Enorm wandlungsfähige, illustrative Musik, großartiges Theater und der einzige Zahnarzt in der Titelpartie einer Oper: Corby Welch als McTeague (li.) und Seho Chang als Marcus Schouler.

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Linz – Dass die Gier nach Gold den Menschen ins Unheil führt, dieses Thema ist im Bereich des Musiktheaters spätestens seit Wagners Ring des Nibelungen weitflächig abgegrast. 1899, nur wenige Jahrzehnte danach, behandelte der US-amerikanische Schriftsteller und Emile-Zola-Fan Frank Norris in seinem Roman McTeague – A Story of San Francisco denselben Problemkreis in einem etwas realistischeren Ambiente: Ein grobschlächtiger Zahnarzt entfremdet sich von Frau und Freund ob des Streits um einen Lotteriegewinn und bringt beide dann letzten Endes um. Erich von Stroheim verfilmte Norris' Werk 1924 unter dem Titel Greed, und von Stroheims Stummfilm wiederum inspirierte den Komponisten William Bolcom zur Komposition seiner ersten Oper. Womit wir auch schon in Linz wären: Denn hier erlebte McTeague – Gier nach Gold 24 Jahre nach der starbesetzten Uraufführung seine europäische Erstaufführung.

William Bolcom ist in den USA eine prominente Größe im Musikleben: Der 1938 im Bundesstaat Washington geborene Komponist hat neben drei Opern und neun Sinfonien etwa Orchesterliedzyklen für Marilyn Horne und Placido Domingo sowie Solistenkonzerte für Yo Yo Ma und James Galway verfasst. Ausgebildet in den USA als auch in Europa – unter anderem von Darius Milhaud und Olivier Messiaen – hat sich Bolcom im Lauf der Jahrzehnte eine unerhört breite Palette an klanglichen und stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten erarbeitet, die das Beste beinhaltet, was zwei Kontinente und zwei Jahrhunderte Musikgeschichte so zu bieten haben.

Liebeswalzer und Rachearien

Mit flirrenden Klangflächen der hohen Streicher schildert Bolcom anfangs die Gluthitze des Death Valley, in dem sich McTeague vor den Kopfgeldjägern versteckt. In den zweieinhalb Stunden danach kommt einfach alles: drohende mikrotonale Cluster der Bläser, Jahrmarkt-Remmidemmi, Broadway-Sentimentalität und Operndramatik-Liebeswalzer, Rachearien und Ehestreitduette inklusive. Bolcom mischt tausend Stilingredienzien mit versierter Hand, seine komplexe, illustrative, sich chamäleonartig wandelnde Musik folgt dem Libretto von Arnold Weinstein und Robert Altman mit leichtem Schritt wie eine versierte Tänzerin ihrem Tanzpartner.

Wie schön, dass auch die Inszenierung von Matthias Davids traumhaft gut gelungen ist und beeindruckende Bilder bietet, sei es bei den Wüstenszenen oder dem handwerklich großartigen Trubel des Jahrmarkts und der Hochzeit – besser geht's nicht. Mathias Fischer-Dieskau hat ein wandelbares, wundervoll stimmungsvolles Bühnenbild gebaut, zusammen mit den Kostümen von Susanne Hubrich ergibt das ein ganz schön schräges Wild-West-Ambiente.

Und auch die Sänger sind großartig, allen voran Corby Welch als McTeague mit seinem kräftigen und doch auch weich-goldenem Tenor. Cigdem Soyarslan muss sich als McTeagues Gattin Trina Sieppe von der Klemmschwester zur Sexgöttin zur Zwangsfixierten wandeln, sie schafft das und singt dabei auch noch wunderschön. Bärenstark der Bariton des als angeschlagen angesagten Michael Wagner (als McTeagues Freundfeind Schouler), und Karen Robertson füllt die zwischen Komödie und Irrsinn aufgespannte Figur der Putzfrau Maria Miranda Macapa mit hochdramatischer Intensität und rollenadäquat schepperndem, schneidendem Mezzo.

Im Orchestergraben koordiniert Bolcom-Spezialist Dennis Russell Davies die Sänger, den tollen Chor (Leitung Georg Leopold) und das solide Bruckner-Orchester Linz mit fachmännischem Überblick. Begeisterung und Empfehlung. Wieder einmal zeigt das (noch) von Rainer Mennicken geleitete Linzer Landestheater, dass es auch an einem großen Haus möglich ist, interessante zeitgenössische Oper erstklassig inszeniert auf die Bühne zu bringen. (Stefan Ender, 8.2.2016)