Berichte, Interviews, Analysen: Thema Nummer eins war am Wochenende das "politische Erdbeben" auf der Grünen Insel, die die irische Innenpolitik vor gänzlich neue Herausforderungen stellt.

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Die Iren haben sich für die Sparpolitik gerächt, obwohl diese offiziell beendet ist, dem Land ein Rekordwachstum und ein nahezu ausgeglichenes Budget beschert hat. Die bürgerliche Fine-Gael-Partei von Enda Kenny fiel von 36,1 Prozent (2011) auf 25,5 Prozent zurück. Ihre Sitzverluste werden indes weniger drastisch ausfallen. Fine Gael bleibt die größte Fraktion, wenn der Dáil, das Abgeordnetenhaus, am 10. März erstmals zusammentritt.

Besonders erbarmungslos gingen die Wähler mit Kennys Koalitionspartner, der gemäßigt sozialdemokratischen Labour-Partei, um. Sie stürzte von 19,4 auf 6,6 Prozent ab.

Der Kollaps von Labour begünstigte die strengeren Linksparteien. Sinn Féin, einst aus der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) hervorgegangen, verbesserte sich von 9,9 auf 13,8 Prozent, blieb aber unter den Erwartungen. Dafür errangen andere, eher spontane Links-Gruppen, die zuletzt wie Pilze aus dem Boden gesprossen waren, zusätzliche Wähler und Mandate. Die Wahlbeteiligung lag mit 65,2 Prozent rund fünf Prozentpunkte unter jener von 2011.

Als eigentliche Siegerin darf die Fianna-Fáil-Partei gelten, die 2011 von den Wählern bestraft worden war, weil sie für die Wirtschaftskrise verantwortlich gemacht wurde. Sie vermochte ihren Stimmenanteil von 17,4 auf 24,3 Prozent zu steigern. Sie wird künftig die zweitgrößte Fraktion stellen.

Fine Gael und Fianna Fáil unterscheiden sich ideologisch kaum. Eine Koalition galt bisher als undenkbar, weil ihre Vorväter vor beinahe einem Jahrhundert einen Bürgerkrieg gegeneinander geführt hatten. Doch das jüngste Verdikt der Wähler stellt dieses Dogma nun grundsätzlich infrage.

Große Koalition doch möglich

Zum ersten Mal in der Geschichte des unabhängigen Irland haben diese Parteien, die sich stets an der Führung abgewechselt hatten, marginal weniger als die Hälfte der Stimmen erhalten. In ersten Stellungnahmen haben die Parteichefs eine Koalition nicht förmlich ausgeschlossen. Sinn Féin schloss aber Koalitionen als Juniorpartner explizit aus; man will nicht dasselbe Schicksal wie Labour erleiden. Nur an der Spitze einer Allianz stünde die Partei zur Verfügung, doch diese ist arithmetisch nicht praktikabel.

Sollten sich die beiden dennoch verbünden, würde die bisherige Wirtschafts- und Steuerpolitik in groben Umrissen weitergeführt, mit Zugaben für die Bürger aus den erwarteten Überschüssen. Sinn Féin wäre dann führende Oppositionspartei; die Parteienlandschaft würde sich an Muster angleichen, die dem restlichen Europa vertraut sind. Vorgezogene Neuwahlen dürften daran nichts ändern. (Martin Alioth aus Dublin, 29.2.2016)