Stefan Michael Newerkla: "Die jüngere Generation tendiert – wohl aufgrund ihres Medienverhaltens – stärker zu Deutschlandismen."

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In den nächsten acht Jahren wird an fünf Instituten der Universitäten Wien, Salzburg und Graz aus den Mitteln des Forschungsförderungsfonds (FWF) der Spezialforschungsbereich "Deutsch in Österreich" durchgeführt. Mitte Jänner gab es dazu in Wien eine Kick-off-Veranstaltung.

Der Sprachdiwan-Blogger Nedad Memić hat mit Professor Stefan Michael Newerkla von der Universität Wien gesprochen, der dieses Gemeinschaftsprojekt zusammen mit vier anderen österreichischen Sprachwissenschafterinnen und Sprachwissenschaftern leitet.

Memić: Was verstehen Sie unter dem Begriff "österreichisches Deutsch"?

Newerkla: Der Begriff "österreichisches Deutsch" bezeichnet die Standardvarietät des Deutschen in Österreich, folgt man der Auffassung, dass die deutsche Sprache plurizentrisch ist.

Memić: Vergangenen September veröffentlichte der Grazer Germanist Rudolf Muhr einen Kommentar in der "Presse", der den Projektnamen "Deutsch in Österreich" kritisiert. Dieser würde österreichisches Deutsch als nationale Varietät des Deutschen zu wenig beachten ...

Newerkla: Besagter Gastkommentar zeugte gleich in mehrfacher Hinsicht von Unkenntnis, gerade auch was die Inhalte des bewilligten Spezialforschungsbereichs (SFB) "Deutsch in Österreich. Variation – Sprachkontakt – Perzeption" betrifft. Im SFB untersuchen wir ja die einmalige Vielfalt des Deutschen in Österreich, also alle seine sprachlichen Ausprägungen von den Dialekten über die Umgangssprache, Sonder- und Fachsprachen bis hin zur Standardsprache.

Memić: Der Spezialforschungsbereich "Deutsch in Österreich" ist ein achtjähriges, groß angelegtes Projekt mehrerer Universitäten. Was erhoffen Sie sich konkret von diesem Vorhaben?

Newerkla: Das übergeordnete Ziel des SFBs ist eine erstmalige und umfassende linguistische und soziolinguistische Untersuchung der Gesamtsprache Deutsch in Österreich aus der Perspektive der inneren und äußeren Mehrsprachigkeit. Insofern erhoffe ich mir als zentrale Endprodukte umfangreiche Analysen zu ebendieser inneren und äußeren Mehrsprachigkeit in Österreich mit einem Schwerpunkt auf ihren vielfältigen Varietäten und Sprachkontakten. Diese werden zugleich in eine online verfügbare Forschungsplattform zu "Deutsch in Österreich" münden, in der sämtliche Daten aufbereitet, klassifiziert und über verschiedenste Abfrage- und Suchmöglichkeiten zugänglich gemacht werden.

Memić: Wird diese Forschungsplattform auch einen allgemeinen Nutzen haben?

Newerkla: Selbstverständlich. Die Plattform soll nicht nur für Linguisten, sondern ganz allgemein für Sprachlerner, Sprachlehrer sowie für die interessierte Öffentlichkeit nutzbar sein.

Memić: In der Öffentlichkeit wird oft behauptet, lexikalische Besonderheiten des österreichischen Deutsch werden insbesondere von der jungen Generation zugunsten gemeindeutscher Lexik aufgegeben ...

Newerkla: Jede gesprochene Sprache wandelt sich und hat sich immer gewandelt, jene in Österreich ist da keine Ausnahme. Und wie wir wissen, tut sie das stärker altersspezifisch: Die jüngere Generation tendiert – wohl aufgrund ihres Medienverhaltens – stärker zu Deutschlandismen. Jedenfalls war dies eines der Ergebnisse einer vom FWF finanzierten Studie zur Rolle des österreichischen Standarddeutschen in seiner Funktion als Bildungs- und Unterrichtssprache an österreichischen Schulen, die Rudolf de Cillia, Jutta Ransmayr und Elisabeth Fink von der Universität Wien durchgeführt haben. Es gibt aber nach wie vor auch Austriazismen, die noch generationsübergreifend bevorzugt Verwendung finden, wie zum Beispiel Jänner statt Januar.

