Das niederländische Konsortium Energiesprong/Platform 31 will Haussanierungen "industrialisieren": Kameradrohnen nehmen die Maße, Fassadenelemente werden im Werk vorbereitet, die Montage kann in einem Tag erfolgen.

Foto: Energiesprong/Platform31

"Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen manche eine Mauer und andere ein Fenster." Jonathan McDonald, Gründer des britischen Beratungsunternehmens Thought Expansion Networks und so etwas wie der Motivationsguru für Veränderungsprozesse, plädierte in seiner Keynote-Rede zur Urban-Future-Konferenz vergangene Woche in Graz natürlich dafür, dem zitierten chinesischen Sprichwort folgend ein Fenster zu bauen. "Es gibt keine Mauer, die groß genug ist, um Veränderungen aufzuhalten." Besser ist es also, Veränderungen aktiv mitzugestalten.

Stadt als Organismus

Die Redner der Konferenz – Architekten, Politiker, Wissenschafter – traten an, um die Veränderungen vorwegzunehmen, die uns Klimawandel und Dekarbonisierung, neue Technologien und neue Politik- und Wirtschaftsmodelle bringen. Ein guter Ort, um sich eine Zukunft, die heute schon am Reißbrett, in Labors oder Pilotprojekten existiert, in großer Umsetzung vorzustellen. Eine Stadt, die von Green Buildings, Bürgerbeteiligung und Fahrradfahrern geprägt ist. Eine Stadt als ganzheitlich durchgeplanter Organismus, in dem dennoch die Bedürfnisse des Menschen im Vordergrund stehen, und das alles auch noch in einem funktionierenden wirtschaftlichen Rahmen.

Die besten Momente solcher Veranstaltungen sind jene, wenn aus den visionären Allgemeinplätzen konkret umrissene Projekte und Anwendungen hervortreten. Zum Beispiel bei der banalen Frage, wie wir zigtausende Gebäude, die den künftigen Energiestandards nicht genügen, nachrüsten können. Wie werden wir renovieren?

Die Kräfte der Natur nutzen

Unter dem Titel "Challenge of the Century: upgrading Europe's building stock" näherten sich verschiedene Redner dem Thema aus recht unterschiedlichen Richtungen an. Brian Cody von der Universität Graz zeigte kreative, individuelle und wissenschaftsorientierte Lösungen zur Maximierung der Energieperformance von Bauwerken. Es gilt, die Kräfte von Natur, Wind, Sonne oder die Wärmestrahlung des Menschen zu nutzen.

Um der alten Substanz des Neuen Museums Berlin ein neues Innenleben zu verpassen, wurde das Gebäude beispielsweise völlig neu konfiguriert, um den optimalen Energieoutput zu erreichen, hob Cody hervor. Archiv und Arbeitsplätze wurden getrennt und im Archivteil alle Fenster zugemauert. Allein die thermale Masse des massiven alten Gebäudes wurde für seine Klimatisierung genutzt. Ein Passivarchiv.

In Europas Städten würde in 50 Jahren die Hälfte der Gebäude neu gebaut sein, so Cody. Es gilt die Erneuerung im Sinne der Energieeffizienz gut zu koordinieren.

Der Mensch im Zentrum

So wie Cody die Energie ins Zentrum rückte, stellte Ruth Mourik vom niederländischen Forschungs- und Beratungsunternehmen DuneWorks den Menschen in den Mittelpunkt. Sie malte ein Bild eines Sanierungsprozesses, in dem die Hausbenutzer nicht nur überredet und informiert werden, sondern selbst mitgestalten. Projektbetreiber müssten demnach auf die Bedürfnisse und Individualität der Bewohner eingehen, nicht für einen Durchschnitt bauen, sondern etwa verschiedene "Sanierungspackages" anbieten. Die Leute kümmern sich nicht um Energie, sie kümmern sich um ihr Leben, so die Grundaussage Mouriks.

Den Leuchtturmprojekten und visionären Vorausblicken gegenüber steht die Forderung, eine große Anzahl von Wohnbauten schnell, umweltfreundlich und sparsam zu Niedrigenergiehäusern zu machen.

Sanierung innerhalb eines Tages

Hier kommt Ron Van Erck vom niederländischen Konsortium Energiesprong/Platform 31 ins Spiel. Er zeigte eine Perspektive, wie das einfache, in Reihe gebaute Einfamilienhaus in seinem Land kostengünstig saniert werden kann – und das im besten Fall innerhalb eines Tages.

Dafür fließen industrielle Techniken und individuelle Anpassung ineinander. Kameradrohnen überfliegen Siedlungen. Das so gewonnene Datenmaterial wird zur Basis für maßgeschneiderte Fassadenelemente, die dann samt Haustechnik, die in den Modulen selbst verbaut wird, kurzfristig angebracht werden. "Heute bauen Handwerker bei jedem Haus einen neuen, individuellen Prototypen", so Van Erck. Für ihn ist diese Vorgangsweise nicht zeitgemäß.

Die neue Sanierungstechnik vergleicht er mit Produktionszyklen in Autowerken: effiziente Produktion, die sich mit jeder Generation verbessert. Für die Kunden sollen sich Einsparungen bei Strom und Gas und erhöhte Miete durch die Sanierungen ausgleichen. Die Stadtvisionen können also auch weniger glamourös, dafür um so pragmatischer sein. (Alois Pumhösel, 11.3.2016)