In der Mitte liegt die Kraft – das mag anderswo stimmen, in der Mitte der fünf Lawinenwarnstufen liegt der Krampf. Warnstufe drei bedeutet erhebliche Lawinengefahr, angesiedelt zwischen mäßig (zwei) und groß (vier). Rein rechnerisch könnte man Skitouren bei drei vergleichen mit dem Einfahren auf eine Kreuzung beim Umschalten von Grünblinken auf Gelb. Aber das ist zu harmlos gedacht. Der Lawinendreier ist viel gefährlicher. "Todgeiler Dreier" heißt er auch, das schätzt das Risiko besser ein. Der überwiegende Großteil aller tödlichen Skifahrerlawinen wird bei drei ausgelöst.

So wieder passiert am Wochenende in der Wattener Lizum: 17 Tourengeher wurden verschüttet, fünf davon nur mehr tot geborgen. Der Hüttenwirt hatte den Lawinendreier ausgehängt und vor dem instabilen Schneeaufbau gewarnt. Umsonst. "Selber schuld" oder "Spinner" sind nach dem Unglück noch die freundlichsten Kommentare gewesen. Für Nichttourengeher ist die Entscheidung, bei solchen Verhältnissen loszugehen, auch völlig unverantwortlich. Trotzdem ein Bekenntnis: Ich habe Verständnis für besagte Unglücksgruppe aus Tschechien. Ich war an diesem Tag selber auf Skitour in den Tessiner Alpen – bei Lawinenwarnstufe drei.

Warum? Weil ich so wie die Tschechen nach Tirol eine weite Anreise in die Schweiz hatte und unbedingt eine Tour machen wollte. Weil die Neuschneefälle traumhafte Abfahrten versprochen haben. Weil nur für Freitag und Samstag Sonne und danach eine Schlechtwetterfront angekündigt war. Weil andere bereits losgegangen sind. Und entscheidend: weil der Lawinendreier keine wirkliche Entscheidungshilfe bietet. "Heiß oder kalt, das Laue speib ich aus!" heißt es anderswo. Das Gleiche gilt hier. Der Dreier wird von den meisten nicht als "erhebliche Gefahr", sondern als "vielleicht gefährlich" verstanden. Und "vielleicht" ist ein viel zu schwaches Stoppschild, wenn sicher schönes Wetter, sicher Pulver und sicher andere bereits auf dem Berg zum Hinaufgehen locken.

Dieses Unglück hat die Diskussion über schärfere Bezeichnungen für die Lawinenwarnstufen wiederangestoßen: Der Dreier sollte von "erheblich" in "groß", vier und fünf in "sehr groß" und "extrem" umbenannt werden. Ich bezweifle aber, dass diese gefährlicher klingenden Warnungen am grundsätzlichen Problem etwas ändern. Denn solange es in dieser Skala eine Mitte gibt, die so oder so gedeutet werden kann, bleibt die Entscheidung Skitouristen überlassen – die sich nur zu gern von den genannten Pull-Faktoren in Tiefschneehänge ziehen lassen.

Als Benützer von Lawinenwarnberichten würde ich mir deswegen eine Lawinenwarnskala ohne Mitte wünschen. Oder auf den Punkt gebracht: Bitte schafft den Dreier ab! Dunkelgrün und Hellgrün auf der einen Seite und Hellrot und Dunkelrot auf der anderen. Oder in Worten: geringe und mäßige sowie große und sehr große Lawinengefahr – das würde die Stop-or-go-Entscheidung für die Konsumenten von Lawinenwarnberichten leichter machen. Umgekehrt steigt damit die Verantwortung für die Verfasser dieser Bulletins, die mit dem Vielleicht-Dreier einen Unsicherheitsfreiraum haben und nicht gezwungen werden, eindeutig Position zu beziehen.

Im Unterschied zur tschechischen Gruppe wäre ich am Samstag aber nicht in einen Nordhang und in Hänge mit viel mehr als 30 Grad Neigung hineingegangen. Steil und schattig sind im Lawinenjargon die Umschreibung für tödlich. Soll heißen, trotz eindeutiger grüner oder roter Vorgaben seitens der Lawinenwarndienste wird es immer noch auf die Einschätzung vor Ort, auf Erfahrung und Instinkt ankommen. Selbst bei Warnstufe eins oder zwei kann es krachen. "Experte, pass auf! Die Lawine weiß nicht, dass du Experte bist", hat der Schweizer Lawinenexperte André Roch gewarnt. Er ist selbst dreimal verschüttet worden. Denn auch wenn der "todgeile Dreier" nicht mehr lockt, bleibt das Urteil Mathias Zdarskys gültig: "Der so unschuldig weiße Schnee ist nicht ein Wolf im Schafspelz, sondern ein Tiger im Lammfell." (Wolgang Machreich, 9.2.2016)