Sportliches Programm. Das Leichtatlethik- und Fußballstadion in Lustenau ist nur eines von vielen Baukulturprojekten der letzten Jahre.

Foto: Gemeinde Lustenau

Baukultur bis in den kleinsten Maßstab. Buswartehäuschen von Antón García-Abril in Krumbach.

Foto: Adolf Bereuter

Klärschlammanlage in der Metallverarbeitungsgemeinde Ybbsitz.

Foto: Landluft/Herder

Ikea muss warten. Ikea, das kann nicht eine Gemeinde im Alleingang entscheiden. Ikea, das muss eine interkommunale Diskussion sein, an der sich die gesamte Region beteiligt. Während sich andere Bürgermeister bei so einer lukrativen Anfrage wohl alle zehn Finger abschlecken und sofort mit dem Bagger anrücken würden, schickt der Lustenauer Gemeindechef Kurt Fischer den schwedischen Möbelgiganten erst einmal auf die Wartebank. Man möchte nachdenken und die Konsequenzen studieren.

Die Strategie der Vorarlberger Rheintalgemeinde, die in den letzten Jahren mit temporären Bauten im öffentlichen Freiraum, mit zahlreichen Bürgerbeteiligungsprojekten und mit einem erstklassigen Gewerbekonzept auf sich aufmerksam machte, ist bei Weitem kein Einzelfall. Die Liste an visionären und überaus selbstkritischen Gemeinden, die sich ernsthaft mit Architektur, Raumplanung, Verkehrspolitik und nachhaltiger Bodenbewirtschaftung beschäftigen und damit gegen die Aushöhlung und kulturelle Zerstörung des ländlichen Raums ankämpfen, wird immer länger.

Ambitionierte Bauten

Vergangenen Donnerstag wurden die innovativsten Orte Österreichs im Palais Eschenbach in der Wiener Innenstadt mit dem Baukulturgemeinde-Preis 2016 ausgezeichnet. Nach 2009 und 2012 wurde die vom Verein LandLuft initiierte Auszeichnung damit bereits zum dritten Mal übergeben. Aus insgesamt 23 Bewerbungen wählte eine 17-köpfige Jury in einem mehrstufigen Verfahren mitsamt Vorortbesuchen drei Preisträger. Kurt Fischer, Lustenau, ist einer davon. Ebenfalls freuen dürfen sich Krumbach (Vorarlberg) und Ybbsitz (Niederösterreich).

"In den letzten Jahren haben wir in Lustenau einige ziemlich ambitionierte Bauten realisiert und auf Schiene gebracht", sagt Marina Hämmerle, ihres Zeichens externe Zentrumskoordinatorin. Und zählt auf: Revitalisierung des Naherholungsgebiets Alter Rhein, Eröffnung des Sozialzentrums mit betreuten Wohnungen und Seniorencafé, Masterplan-Erstellung und Erweiterung des Gewerbegebiets Millennium Park, Errichtung eines neuen Leichtathletik- und Fußball-Stadions, und dann gibt es noch den Skater-Platz Habedere und das sogenannte Feldhotel. Der temporäre Recyclingbau des Architekturkollektivs Kompott bot etlichen kulturellen Events eine Bühne und machte den Sommer 2014 auf diese Weise zum Urlaub in der Stadt.

Die Rückeroberung des Raums

"Der wichtigste Schritt wird jetzt sein, den Ortskern zu stärken und den von Autos besetzten Raum zurückzuerobern. Wie bisher wollen wir auch hier sehr stark auf Bürgerbeteiligung setzen", so Hämmerle. "Gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern werden wir einen Teil der Innenstadt zur Begegnungszone ausbauen. Aber das ist nur der Anfang, denn langfristig wird es darum gehen, die Altlasten der vorangegangenen Jahre und Jahrzehnte zu bereinigen und wieder mehr Wohnen, Handel und Freizeit ins Zentrum zu bringen."

Marina Hämmerle wird kurz still, denkt nach. Das Innehalten und Reflektieren scheint in Lustenau Tradition zu haben. Nach einer Weile schließlich: "Der Baukultur-Preis 2016 ist eine Bestätigung dafür, dass wir am richtigen Weg sind, und nimmt uns in die Pflicht dranzubleiben und weiterzutun."

