Lehrgrabung mit Inspektorinnen der sudanesischen Antikenverwaltung im Garten des Nationalmuseums in Khartoum, September 2015. Die Knochen sind zu Übungszwecken aus Plastik.

foto: british museum

Frühstückspause im kleinen Grabungshaus in Amara West. Gegessen wird mit den Händen.

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Der Flaschenzug am Rand des Grabschachts von Grab G321. Solche Sandsäcke wurden zur Abdeckung des Eingangs zur Grabkammer verwendet.

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Blick durch die Vorkammer zu den beiden rückwärtigen Grabkammern in Grab G322.

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Mohamed bei der Arbeit in der Vorkammer von Grab G322 unter dem Schutzdach.

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Sandsturm über Amara West. Diese treffen uns ein- bis zweimal pro Kampagne, an ein Arbeiten ist bei solchem Wetter nicht zu denken.

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Woche drei im Sudan, und die Grabung kann nun wirklich beginnen. Auch das Team ist mittlerweile vollständig, es ist das gleiche wie im vergangenen Jahr: Michelle, die kanadische Anthropologin, die keine feste Anstellung hat und daher einen Großteil des Jahres auf Ausgrabungen in der Türkei, Zypern, Katar, Schottland und England verbringt, Sofie, die in Kopenhagen Ägyptologie mit Anthropologie im Nebenfach studiert, sowie der Inspektor der sudanesischen Antikenverwaltung NCAM (National Corporation for Antiquities and Museums), Mohamed Saad Abdallah.

Eine solche Einrichtung wurde bereits 1905 von der britischen Kolonialregierung geschaffen, die bis 1956 bestand. Sie hat ihren Sitz in Khartoum am Nationalmuseum und beschäftigt etwa 300 Archäologen und Museumskuratoren. Wer im Sudan ausgraben will, muss bei der NCAM um eine Grabungsgenehmigung ansuchen. Wird diese erteilt, wird ein Inspektor – also ein Vertreter der Antikenverwaltung – dem Team zur Seite gestellt. Zu seinen oder ihren – es gibt fast ebenso viele weibliche wie männliche Inspektoren – Aufgaben zählen neben der Mitarbeit an der Grabung die Abwicklung der Formalitäten und die Unterstützung im Umgang mit der lokalen Bevölkerung.

In vielen Fällen kommt dem Inspektor auch die Rolle eines Übersetzers zu. Die meisten Inspektoren sind gut ausgebildete Archäologen, viele haben in Europa oder den USA Doktoratsstudien abgeschlossen. Diese werden immer wieder auch von den archäologischen Missionen finanziell unterstützt, wenn ihnen daran gelegen ist, dass "ihr" Inspektor eine gute Ausbildung erhält.

Lernen in London

Mohamed arbeitet seit 2012 auf meiner Grabung. Kennengelernt habe ich ihn im Rahmen der ersten "Amara West Bioarchaeology Field School". In dem 2011 erstmals am Nationalmuseum abgehaltenen Kurs unterrichte ich Grundlagen der Erforschung von archäologischem Skelettmaterial. Das ist eine Fachrichtung, die im Sudan nicht existiert, dementsprechend gibt es auch keine sudanesischen Spezialisten, die mit den zahllosen Skelettserien, die Jahr für Jahr ausgegraben werden, umgehen könnten.

Ziel des Kurses ist, den Inspektoren ein Bewusstsein für das Informationspotenzial menschlicher Skelette zu verschaffen und ihnen zu vermitteln, wie diese fachgerecht geborgen und gelagert werden können. Mohamed hingegen konnte durch finanzielle Unterstützung des Institute for Bioarchaeology am British Museum in den vergangenen Jahren jedes Jahr nach London kommen und dort unter meiner Betreuung bioarchäologische Arbeitsmethoden erlernen. Mittlerweile ist er so weit fortgeschritten, dass ihn die NCAM als Bioarchäologen anerkennt. Wir haben in Khartoum ein kleines Labor aufgebaut, wo er nun eigenständig Forschungsprojekte durchführen kann.

