Grafik: DER STANDARD

Kein Herumreden um den berühmten heißen Brei, keine Euphemismen mit Seitenteilen: Hier war der Zaun von Anfang an ein Zaun. Hier, das ist am bulgarisch-türkischen Grenzübergang Malko Tarnovo-Dereköy – am südöstlichsten Ende der Europäischen Union. Das bedeutet Ende Jänner nicht nur haufenweise Schnee und frostigen Wind, sondern auch eine eisige Wand des Schweigens. Die Grenzpolizei gibt keine Auskunft, Fotografieren ist theoretisch auch verboten, nur ein paar räudige Hunde sorgen für etwas Leben auf der Gebirgsstraße. Und so dominiert das dreieinhalb Meter hohe metallene Maschendrahtgebilde, ausgiebig verziert mit dem messerscharfen Nato-Stacheldraht, die Szenerie.

"Schön Willkommen in Bulgarien!" (sic!) steht neben dem Grenzzaun geschrieben.
Foto: Patrick Wally

293 Kilometer, 90 Meter und 70 Zentimeter: Exakt diese Länge hat laut Behörden die bulgarisch-türkische Grenze. Mit dem ersten drastischen Anstieg der Flüchtlingszahlen im Jahr 2013 hat Bulgarien in aller Eile mit dem Zaunbau begonnen und Soldaten an der Grenze stationiert. Einer davon patrouilliert in Malko Tarnovo, direkt am zweiten Teil der doppelten Zaunanlage. Mit grünem Helm, Gesichtsschutz und Maschinengewehr hat das schon etwas Beängstigendes an sich. Doch die Flüchtlinge lassen sich davon kaum aufhalten.

Der alte Grenzzaun aus der Zeit des Kalten Krieges.
Hoang

"Dieser Zaun ist ein Scherz"

"Dieser Zaun ist im Vergleich zu dem an der griechisch-türkischen Grenze ein Scherz", sagt Iliana Savova, Leiterin des Bulgarischen Helsinki-Komitees, "niemand lässt sich dadurch stoppen." Die Menschenrechtsorganisation beobachtet seit zwölf Jahren das Verhalten der Behörden an der EU-Außengrenze. Und in der Tat sind trotz Zauns die Flüchtlingszahlen in Bulgarien drastisch gestiegen. 6500 Übertrittsversuche konnten 2015 verhindert werden, doch sind 27.000 Flüchtlinge von der Türkei nach Bulgarien gelangt – ein Jahr davor waren es noch etwa 4000.

Inspektion am Grenzübergang.
APA/Angelika Kreiner

Dabei ist man doch in Bulgarien so stolz auf den Grenzzaun. Schließlich verfügt man als ärmstes Land der EU über eine hochmoderne Anlage mit Bewegungsmeldern, Bodenradar und Wärmebildkameras – bislang aber halt nur über eine Länge von knapp 30 Kilometern. Wenn er dann mal fertig ist, soll der Grenzzaun 160 Kilometer lang sein. Bis dahin aber ist es ein Leichtes, ins Land zu kommen. "Der Rezovo-Fluss ist derzeit nur bis zu 15 Zentimeter tief. Das wissen die Schlepper", nennt Sevdalina Gradeva eine von mehreren Übertrittsmöglichkeiten.

Sevdalina Gradeva versucht aufgegriffenen Flüchtlingen zu helfen.
APA/Angelika Kreiner

Die Caritas-Mitarbeiterin kennt sich hier im Grenzgebiet aus. Eigentlich kümmert sie sich in dem 3000-Einwohner-Ort Malko Tarnovo um die Krankenpflege, doch nebenbei versucht sie auch den aufgegriffenen Schutzsuchenden zu helfen. Diese werden 24 Stunden in einer ehemaligen Kaserne in Malko Tarnovo untergebracht, bis sie ins Verteilungszentrum nach Elhovo gebracht werden. Je nachdem, ob um Asyl angesucht wird oder nicht, geht es dann in eines der sechs Asylzentren oder in eine der beiden Abschiebeeinrichtungen in Lybimets oder Busmantsi in Sofia.

Hier in Malko Tarnovo werden die Flüchtlinge 24 Stunden lang untergebracht.
Hoang

Sevdalina Gradeva macht den Eindruck einer durchsetzungsstarken Frau – ohne sie wäre eine Inspektion des Grenzzauns überhaupt nicht möglich gewesen. Sie hat damit zu kämpfen, dass sie wie alle anderen auch keinen Zugang zur Einrichtung in Malko Tarnovo erhält und die Behörden offiziell keine Sachspenden annehmen dürfen. Doch immerhin hat Gradeva die Grenzpolizei so weit, dass sie – inoffiziell – angerufen wird, wenn wieder Flüchtlinge aufgegriffen wurden, damit sie sie mit dem Notwendigsten versorgt – Medikamente, Lebensmittel, Kleidung. Ihr Ziel ist es, irgendwann einmal als offizieller Partner der Behörden anerkannt zu werden.

"Größtes Verbrechen der Polizei"

Die Flüchtlinge, findet Gradeva, werden abgesehen davon von den Behörden gut behandelt, vor allem die Kinder. Damit widerspricht sie den Berichten zahlreicher NGOs wie Human Rights Watch oder eben das Helsinki-Komitee. Iliana Savova spricht vom "größten Verbrechen der Grenzpolizei": Rückschiebungen in die Türkei. "Oft wird die türkische Grenzpolizei angerufen, die die Flüchtlinge dann abholt", erklärt Savova. Auch Gewalt werde gegen die Schutzsuchenden eingesetzt, im vergangenen Jahr hat sie 24 derartige Fälle registriert.

Das Material für die Erweiterung des bulgarischen Grenzzauns liegt schon bereit.
Hoang

Auf dem Weg durch den Wald hinab vom Grenzübergang nach Malko Tarnovo dröhnen die Bagger, neben der Straße liegt genügend Material bereit, um den neuen Grenzzaun zu erweitern. Wer will, kann sich an den vielen Rollen vergewissern, wie scharf der Nato-Stacheldraht tatsächlich ist. An anderer Stelle sind noch Teile des alten Grenzzauns zu sehen, der aus dem Kalten Krieg stammt – harmlos aussehender knapp zwei Meter hoher Stacheldraht. Im Ort selbst essen vier Soldaten in einem Restaurant zu Mittag. Gut gelaunt lassen sie sich zu einem Foto überreden. Nur über die Arbeit, über die wollen sie nicht reden. (Kim Son Hoang aus Malko Tarnovo, 31.1.2016)