Genau das ist auch die Motivation des Vereins LandLuft. "Es tut sich bereits wahnsinnig viel, und ich spüre ein verstärktes Bewusstsein im Umgang mit Bauen, mit Raumplanung, mit Ortsentwicklung, mit Energiethemen, mit allen möglichen Facetten von Nachhaltigkeit", meint der Vereinsvorsitzende Roland Gruber. "Unsere Aufgabe ist es, all diese Impulse vor den Vorhang zu holen und dafür zu sorgen, dass sich auch andere Gemeinden in Österreich daran ein Beispiel nehmen."

Hochwertige Konfitüre

Seit der Nachkriegszeit habe man alles daran gesetzt, den ländlichen Raum zu mobilisieren und das Automobil zum Gott zu erheben. Die Konsequenzen werde man noch viele Jahrzehnte lang ausbaden müssen. "Der Donut-Effekt macht die Gemeinden kaputt. Er zieht den Orten ihren Boden und ihre Identität weg, und er macht sie für kommende Generationen fad und unattraktiv. Es ist dringend an der Zeit, aus den Donuts wieder Krapfen zu machen. So richtig fette Omakrapfen mit sauguter Marillenmarmelade im Zentrum."

Jene hochwertige Konfitüre ist es auch, die die beiden Preisträger-Gemeinden Krumbach und Ybbsitz ins Rampenlicht stellen. Bereits in den Neunzigerjahren erarbeitete die Vorarlberger Gemeinde Krumbach ein basisdemokratisches Leitbild für Neubau, Sanierung, Baulandwidmung und Ortsentwicklung. "Fakt ist, dass wir in den letzten 60 bis 70 Jahren – wie überall in Österreich – viel zu viel Bauland gewidmet haben", erklärt Bürgermeister Arnold Hirschbrühl im Gespräch mit dem STANDARD. "Jetzt rudern wir wieder zurück und konzentrieren uns auf moderne, innovative, zum Teil kollektive Wohnmodelle im Ortskern."

Schmiede der Sensibilität

Dass es die 1000-Seelen-Gemeinde im Bregenzerwald mit seiner Ortskernstärkung ernst meint, beweist das Projekt Bus:Stop, das 2014 realisiert wurde. Sieben atemberaubende Buswartehäuschen von Architekten aus aller Welt wurden dabei quer über den Ort verstreut. Das Warten auf den Landbus mutiert seitdem zu einem bis zu 30-minütigen Studium zeitgenössischer Architektur. "Als Bürgermeister sehe ich es als meine Aufgabe, mit gutem Beispiel voranzugehen und die Sensibilität für Baukultur zu stärken. Und wenn es nur eine Bushaltestelle ist."

Dessen ist man sich auch in Ybbsitz bewusst. Von jeher zählt die Metallverarbeitungsgemeinde mit ihrer Jahrhunderte alten Schmiedetradition, die die Unesco als nationales, immaterielles Kulturerbe verzeichnet, zu den wohlhabenderen Orten Niederösterreichs. "Wer, wenn nicht wir! Wir haben das große Glück, auf wertvolle kulturelle Ressourcen zurückgreifen zu können, und diesen Wert müssen wir unbedingt weiterentwickeln", erklärt Bürgermeister Josef Hofmarcher. "Und ja, Baukultur ist ein Bekenntnis zu Qualität, die Zeit, Geld und Engagement kostet. Aber wenn wir immer nur alles daran gemessen hätten, was die billigste Variante ist, dann wären wir heute nicht da, wo wir sind."

Radikale Stahlbauten

Die dramatischen Worte des Chefs haben eine Entsprechung im Baulichen und Organisatorischen, die mehr als beeindruckend ist. Fast überall im Ort drängen sich moderne, bisweilen sogar radikale Stahlbauten ins Ortsbild – ob das nun ein Carport, ein Wohnhaus, ein Hotel mit temporären Apartments, ein Fußgängersteg über den Prollingbach oder eine Klärschlammanlage ist, die auf den ersten Blick sogar als Museum für zeitgenössische Kunst durchgehen würde.

Vor wenigen Monaten erst wurde die Revitalisierung des alten Schmiedehauses fertiggestellt. Das denkmalgeschützte Haus wurde mit Zimmern, Schlafsälen und öffentlichen Werkstätten ausgestattet und dient nun als Logis für Gäste aus aller Welt, die in Ybbsitz eine Lehre oder auch nur einen Freizeit-Schmiedekurs absolvieren. "Ja, ich bin stolz darauf, dass wir unsere Tradition weiterpflegen. Der Baukulturgemeinde-Preis ist ein wertvolles Prädikat, das uns stärkt, um motiviert weiterzumachen." (Wojciech Czaja, 31.1.2016)