Wirtschafts- oder Konventionsflüchtlinge? Manchmal beides, manchmal weder das eine noch das andere – und kaum je auf den ersten Blick ersichtlich.

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Frage: Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) forderte am Montag eine "schärfere Unterscheidung zwischen Wirtschafts- und Konventionsflüchtlingen". Was meint er damit?

Antwort: Faymann bezieht sich in seiner Aussage auf die Genfer Flüchtlingskonvention. Das Dokument mit dem eigentlichen Titel "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" wurde 1951 von den Vereinten Nationen verabschiedet. Flüchtlinge sind demnach Personen, die sich aus "der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung" außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzen, und dessen Schutz sie nicht in Anspruch nehmen können. Wer "ohne einen stichhaltigen, auf eine begründete Befürchtung gestützten Grund" sein Heimatland verlässt, zählt nicht dazu.

Frage: Wirtschaftliche Gründe nennt die Konvention also nicht?

Antwort: Nicht explizit. Der weitgefasste Begriff der "sozialen Gruppe" wurde in der österreichischen Rechtspraxis aber bereits dahingehend ausgelegt. So berief eine Kosovarin 2002 erfolgreich gegen einen negativen Asylbescheid. Der Bundesasylsenat erkannte in einer Grundsatzentscheidung, dass ihr "wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (Gruppe der alleinstehenden geschiedenen Frauen im Kosovo)" der völlige Verlust ihrer Existenzgrundlage drohe. "Eine solche Vernichtung der Existenzgrundlage ist von ihrer Intensität her asylrelevant", hieß es damals.

Frage: Gibt es Statistiken zum Anteil sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge?

Antwort: Weil die Unterscheidung eben nicht trennscharf zu ziehen ist und der Begriff auch in den österreichischen Gesetzestexten nicht vorkommt, existieren keine offiziellen Zahlen. Auch negativ beschiedene Asylanträge sagen nicht unbedingt etwas über wirtschaftliche Motive aus. So kann jemand trotz Wohlstands abgeschoben werden, wenn er die Genfer Kriterien nicht erfüllt. Umgekehrt ist es möglich, dass etwa zwei Menschen aus derselben syrischen Stadt positive Asylbescheide erhalten, während einer von ihnen auch für österreichische Verhältnisse vermögend ist und der andere sein letztes Geld für die Flucht ausgegeben hat. Zumindest im zweiten Fall müssten wohl auch wirtschaftliche Motive erfasst werden.

Frage: Politiker fordern dennoch, Wirtschaftsflüchtlinge schon an der Grenze von Konventionsflüchtlingen zu trennen. Ist das praktikabel?

Antwort: Menschen aus dem Stand in eine dieser beiden Kategorien einzustufen, wäre noch am ehesten durch ihre Nationalität und also die Sicherheitslage in ihrer Heimat möglich; das erlauben die österreichischen Gesetze aber nicht. Wenn ein Staat als sicheres Herkunftsland eingestuft wird, kann das bloß die Chancen der betroffenen Staatsbürger auf Asyl verringern. Doch selbst wenn Österreich die Liste sicherer Staaten erweitern würde, erforderte jeder Asylantrag weiterhin eine individuelle Antragsprüfung. Eine Prüfung dauert in der Regel Monate, bei Schnellverfahren Tage bis Wochen. An den EU-Außengrenzen wären ein Rückstau und riesige Wartelager mit zehn- oder gar hunderttausenden Menschen zu erwarten– samt sozialer und logistischer Schwierigkeiten. Trotzdem weisen einige Länder Flüchtlinge abhängig von ihrer Herkunft und ohne weitere Prüfung ihres Fluchtgrundes bereits heute an der Grenze ab. Mazedonien und Serbien etwa gewähren seit Mitte November nur noch Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan die Einreise. Menschen aus anderen Herkunftsstaaten – darunter auch Bürgerkriegsländer wie Somalia – werden als Wirtschaftsflüchtlinge eingestuft und zurückgewiesen.

Frage: Woher stammt der Begriff "Wirtschaftsflüchtling" eigentlich?

Antwort: Im deutschsprachigen Raum ist der Ausdruck seit den 1960er-Jahren belegt. Damals wurden vor allem aus dem Ostblock in den Westen beziehungsweise speziell aus der DDR in die BRD geflüchtete Menschen so bezeichnet. Ab den 1980er-Jahren ging der Begriff neben "Elendsflüchtling" langsam auf Migranten aus Entwicklungsstaaten über, die sich wirtschaftliche Verbesserung erhofften. Erst im neuen Jahrtausend konnte er sich im aktiven Vokabular vor allem konservativer und rechter Politiker festsetzen. Laut APA-Archiv wurde etwa Jörg Haider erst 2003 zum ersten Mal mit diesem Ausdruck zitiert. An Gewicht im öffentlichen Diskurs gewann die Bezeichnung seit dem starken Anstieg der Asylantragszahlen im Vorjahr. In den ersten 13 Tagen des laufenden Jahres kam er bereits 19 Mal in APA-Meldungen vor, im gesamten Jahr 2014 nur zwölf Mal. Zuletzt sprach sogar das Flüchtlingshilfswerk UNHCR von "economic migrants". (Michael Matzenberger, Christa Minkin, 14.1.2016)