Beim Essen ist die Integration von Menschen aus verschiedenen Kulturen ...

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... oft leichter als beim Wohnen.

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Heinz Fassmann, Vorsitzender des Integrationsbeirats im Außen- und Integrationsministerium von Sebastian Kurz, kennt die Zahlen genau – und sie sind dramatisch. Er rechnet damit, dass von den 90.000 Flüchtlingen, die im Vorjahr Asylanträge gestellt haben, 50.000 im Land bleiben werden – und dies zusätzlich zu einer ähnlich starken normalen Zuwanderung.

Der Wohnbau müsse mehr leisten, als nur Neubewohnern Unterkunft zu bieten, betonte er in seinem Referat beim Wohnsymposium: "Dazu kommt die Verkleinerung der Haushalte, ein Ersatz für Abrisse, die Verbesserung der Qualität. Man müsste aber jetzt alles, was sonst im Wohnbau getan wird, nur für die Befriedigung dieses Zuwachses nutzen, damit es sich ausgeht."

Herausforderung für Ballungsräume

Vor allem die Ballungsräume stünden vor riesigen langfristigen Herausforderungen, betonte der Vizerektor für Internationales an der Universität Wien. "Sobald Menschen Asyl erhalten, setzt die Sekundärmigration in die großen Städte ein. Man muss den Städten erlauben, etwas Luft zu holen. Daher sollte man schauen, dass die Asylberechtigten eine Zeitlang dort bleiben, wo sie ihren Wohnsitz haben."

Fassmann regt daher eine Diskussion über eine Residenzpflicht an, die etwa an die Auszahlung von Sozialleistungen gekoppelt werden könnte. Für die jüngsten Schritte der Regierung zur Begrenzung der Asylanträge hat Fassmann Verständnis, denn: "Ohne Maßnahmen hätten wir 2016 mehr Zuwanderer als 2015, denn Wanderung produziert Wanderer. Und eine ungebremste Zuwanderung über mehrere Jahre würde die Republik vor gewaltige Probleme stellen."

Mit den Herausforderungen, der Zuwanderung beschäftigen sich Österreichs Gemeinnützige schon seit 20 Jahren, betonte Sozialbau-Chef Herbert Ludl. "Wir sind die einzigen Vermieter, die sich um mehr kümmern als die Hausverwaltung, nämlich die Integration." Dies sei auch notwendig, denn "der Wohnort ist der Ort schlechthin, wo umfassende Integration geschieht, und das 24 Stunden am Tag – nicht die Schule oder der Arbeitsplatz. Am negativen Beispiel von Parallelgesellschaften im Ghetto erkennt man gut, welche Gestaltungskraft der Wohnort besitzt, im Guten wie im Bösen."

Vorzeigemodell für Integration

Auch Ludl verweist gerne auf den "Globalen Hof" der Sozialbau in Wien-Liesing, der vielen als Vorzeigemodell für gelungene Integration dient. Folgende Grundsätze leitet er aus der Erfahrung seines Unternehmens ab:

· Bewohnermix: Maximal die Hälfte der Bewohner eines Wohnhauses sollten Zuwanderer sein, und keine Ethnie sollte innerhalb dieses Anteiles überhandnehmen.

· Freiwilligkeit: Es müsse freie Wahl der Kunden herrschen statt Wohnungszuteilung. Österreicher würden allerdings nur einziehen, wenn die Qualität stimmt, sagt Ludl, "denn sie sind verwöhnt."

· Bezugsperson vor Ort: Es brauche jemanden, "den man ansprechen kann, der vermittelt und die Regeln durchsetzt – eine Mischung aus Koordinator, Beichtvater und strengem Sheriff".

· Gemeinschaftseinrichtungen: Praxistaugliche Gemeinschaftsräume sind für Ludl ein Schlüssel für Integration: "Wir brauchen eine gewisse Zahl an Begegnungsmöglichkeiten, wo man sich trifft und austauscht. Denn sonst kennen sich die Leute nicht und grüßen einander nicht, dann wird vieles viel schwerer."

· Leistbarkeit und Qualität: Und schließlich müssten Wohnungen für Zuwanderer erschwinglich und für alteingesessene Bürger attraktiv sein, betont Ludl. Dies gelinge nur im gemeinnützigen geförderten Wohnbau.

Und nur große, zentral geplante Wohnanlagen könnten all diese Kriterien erfüllen, meint der Sozialbau-Chef. "Zu glauben, dass man es mit Baugruppen schaffen kann, diese Wohneinheiten zu schaffen, ist eine Illusion." Dem widersprach Fassmann: "Große Objekte neigen zu Segregationserscheinungen, kleine gemischte sind integrativer."

Schaffen von etwas Neuem

Ob groß oder klein – für Sabine Pollak vom Architekturbüro Köb & Pollak ist eine gelungene Architektur der Schlüssel für Integration. Und Integration bedeute vor allem das Schaffen von etwas Neuem.

Pollak: "Das heißt für den Wohnbau übersetzt: Nicht die Zuwanderinnen sollen sich in unsere 75-Quadratmeter-und-drei-Zimmer-Wohnungen mit Loggia und Miniaturkellerabteil integrieren. Sondern: Unsere Wohnkonzepte verbinden sich mit den Wohnvorstellungen und Ökonomien von Zuwanderinnen und ergeben neue Typen, neue Hausformen und neue Ökonomien des Wohnens. Davon können wir alle profitieren."

Für die Vizerektorin der Kunstuniversität Linz sollte das Ziel des integrativen Wohnbaus die "maximale Inklusion" sein – oder noch breiter gefasst:"eine offene, inkludierende, leistbare, dichte und komplexe Stadt."

Zuwanderung als Chance

Die Zuwanderung sei eine Chance, festgefahrene Strukturen im geförderten Wohnbau aufzubrechen und Neues auszuprobieren, glaubt Pollak: "Neben den jetzigen Wettbewerben für maßangefertigte Schuhe könnte es geben: Wettbewerbe für Wohnbau in Vorfertigung, für Serienbau, für experimentellen Wohnbau, Wettbewerbe für kreative Lösungen jener Frage, wie eine geringere Ausstattung zu einer höheren Qualität wird." Doch dafür müssten Wohnpolitiker viel mehr mit Architekten sprechen und zusammenarbeiten, als es derzeit geschieht. (Eric Frey, 7.3.2016)