Memić: Ein wichtiger Projektteil ist die Erforschung der sprachlichen Variation in Österreich. In welche Richtung geht der Sprachwandel in Österreich?

Newerkla: Fragen Sie uns das am besten am Ende der Projektzeit. Da sich Sprachwandel in der Regel evolutionär vollzieht, ist zunächst einmal eine empirische Beobachtung über einen längeren Zeitraum erforderlich, um eine genaue linguistische Bewertung der damit in Zusammenhang gebrachten Phänomene vornehmen zu können.

Memić: Sie koordinieren jenen Teil des Spezialforschungsbereichs, der den Sprachkontakt mit dem Tschechischen und Slowakischen berücksichtigt. Ist dieser Kontakt immer noch vorhanden, oder wurde ihm mit dem Ende der Monarchie ein Ende gesetzt?

Newerkla: Hier muss ich Sie korrigieren. Im Rahmen des SFB leite ich den Cluster zum Sprachkontakt im Allgemeinen, und da geht es nicht nur ums Tschechische und Slowakische. Konkret werden zwei Bereiche abgedeckt: Im Rahmen des Teilprojekts "Deutsch im Kontext mit den anderen Sprachen im Habsburgerreich (19. Jahrhundert) und in der Zweiten Republik Österreich" werden etwa Aspekte des Bi- beziehungsweise Multilingualismus und der sprachpolitischen Leitlinien in Verwaltung, Recht sowie insbesondere im Schulwesen und die daraus hervorgegangenen Konflikte und Diskurse über ideologische und identitätsspezifische Wissenskonzepte zu Deutsch in Österreich untersucht.

Im zweiten Teilprojekt "Deutsch und slawische Sprachen in Österreich: Aspekte des Sprachkontakts" wollen wir einen umfassenden Überblick sowie die detaillierte Analyse von Sprachkontakteinflüssen auf die Varietäten von Deutsch in Österreich durch die Geschichte, insbesondere im Einzugsgebiet von Wien erstellen. Zu diesem Zweck wird aus historisch-diachroner Sicht vor allem der Sprachkontakt mit dem Tschechischen fokussiert, aber natürlich betrachten wir auch die anderen Slavinen.

Memić: Ich konnte bisher nicht herausfinden, ob im Rahmen des Forschungsbereichs etwa Sprachkontakte untersucht werden, die im Zuge der neuen Migration zustande kommen, zum Beispiel mit dem Türkischen oder dem Bosnischen/Kroatischen/Serbischen. Beeinflussen Zuwanderersprachen etwa nicht das Deutsche in Österreich?

Newerkla: Natürlich tun sie das. Wie gesagt, die Kontakte mit diesen Sprachen – man darf hier neben den erwähnten Sprachen nicht auf das Polnische, Russische, Ungarische und andere vergessen – sind als vorrangiger Untersuchungsgegenstand für die zweite Projekthälfte des SFB vorgesehen. Es handelt sich im Cluster zum Sprachkontakt also nicht etwa um slawistische Teilprojekte per se, sondern solche, in denen slawischen Sprachen eine besondere Rolle zukommt. Dies geschieht aber immer vor dem Hintergrund, dass hier Sprachkontakteinflüsse auf die Varietäten von Deutsch in Österreich im Zentrum des Erkenntnisinteresses stehen.

Memić: Sie untersuchen unter anderem die Sprachen unserer Nachbarn in Zentral- und Osteuropa. Haben Österreicher seit der Wende ihre Einstellung zum Lernen des Tschechischen, Slowenischen oder Ungarischen geändert?

Newerkla: Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gab und gibt es viele Initiativen und Angebote, um den Erwerb dieser Sprachen zu fördern, die von der Bevölkerung durchaus mit Wohlwollen aufgenommen wurden und werden. Im Vergleich zu früher gilt es heute etwa nicht mehr als verquer, wenn sich jemand für diese Sprachen interessiert oder sie sogar studieren will. Aber die Bereitschaft, eine Sprache Mittel-, Ost- und Südosteuropas zu erlernen, ist sicher nicht eklatant gestiegen. (Nedad Memić, 11.2.2016)