Ralf Muhr: "Man sieht, was möglich ist. Das Potenzial ist da, nun muss man es fördern und ausbauen."

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Hoffnungsträger Dominik Prokop.

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Wien – HSV, Schalke, Leverkusen, Mönchengladbach – der Fußballnachwuchs der deutschen Bundesligisten hatte beim Hallenturnier in Göttingen, Deutschland, das Nachsehen gegenüber der Wiener Austria. Und dies bereits zum dritten Mal in Folge. Ralf Muhr, Leiter der Austria-Akademie im Gespräch über Kombinationsspiel, Hoffnungsträger und internationale Scouts.

STANDARD: Der Nachwuchs der Austria hat in Deutschland zum dritten Mal in Folge das Hallenturnier von Göttingen gewonnen. Zufall lässt sich eher ausschließen, woher rührt die Dominanz?

Muhr: Wir sind in puncto Kombinationsspiel und Passqualität in einer Führungsrolle. Zudem haben wir über die Jahre einen eigenen Spielstil in der Halle entwickelt, der es den Gegnern sehr schwer macht.

STANDARD: In Ballbesitz wird der Goalie durch einen Feldspieler ersetzt. Ein riskantes Spiel.

Muhr: Aber der Schlüssel zum Erfolg. Trotzdem hat mich der Turniersieg überrascht. Wir waren eine der jüngsten Mannschaften. Nur drei Feldspieler und ein Tormann haben dem U19-Jahrgang entsprochen. Alle anderen sind jünger, U18 oder sogar U17. Torschützenkönig Dominik Fitz ist 16 Jahre alt.

STANDARD: Die Akademie der Austria verfügt über eine Halle. Ein entscheidender Vorteil?

Muhr: Die Maße sind dieselben wie in Göttingen, wir können uns gezielt vorbereiten. Das Turnier hat in unserem Verein zudem einen sehr hohen Stellenwert. Jeder brennt darauf, dort mitzuspielen. Den Trainern fällt die Wahl der Spieler nicht leicht.

STANDARD: Eine Woche zuvor hatte Rapid den nicht weniger stark besetzten Mercedes-Benz-Cup gewonnen. Ist die Ausbildung in Österreich mittlerweile besser als in Deutschland?

Muhr: Das will ich nicht sagen. Aber sie ist auf eine Stufe zustellen. Die auffälligsten Spieler bei den beiden Turnieren kamen aus unseren Reihen. Dominik Prokop wurde in Göttingen zum Spieler des Turniers gewählt, bei Rapid war es Julian Küssler. Das hat schon mit Ausbildung zu tun.

STANDARD: Wie hat sich die österreichische Nachwuchsausbildung im letzten Jahrzehnt entwickelt?

Muhr: Sie ist dramatisch besser geworden. Wir haben eine professionelle Struktur geschaffen, in der Trainer professionell arbeiten können. Das wäre vor zehn Jahren in dem Ausmaß alles undenkbar gewesen.

STANDARD: Wie wird diese Qualität bei der deutschen Konkurrenz wahrgenommen?

Muhr: Wir werden oft darauf angesprochen. Es sei sensationell, was für Spieler bei uns produziert und ausgebildet werden. Auch dem Publikum gefällt unsere Spielweise, die Zuseher in Deutschland standen hinter uns.

Einblicke in den Sparkasse & VGH Cup von Göttingen.

STANDARD: Ist die Halle überhaupt ein geeigneter Gradmesser in Sachen Fußball?

Muhr: Das Hallenspiel beinhaltet alles, was den Fußball auch auf dem Feld ausmacht. Athletik, Technik, Taktik, Umschaltverhalten. Wie verhalte ich mich in Über- und Unterzahl? Man muss rechtzeitig das richtige Zuspiel machen.

STANDARD: Früher hätte man gesagt, dass vor allem die Technik in der Halle entscheidet.

Muhr: Die Technik ist nur ein Baustein. Wenn Du athletisch und läuferisch nicht tiptop drauf bist, geht auch dort nichts. Es ist ein verdammt schnelles und physisch hochstehendes Spiel.

STANDARD: Welche Erkenntnisse kann man auf das Feld mitnehmen?

Muhr: Die Spieler nehmen vor allem Selbstvertrauen und Emotion mit. Man sieht, was möglich ist. Das Potenzial ist da, nun muss man es fördern und ausbauen. Einfach nur zuschauen, was aus den Jungs wird – das ist zu wenig.

STANDARD: Nehmen wir das Beispiel Dominik Prokop her. Er trainiert bereits mit den Profis, was fehlt ihm noch für die Bundesliga?

Muhr: Im Umgang mit dem Ball bringt er alles mit. Es fehlen nur die Einsätze und das Adaptieren an das Tempo im Erwachsenenbereich. Gegen ausgebuffte Profis stößt man an die Grenzen, körperlich und mental.

STANDARD: Welchen Rat kann man den Spielern mitgeben?

Muhr: Dass man sich auch Fehler erlauben darf. Wenn sich die Spieler zu viel Druck machen, geht die Leichtigkeit verloren.

STANDARD: Der zu Sturm Graz abgewanderte Sascha Horvath war in der Austria-Jugend ein sehr dominanter Spieler, auch in der Halle überragend. Warum hält der Verein solche Spieler nicht?

Muhr: Fehlt einem Spieler die Perspektive in der Kampfmannschaft, etwa wenn seine Position überbesetzt ist, muss er sich neu orientieren. So war es bei Sascha. Er spielt jetzt bei Sturm, verbessert sich laufend. Er wird die Sicherheit kriegen, dann steht ihm nichts im Weg.

STANDARD: Macht es dem Akademie-Leiter zu schaffen, wenn andere Vereine die Früchte seiner Arbeit ernten?

Muhr: Das ist Teil des Geschäfts. Als Verantwortlicher der Ausbildung bin ich froh, wenn es die Spieler anderswo schaffen. Es soll nichts Schlimmeres passieren.

STANDARD: Merkt man, dass das internationale Interesse an österreichischen Nachwuchsspielern größer geworden ist?

Muhr: Es ist brutal, nicht mehr mit früher zu vergleichen. In Göttingen hat sich jeder deutscher Bundesligist Prokop in den Notizblock geschrieben. Die internationalen Scouts sind auch in den österreichischen Nachwuchsligen unterwegs. Jeder weiß, da gibt es super Kicker.

STANDARD: Ist der Nährboden für das Nationalteam also langfristig gesichert?

Muhr: Man muss sich immer weiterentwickeln, hart arbeiten und optimieren. Die Arbeit trägt langfristig Früchte. Vor zehn Jahren wurde die Basis für die Erfolge der Nationalmannschaft gelegt, der Teamchef fügt das sensationell zusammen.

STANDARD: Kann man die Spieler halten, wenn ein Großklub anklopft?

Muhr: David Alaba hat damals von uns ein Angebot bekommen und am nächsten Tag eines von Bayern München. Er hat nicht ewig überlegen müssen. (Philip Bauer, 14.1.2016)