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Cato der Ältere soll jede Rede im Senat mit "Ceterum censeo Carthaginem esse delendam" – Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss – beendet haben. Der Dritte Punische Krieg (149-146 v. Chr.) beendete die Feindschaft zwischen Rom und Karthago mit Karthagos Zerstörung.

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Angefeindet, weil er über Feinde schreibt: Wilhelm Schmid.

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STANDARD: Eigentlich ist doch jeder und jede froh, wenn man keine Feinde hat, die einem das Leben schwermachen. Dann kommen Sie und widmen dem "Nutzen der Feindschaft" (Insel-Bücherei, Berlin 2015) ein ganzes Buch. Cui bono – wem nutzt die Feindschaft?

Schmid: Wichtig ist, festzustellen: Nicht wir selbst entscheiden, ob wir Feinde haben. Darüber entscheiden andere, und selbstverständlich gibt es die Möglichkeit, auf diese Menschen zuzugehen und zu sagen: Ich bin nicht dein Feind – und schauen, was passiert. Ich vermute, in den meisten Fällen geht niemand auf den anderen zu und reicht ihm die Hand, und für den Fall, dass, nimmt der Feind die Hand nicht an.

STANDARD: Das klingt stark nach "Feindesliebe". In der Bibel heißt es ja bei Lukas: "Euch allen sage ich: Liebt eure Feinde und tut denen Gutes, die euch hassen." Schwierig ...

Schmid: Genau, daraus folgt, in der Familie, in der es Auseinandersetzungen über das Erbe gibt, oder im Schrebergarten, wo es über den Gartenzaun hinweg Feindschaft gibt, soll einer auf den anderen zugehen und ihm die Hand reichen. Wie wahrscheinlich ist das, dass das in der Familie und im Garten geschieht? (lacht) Es ist nahe null. Darauf gründet sich mein Buch. Ich bin keiner, der Feindschaft fördern will oder für toll hält, sondern ich bin ein Realist und habe beobachtet, Menschen haben Feinde, obwohl sie gar keine Feinde haben wollen, und sie sind nicht sehr gut darin, das göttliche Feindesliebegebot umzusetzen.

STANDARD: Sie sagen, es gebe sogar Indizien für die "Notwendigkeit von Feindschaft", welche sind das?

Schmid: Wenn ich das Leben betrachte, dann scheint es überall polar aufgebaut zu sein. Es gibt in keinem menschlichen Leben nur Erfolg, es gibt auch Misserfolg. Es gibt nicht nur Lüste, auch Schmerzen, nicht nur Gesundheit, auch Krankheit. Daraus folgere ich, dass es zu einem positiven Phänomen eines Lebens immer auch ein negatives geben muss. Es gibt Liebe und Freundschaft, also muss es auch das Gegenstück geben.

STANDARD: Gibt es zwischen Hass und Feindschaft einen Unterschied?

Schmid: Feindschaft geht meist mit Hass einher und zielt auf Zerstörung des anderen ab – psychische und in manchen Fällen auch physische. Das ist der Unterschied zur Gegnerschaft. Die Gegnerschaft zwischen Fußballvereinen zielt nicht auf Zerstörung des Gegners, die will nur in diesem Spiel den Gewinn davontragen.

STANDARD: "Dem Klugen nützen seine Feinde mehr als dem Dummen seine Freunde", zitieren Sie Baltasar Gracián aus dem "Handorakel" aus dem 17. Jahrhundert. Kann in einer Feindschaft irgendein versteckter Sinn stecken?

Schmid: Wenn wir voraussetzen, dass wir Feindschaft sowieso nicht loswerden, weil es sie nun mal gibt, dann hat es Sinn, nachzudenken, ob wir darin eventuell Sinn erkennen können, und das scheint mir der Fall zu sein. Ein Sinn kann darin liegen: Der Feind ist sehr aufmerksam auf meine Schwächen, das sind auch unsere Freunde, aber entweder sagen sie uns das nicht, oder sie machen das sehr dezent. Der Feind macht das mit aller Brutalität, sodass es uns wehtut. Genau das ist der Anlass, an diesen Schwächen zu arbeiten.

STANDARD: Angenommen, ich hätte einen Feind, eine Feindin. Wie gehe ich am besten mit ihm oder ihr um?

Schmid: Die erste Umgangsform ist immer, zu prüfen, ob ich auf den Feind zugehen und ihm die Hand reichen kann. Wenn ich das nicht fertigbringe oder vermuten muss, dass das ohne Erfolg bleibt, kann ich über den nächsten Schritt nachdenken. Ich bin so vorsichtig, weil ich mittlerweile sehr viele Anfeindungen bekomme wegen dieses Feindschaftsbuchs. Die Menschen sind gegen Feindschaft, aber sie feinden den an, der darüber spricht. Wenn wir also mit Feindschaft leben müssen, ist es sinnvoll, nicht auf Zerstörung zu zielen. Das wäre inhuman, es würde aber auch bedeuten, der Feind kommt uns abhanden und wir haben keinen Gewinn mehr durch ihn. Ein möglicher Gewinn ist: Liebe und Freundschaft werden viel wertvoller, wenn wir auch Feindschaft erfahren.

