Tunis/Paris/Wien – Nach neuen Protesten und Zusammenstößen in Tunesien hat das Innenministerium am Freitag ein nächtliches Ausgehverbot im ganzen Land verhängt. Der Schritt sei notwendig, da die Sicherheit des Landes und seiner Bürger in Gefahr sei, erklärte das Innenministerium. Die Situation im Land sei wieder "unter Kontrolle", versicherte gleichzeitig Ministerpräsident Habib Essid.

Der Regierungschef weilte auf einem Besuch in Frankreich, das ihm wirtschaftlichen Unterstützung zusagte. Laut dem Innenministerium soll die Ausgangssperre bis auf weiteres von 20.00 Uhr bis 05.00 Uhr gelten. Das Ministerium reagierte damit auf neue Unruhen im Großraum Tunis und anderen Städten, bei denen es bis in die Morgenstunden Plünderungen und Brandschatzungen gegeben hatte. Im Arbeiterviertel Ettadhamen lieferten sich nach Polizeiangaben Vermummte Straßenschlachten mit der Nationalgarde.

Ein AFP-Reporter sah zwei geplünderte Elektronikgeschäfte und eine geplünderte Bankfiliale, eine Polizeiwache wurde abgebrannt. Laut der Polizei wurden 16 Menschen wegen Vandalismus festgenommen. Das Innenministerium warf Kriminellen vor, die friedlichen Proteste gegen die Regierung zu missbrauchen. Binnen 24 Stunden wurden demnach landesweit 42 Sicherheitskräfte verletzt.

Regierungschef Essid versicherte jedoch, die Situation sei wieder "unter Kontrolle". Bei den Unruhen in Kasserine handele es sich um ein "wirtschaftliches Problem, um die Forderung nach Jobs", sagte er nach einem Treffen mit Frankreichs Präsident François Hollande in Paris. Er versprach, neue Maßnahmen "im Rahmen eines Entwicklungsprogramms" zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu ergreifen.

Hollande versprach, die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden fünf Jahren mit einer Milliarde Euro zu unterstützen. Demnach sollen besonders Arbeitsplätze für die Jugend und in benachteiligten Regionen geschaffen werden. Laut Essid ging es bei dem Treffen auch um die Kooperation im Kampf gegen den Terror. Tunesien wurde 2015 von zwei blutigen Anschlägen auf Touristen erschüttert.

Das Land erlebt derzeit die heftigsten Proteste seit dem Umsturz vor fünf Jahren, als der langjährige Präsident Zine El Abidine Ben Ali gestürzt wurde. Auslöser der Revolution waren Proteste gegen Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit, nachdem sich in Sidi Bouzid ein junger Gemüseverkäufer aus Verzweiflung über Schikane durch die Behörden selbst in Brand gesteckt hatte.

Dieses Mal wurden die Proteste ausgelöst durch den Tod eines 28-jährigen Arbeitslosen, der bei Protesten vor dem Gouverneurssitz von Kasserine auf einen Strommast geklettert war und dort einen tödlichen Stromschlag erlitt. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit in Tunesien bei 15 Prozent, doch ist sie in einigen Landesteilen deutlich höher.

Staatspräsident Béji Caid Essebsi äußerte am Freitagabend in einer Fernsehansprache Verständnis für den Unmut der Bevölkerung. "Es gibt keine Würde ohne Arbeit", sagte Essebsi. Man kann jemand, der nichts zu essen hat, nicht sagen, er möge Geduld haben." Zugleich warnte er aber vor der Instrumentalisierung der legitimen Anliegen der Demonstranten zu politischen Zwecken.

"Nach dem Start dieser Demonstrationen haben übelgesinnte Kräfte eingegriffen und die Situation angeheizt", kritisierte Essebsi. Es war das erste Mal, dass sich der Präsident zu den jüngsten Protesten äußerte. Am Mittwoch war Essebsi mit Bundespräsident Heinz Fischer zusammengetroffen, der Tunesien einen offizellen Besuch abgestattet hatte. (APA, 22.1.2016)