Sechs-Tage-Woche

Aber zurück zur Grabung. Gearbeitet wird sechs Tage die Woche, Freitag ist unser freier Tag. Der Arbeitstag beginnt um 5.50 Uhr, nach einem kurzen Frühstück mit Tee, Obst und Keksen geht es um 6.30 Uhr im Finsteren mit dem Motorboot zur Ausgrabungsstelle. Dann wird bis zur Pause um 10 Uhr gearbeitet. Die Sudanesen essen traditionell am späteren Vormittag ihre erste Mahlzeit, die zumeist warm ist. Wir essen gemeinsam mit den Arbeitern, abwechselnd bringt jeder etwas mit. Es gibt meistens verschieden Arten von Ful (Bohneneintopf), Gemüseeintöpfe, Salate, Brot und die lokale Spezialität Gurasa, dicke Weizenpalatschinken in roter (Paradeiser) oder grüner (lokale Spinatversion) Sauce. Danach wird bis 14 Uhr weitergearbeitet, dann geht es zurück ins Grabungshaus.

Mehrere Grabkammern

Nach der ersten Woche sind die Grabschächte endlich vollständig von Sand befreit. An den beiden tieferen Gräbern mit Schachttiefen von sieben beziehungsweise fünf Metern wurden Flaschenzüge gebaut, damit Sand und Steine schneller heraufgeholt werden können. Von zwei der Gräber wissen wir bereits, dass es jeweils mehrere Grabkammern, also eine zentrale Vorkammer und nördlich und westlich davon abgehend eine weitere, gibt. Die Kammern sind rechteckig, haben eine Grundfläche von fünf bis acht Quadratmetern und eine Höhe von 1,0 bis 1,2 Metern.

Diese Form von Grabbau ist typisch für altägyptische Gräber und war nicht nur der Elite vorbehalten. Generell finden sich darin immer mehrere Bestattungen, vermutlich im Sinne von Familiengrablegen, die über Generationen genutzt wurden. Die Grabkammern wurden nach Ende der Bestattungstätigkeit nicht wieder verfüllt, sondern mithilfe großer Steinplatten oder Lehmziegelmauern verschlossen. Dementsprechend finden wir sie heute auch nur teilweise von Sand bedeckt, der über die Jahrtausende angeweht wurde, da die Gräber zumeist in antiker Zeit beraubt und die Türen offen gelassen wurden.

Nachbestattungen auf Sandschicht

Sofie und Mohamed haben nun beide begonnen, geschützt unter einem soliden Metalltisch, die Vorkammern freizulegen. Dabei hat sich bisher Grab G322 am spannendsten gezeigt. Bereits kurz nach dem Eingang in die Grabkammer, die etwa einen Meter hoch mit Sand verfüllt ist, finden wir mehrere Bestattungen, die auf der Sandschicht liegen und damit zu einem Zeitpunkt in die Kammer gekommen sind, als sie bereits verfüllt war. Solche Nachbestattungen sind in Amara West relativ häufig anzutreffen. Sie sind im Gegensatz zu den älteren Bestattungen sehr einfach und in Matten aus Palmenfasern gewickelt, die sich im trockenen Wüstensand oft gut erhalten. Aufgrund von Radiokarbon-Datierungen der Knochen wissen wir, dass diese aus dem 8./9. Jahrhundert vor unserer Zeit stammen und damit aus der Endphase der Nutzung des Siedlungsplatzes Amara West. Sie sind damit auch zumindest 300 Jahre jünger als die ersten Bestattungen in den Gräbern.

Inwieweit diese noch in Verbindung mit den ursprünglichen Grabbesitzern stehen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Die Tatsache, dass die Kammer zum Zeitpunkt der Bestattung bereits mit einem Meter Sand bedeckt war, muss nicht unbedingt von Vernachlässigung zeugen. Wie wir am Montag dieser Woche selbst miterleben durften, kann bereits ein einziger Sandsturm von mehreren Stunden etwa 20 bis 30 Zentimeter Sand in die Kammer blasen. Aus Klimarekonstruktionen wissen wir, dass die zunehmende Versandung der Siedlung bereits Ende des 2. Jahrtausends vor unserer Zeit einsetzte. Es ist also auch möglich, dass einfach auf eine Reinigung der Kammern von Sand verzichtet wurde.

Im Lauf der nächsten Woche werden wir tiefer in die Vorkammern vordringen und möglicherweise bereits Erkenntnisse über die ursprünglichen Besitzer dieser großen Grabanlagen gewinnen können. (Michaela Binder, 21.1.2016)