Hochkarätiges Podium: Randall Hansen, Johannes Hahn, Moderator Franz Karl Prüller von der Erste Stiftung, Melissa Fleming, Kilian Kleinschmidt, Gerald Knaus (von links).

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Wien – In der Krise der europäischen Flüchtlingspolitik ist derzeit nach dem Gipfel gleich wieder vor dem Gipfel: Schon Donnerstag und Freitag diese Woche findet die Fortsetzung des EU-Regierungschefs-Treffens von vergangenem Montag statt – ein Termin, dem EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn mit gewissem Zweckoptimismus entgegensieht.

Angesichts um sich greifender Einzelmaßnahmen – sprich: weiterer Zaunbaupläne, unterstützt etwa von Österreich (Artikel unterhalb) – sei in den 28 EU-Staaten großteils begriffen worden, "dass es eine gemeinsame Lösung braucht, weil ein solches Rodeo sonst auch bei anderen Themen droht": Das sagte Hahn bei der dritten und vorerst letzten "Europa im Diskurs"-Diskussion am Sonntag im Wiener Burgtheater.

"Noch ein bisschen humpy"

"Noch ein bisschen bumpy" (holprig, Anm.) sei diese Erkenntnis. Doch "mit politischem Willen" sei eine grundsätzliche Einigung auf eine gemeinsame Asylpolitik der EU kurzfristig erreichbar", meinte der EU-Kommissar.

Beim Gipfel am kommenden Donnerstag wird es indes vorrangig um die Frage der Zusammenarbeit mit der Türkei gehen. Diese sei unabdingbar, um eine "Orbánisierung" der EU zu verhindern, sagte der Vorsitzende des Thinktanks Europäische Stabilitätsinitiative (Esi), Gerald Knaus, bei der vom Standard, der Erste-Stiftung und dem Institut für die Wissenschaften vom Menschen organisierten Veranstaltung.

Griechenland, alleingelassen

Dabei gehe es um nichts weniger als um "die Seele Europas". Denn würde Griechenland, dessen Seegrenze zur Türkei nicht befestigbar ist, längerfristig mit den Ankommenden alleingelassen, so wäre das der Beweis. "dass es für ein Land gar nichts bedeutet, Mitglied der EU zu sein". Und das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR wäre dann längerfristig in der "überraschenden Lage, nicht mehr nur in den armen Regionen der Welt, sondern auch im reichen Europa operativ tätig sein zu müssen", wie es UNHCR-Sprecherin Melissa Flemming ausdrückte (siehe Seite drei).

Knaus' Thinktank Esi hatte im September 2015 die großen Züge jenes Plans entworfen, der der- zeit zum Beschluss auf dem Tisch der EU-Regierungschefs liegt. Benannt ist er nach seinen wichtigsten Befürwortern, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem niederländischen Sozialdemokraten Diederik Samsom. Der Plan sieht Visaliberalisierung für türkische Staatsbürger, EU-Gelder für Flüchtlingshilfe an die Türkei sowie großzügige Ressettlement-Programme von Syrern in die EU im Gegenzug zur Bereitschaft Istanbuls vor, Schutzsuchende aus Griechenland zurückzunehmen.

Wichtig, so Knaus, sei Letzteres vor allem, um zu signalisieren, dass die EU die Kontrolle über ihre Außengrenzen habe: eine Aussage, der Hahn ebenso zustimmte wie Randall Hansen, Politologe an der Mink School of Global Affairs der Universität Toronto.

Kontrolle gegen Chaosgefühl

Denn nur wenn den Bürgern Europas glaubhaft vermittelt werde, dass diese Kontrolle bestehe, werde der verbreitete, von Rechtspopulisten und Faschisten benutzte Eindruck schwinden, dass in Sachen Flüchtlinge Chaos herrsche, meinte Hansen. Tatsächlich sei es derzeit fast unmöglich zu vermitteln, wie klein die Zahl der 2015 angekommenen Flüchtlinge im Vergleich zur EU-Bevölkerung wirklich ist, ergänzte der Berater der österreichischen Bundesregierung in Flüchtlingsfragen, Kilian Kleinschmidt.

Konkret handle es sich um gerade 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Selbst im drittwichtigsten Ankunftsland Österreich seien es mit rund einem Prozent lediglich doppelt so viele. Doch Bilder marschierender Flüchtlingsgruppen seien allemal beeindruckender als statistische Erkenntnisse.

Hilfe in Erstfluchtstaaten

Tatsächlich, so Fleming, lebten 86 Prozent der weltweit rund sechzig Millionen Flüchtlinge in armen Ländern des Südens. Meist würden sie ihr erstes Fluchtland nicht verlassen. Genau in diesen Staaten, unter diesen Menschen müsse angesetzt werden, um künftig noch größere Verwerfungen zu verhindern.

Denn, so Politologe Hansen: "Da leben zehntausende Jugendliche ohne Perspektiven. Keine Chance auf Arbeit, auf Ausreise, keine Bildung." Aufgrund der Radikalisierungsgefahren stelle das ein Sicherheitsrisiko dar – "und auch dieses wird Europa über kurz oder lang einholen, wenn wir diese Probleme nicht zu zentralen Themen der Entwicklungspolitik machen". Klar nämlich sei: "Das Thema Flucht und Migration wird uns noch lange dominieren, wohl zwanzig bis dreißig Jahre." (Irene Brickner, 13.3.2016)