STANDARD: Wenn wir uns schon mit Feinden arrangieren sollen, dann gesittet. Sie verweisen auf Freiherr von Knigge, laut dem man nur gegen "mächtige, siegende Feinde" kämpfen soll, nicht gegen unglückliche und schon besiegte. Gibt es nicht satisfaktionsfähige Feinde?

Schmid: Ja, natürlich. Je nachdem, ob das Gegenüber vielleicht aus einer psychischen Not heraus zu einem Feind geworden ist oder ob er ein triumphierender Feind sein will, kann ich meine eigenen Maßnahmen überlegen. Es ist jedenfalls sicher kein Ausweis von Souveränität, jemanden fertigzumachen, der selber schon fertig ist.

STANDARD: Vom früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß stammt das Zitat: "Feind, Todfeind, Parteifreund". Welches Potenzial hat das Etikett "Feind" als politische Kategorie?

Schmid: Ich war in meiner Jugend selbst drei Jahre in der Politik tätig und kann diese Aussage bestätigen. Die Steigerung ist der Parteifreund. (lacht) Das ist der allergrößte Feind. Aus einem sehr einfachen Grund: Der konkurriert um dieselben Ressourcen, während die andere Partei um andere oder zum Teil andere konkurriert, insofern sollte man sich vorsehen, wenn man in die Politik geht. Dann ist Feindschaft gebucht – zur anderen Partei und in der eigenen. Wer ein starkes Bedürfnis nach Feindschaft hat, wer Feinde sucht, ist in der Politik am richtigen Ort.

STANDARD: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache bezeichnete unlängst Kanzler Werner Faymann (SPÖ) wegen dessen Flüchtlingspolitik als "Staatsfeind". Juristisch gibt es den Begriff in Österreich gar nicht, aber wie würden Sie das einordnen?

Schmid: Das ist ein typischer Versuch, jemanden zum Feind zu erklären und dann zu vernichten, in diesem Fall politisch zu vernichten. Das lässt Rückschlüsse zu auf die mangelnde Souveränität dessen, der so eine Attacke reitet.

STANDARD: Mit Blick nach Syrien – was entgegnen Sie Menschen, die sagen, angesichts solcher, ja, Todfeindschaften, die Millionen Menschen in die Flucht zwingen und viele Tote fordern, ist die Rede vom Feindesnutzen etwas akademisch?

Schmid: Nutzen der Feindschaft kann sich auch erst über längere Zeit hinweg zeigen. Auch hier gilt: Feinde machen uns möglicherweise auf eigene Schwächen aufmerksam. Das kann auch eine militärische Schwäche sein. Es ist immer gut zu sagen, wir wollen abrüsten, aber erfahrungsgemäß betrifft das nie hundert Prozent der Parteien, es genügt, dass eine Partei nicht abrüstet – sie zwingt alle anderen in Habtachtstellung. Was den Konflikt in Syrien angeht, gibt es den sogenannten "Islamischen Staat", der zeigt, dass er zu allem bereit ist, Kopfabschneiden inklusive. Ich fürchte, darauf wird es nur eine feindselige militärische Antwort geben. Und es gibt Kriegsparteien in Syrien, mit denen es möglicherweise doch sinnvoll ist, das Gespräch zu suchen, was mittlerweile auch gemacht wird. Solange es irgendwie möglich ist, zu vermitteln, soll das gemacht werden, keine Frage, aber ich will nicht ausweichen: Es kann der Zeitpunkt kommen, wo es keine Vermittlung mehr gibt, sondern wo tatsächlich nackte Gewalt über eine Frage entscheidet.

STANDARD: Es gibt also politische Situationen, in denen es richtig ist, jemanden als Feind zu bekämpfen?

Schmid: Die Gretchenfrage ist: Zielt der andere auf meine Zerstörung? Wenn ich trotz aller distanzierten Analyse zum Schluss kommen muss, es gibt sichere Indizien dafür, dass meine Zerstörung, auch physisch, beabsichtigt ist, dann gibt es einen Kampf um Leben und Tod. Und ich bin sehr dafür, sich dann nicht rauszureden und Ausflüchte zu suchen, sondern sich für diesen Moment zu wappnen.

STANDARD: Welche Rolle spielen "spielerische" Arten, mit dem Bösen oder mit Feinden umzugehen? Sie nennen die griechische Tragödie und die Katharsis dadurch.

Schmid: Davon halte ich sehr viel. In der Kulturgeschichte ist zu allen Zeiten gespielt worden. Kultur ist zu einem guten Teil die Verlagerung des Bösen auf die Seite des Spiels, um diesen Impuls, den alle Menschen in sich tragen, auf diese Weise loszuwerden oder jedenfalls niedrig zu halten. Ich beobachte sehr die Konjunktur des Krimis, den gab es ja typischerweise vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg nicht, jedenfalls nicht in dem Umfang wie heute. Da hatten die Menschen leider andere Gelegenheiten, sich auszutoben, und haben damit schlimme Erfahrungen gemacht. Wovon ich sehr viel halte, ist die alltägliche Bosheit.

STANDARD: Erklären Sie das bitte.

Schmid: Alle halten Bosheit natürlich für schlecht, aber alle pflegen sie. (lacht) Lasst uns doch offen über solche Dinge sprechen, dann können wir das gezielt und kultiviert einsetzen. Wer zur alltäglichen Bosheit in der Lage ist, der braucht kein Böses mehr. (Lisa Nimmervoll, 12.3.2016)