bowie anschließend auch mit durch Marschierpulver befeuertem US-Plastiksoul (Young Americans, 1975), bevor er sich 1976 auf Station to Station nicht nur einem Zusammenbruch näherte, sondern sich auch mit aus Deutschland kommenden repetitiven Maschinenklängen zu beschäftigen begann.

Der folgende körperliche wie geistige Regenerationsprozess in Berlin führte zur (zu weiten Teilen auch in Südfrankreich aufgenommenen) "Berlin-Trilogie". Die dazugehörigen Alben Low, Heroes und Lodger gelten, veröffentlicht zwischen 1977 und 1979, gemeinhin in ihrer Vielschichtigkeit und visionären Vorwegnahme von strenger formaler Kühle, elektronischer Musik und einer interessanten Mischung aus technoider Repetition und sperrigem Art-Rock als zentrale Arbeiten Bowies. Heroes, das Titelstück des gleichnamigen 1977er-Albums, ist übrigens das beste, schönste, herzergreifendste, herzerweiterndste und gleichzeitig traurigste wie mutmachendste Lied aller Zeiten. Das ist die Wahrheit. So viel Zeit muss sein.

Rückschau zu Lebzeiten

1980 hielt Bowie auf Scary Monsters so etwas wie eine Rückschau zu Lebzeiten. Ashes to Ashes, Fashion und It's a Teenage Wildlife zitierten frühere Hochleistungen, schafften es aber gleichzeitig, mit innovativen Arrangements junge Musiker der Postpunk- und New-Wave-Ära wie The Human League und Gary Numan zu beeinflussen. Von denen zehrte zwar damals längst auch David Bowie als begnadeter Stilsauger, allerdings schaffte es der alte Schlawiner zeit seiner Karriere, in der Luft liegende Trends und Stile so zu "adaptieren", dass sie als eigene künstlerische Innovationen durchgingen.

1981 wurde Under Pressure, seine Kooperation mit Freddie Mercury und Queen, zum Welthit. 1983 begann mit Let's Dance und Bowies Transformation zum nur durch Bluesgitarre bezüglich der Föhnfrisur gefährdeten Prinzen aus der Großraumdisco zwar eine kreative Ruhephase. Ironischerweise war dies allerdings seine kommerziell erfolgreichste Zeit. Über seine Zeit als "einfaches Bandmitglied" bei den Schreckensrockern Tin Machine muss man besser schweigen. Mit Ausnahme einiger Arbeiten wie Black Tie White Noise von 1993 hatte Bowie einige Jahre etwas die Orientierung und kreative Dringlichkeit verloren.

Börsengang als Ich-Aktie

1997 deutete das Album Earthling den damals vor allem in Großbritannien populären Underground-DJ-Stil des Drum 'n' Bass als nervöse wie mediokre Rockmusik. David Bowie, der in dieser Zeit vor allem gern Ölbilder malte, gelang allerdings ein Coup ganz anderer Art. Mit seinem Börsengang als Ich-Aktie David Bowie und einem Gewinnversprechen auf alte und zukünftige Erfolge wurde er damals mit zwei-, dreihundert Millionen Dollar derart reich, dass er bald in einem Interview bedauerte, nicht 300 Jahre alt werden zu können. Er könne es sich nun nämlich leisten.

Die Nullerjahre starteten mit soliden Arbeiten im Zeichen der Hausmarke. Heathen und Reality boten Bowie-Handwerk auf hohem Niveau, es folgte 2003 und 2004 eine Welttournee. Ein Herzinfarkt beendete schließlich seine Karriere als Bühnenstar. Bowie zog sich weitgehend zurück und lebte mit Ehefrau Iman und Kind in New York. Gelegentlich tauchte er als im Hintergrund singender Gast bei Songs von TV on the Radio, Scarlett Johansson oder Arcade Fire auf.

Der Mann, der vom Himmel fiel

2013 erschien unangekündigt wie völlig unerwartet sein "Comeback"-Album The Next Day mit der wunderbar sentimental Rückschau haltenden Single Where Are We Now?. Wie mehr als drei Jahrzehnte zuvor stand auch diese Arbeit im Zeichen einer retrospektiven Sichtung seiner früheren Arbeiten. Nicht umsonst wurde das Cover als Variation des berühmten Titelfotos von Heroes konzipiert. Zwei Jahre nach einer opulenten, ab 2013 um die Welt gehenden Schau David Bowie is, die seine spektakulären Bühnenkostüme, Coverentwürfe, handgeschriebene Songtexte und ähnliche Erinnerungsstücke präsentierte, folgte nun am New Yorker Broadway Bowies eigene Adaption des von 1975 stammenden Nicolas-Roeg-Films The Man Who Fell to Earth mit ihm in der damaligen Titelrolle. Es ist ein Musical namens Lazarus mit vielen seiner schönsten Songs geworden. Der Titelsong enthält die gespenstische Textzeile "Look up here, I'm in heaven / I've got scars that can't be seen".

David Bowie war offenbar schon länger von einer schweren Krebserkrankung gezeichnet. Die Arbeiten und Aktivitäten der letzten beiden Jahre deuten nun in der traurigen Rückschau darauf hin. Gerade erst vorige Woche, am 8. Jänner, anlässlich von Bowies 69. Geburtstag, ist das zu Recht bejubelte Album Blackstar erschienen. Auf diesem bündelte Bowie noch einmal all seine künstlerische Kraft und verband darauf als gelernter Saxofonist moderne Bassmusiken mit flächiger Elektronik und nervösem New Yorker Downtown-Jazz. Lazarus ist auf diesem Werk ebenso zu hören wie der dystopische Abgesang auf die eigene Existenz im Titelsong Blackstar. Es scheint, als habe David Bowie seinen Abgang im großen Stil geplant. Die Welt ist mit seinem Tod noch ein wenig trauriger geworden, als sie ohnehin schon ist. Wir werden uns daran gewöhnen müssen. Was bleibt, und das gibt Trost, sind einige der schönsten Musiken des uns bekannten Universums. Ob es Leben auf dem Mars gibt, ist auch weiterhin nicht bekannt. (Christian Schachinger, 11.1.2016)