Gert Ehn: "Viele Eltern überlegen, ob sie ihre Kinder im Speedbereich fahren lassen."

Foto: ÖSV/Spiess

STANDARD: Österreich hat bei der Junioren-WM in Sotschi fünf Medaillen gewonnen, nur eine davon glänzt golden. Ist der ÖSV seinen Ansprüchen gerecht geworden?

Ehn: Wir haben uns etwas unter Wert geschlagen. Sieben bis acht Medaillen waren möglich. In der Abfahrt ging uns der große Favorit Clemens Nocker im Rennen durch einen Kreuzbandriss verloren. Trotzdem hat nur die Schweiz mehr Medaillen gewonnen, Österreich wurde als bestes Team mit der Marc-Hodler-Trophy geehrt.

STANDARD: Um den Skinachwuchs muss man sich in Österreich also keine Sorgen machen.

Ehn: Das würde ich so nicht sagen. Für die kommenden Jahre sind wir im Weltcup bei Damen und Herren gut aufgestellt. Aber je jünger die Jahrgänge werden, desto dünner wird die Luft. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um eine Dichte beizubehalten. Sonst könnte es schwierig werden.

STANDARD: Warum machen sich die hoffnungsvollen Skitalente zuletzt immer rarer?

Ehn: Viele Sportarten raufen sich um die Bewegungstalente. Den Skisport auszuüben und zu trainieren, ist in den vergangenen Jahren nicht einfacher geworden. Einerseits durch klimatische Bedingungen, aber auch durch die finanzielle Belastung. Unter dem Strich kommen nicht mehr so viele gute Skifahrer nach.

STANDARD: Ist auch das hohe Verletzungsrisiko im Vergleich zu anderen Sportarten abschreckend?

Ehn: Viele Eltern überlegen, ob sie ihre Kinder im Speedbereich fahren lassen. Die Frage lautet doch: Soll man sich und seinem Kind das antun? Oder lieber bei Slalom und Riesentorlauf bleiben?

STANDARD: Wie kann der Verband diesem Trend entgegenwirken?

Ehn: Indem wir den Nachwuchs behutsam aufbauen, Ängste nehmen. Man muss die Läufer technisch und konditionell auf diese Aufgabe vorbereiten.

STANDARD: Vergangene Saison wurde von der Lücke hinter Marcel Hirscher in den technischen Disziplinen gesprochen, nun von einer Speedkrise. Muss der Nachwuchstrainer Löcher stopfen?

Ehn: Das geht gar nicht. Wir müssen kontinuierliche Aufbauarbeit leisten. Das geht primär über eine technische Entwicklung, erst dann kommt der Speed dazu. Wenn einer den Mut und die Technik mitbringt, lernt er in der Abfahrt ohnehin sehr schnell.

STANDARD: Österreich sehnt sich nach Seriensiegern wie Marcel Hirscher oder Anna Fenninger. Gibt es Junioren, denen man Ähnliches zutrauen kann?

Ehn: Das ist sehr schwierig zu sagen. Wir hatten schon Juniorenweltmeister, die nicht über den Europacup hinausgekommen sind. Es muss alles passen. Vor allem muss man längere Zeit verletzungsfrei bleiben.

STANDARD: Nina Ortlieb wurde in Sotschi trotz weniger Trainingstage Super-G-Weltmeisterin.

Ehn: Sie hat ein geniales Gefühl, den Ski gehen zu lassen. Und sie ist beinhart zu sich selbst. Prognosen würden aber nur Druck erzeugen, ich werde mich also hüten. (Philip Bauer, 15.3.2016)