Eine neue "Koalition der Willigen" wäre gefragt, die Flüchtlinge direkt aus den Lagern in der Türkei holt, um die Menschen in der Union anzusiedeln. Doch beim bisherigen EU-Ansiedelungsprogramm tat sich – im EU-Vergleich – bisher vor allem Österreich hervor.

Foto: APA / Helmut Fohringer

Wien – Seit Monaten liegen sich die Staats- und Regierungschefs der Union bei der Frage in den Haaren, wie die Flüchtlinge verteilt werden sollen. Während sich die Visegrád-Gruppe bei der Suche nach einer gerechten Lösung schon lange ausgeklinkt hat, steht ab Donnerstag der nächste EU-Gipfel unter Beteiligung der Türkei an – und womöglich wird das Gequengel rund um Quoten und Quartiere zur Notversorgung prolongiert. DER STANDARD gibt daher einen Überblick über die verwirrenden Verteilungsschlüssel, die im Gespräch sind – und welche Positionen Österreich dabei vertritt.

Die alten Versprechen zur Verteilung

Rückblende: Gemäß Vereinbarung vom 22. September 2015 sollten EU-Staaten Italien und Griechenland 160.000 Flüchtlinge abnehmen und untereinander aufteilen. Davor, am 20. Juli, hat man sich schon auf die Ansiedlung von 22.000 Schutzbedürftigen geeinigt, die es noch nicht in die Union geschafft haben.

Doch erst unlängst prangerte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos an, dass die EU-Mitglieder bisher gerade einmal 3.412 Plätze angeboten haben – und de facto seien erst rund 900 Flüchtlinge umverteilt worden. Österreich, im Vorjahr selbst mit exakt 88.912 Asylanträgen konfrontiert, müsste nach diesem Schlüssel in den nächsten zwei Jahren 3.550 Personen aufnehmen. Doch Kanzler Werner Faymann (SPÖ) führt dieser Tage gern ins Treffen, dass Frankreich die Aufnahme von 30.000 Asylsuchenden angeboten, aber keine 1.000 bekommen habe – "weil alle nach Deutschland und Österreich wollen". Ähnlich erginge es Portugal. Lissabon würde aktuell 7.000 Flüchtlinge aus dem griechischen Idomeni nehmen, aber nur 200 seien bereit, nach Portugal zu gehen.

Triple A beim Ansiedeln

Im Zuge des Resettlementprogramms hat Wien wiederum die Aufnahme von 1.900 Menschen zugesagt – und laut jüngsten Zahlen aus dem Kanzleramt wurden hierzulande auch bereits 1.348 Personen unter diesem Titel aufgenommen. Nur 3.407 Menschen wurden laut EU-Kommission nach diesem Schlüssel bisher unionsweit verteilt. Diese Flüchtlinge werden in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen ausgewählt, mehrheitlich handelt es sich dabei um Syrer und Iraker.

Zum Vergleich: Großbritannien hat mit Stand Februar im Rahmen dieser EU-Übereinkunft erst rund tausend Flüchtlinge zu sich geholt, die Niederlande 226, Belgien 123, Tschechien 25, Italien 96. Die konkreten Zahlen von Deutschland und Schweden liegen nicht vor.

Der "Eins zu eins"-Plan

Beim aktuellen EU-Gipfel soll nun die sogenannte Eins-zu-eins-Lösung präzisiert werden, die Ankara auf Anregung der Europäischen Stabilitätsinitiative als Angebot auf den Tisch gelegt hat. Mit der Denkfabrik, kurz Esi genannt, tauschen sich nicht nur die Stäbe von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel aus, sondern auch andere EU-Spitzen sowie die Europäische Kommission.

Konkret sieht der Plan von Erdoğan, Davutoğlu und Co vor, dass die Türkei künftig sämtliche in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge zurücknimmt – und im Gegenzug soll sich die EU verpflichten, alle zurückgebrachten Syrer in der Union anzusiedeln. Die Vorteile dieser Lösung: So gräbt man den Schleppern das Geschäft ab, denn in die Türkei zurückverfrachtete Flüchtlinge müssen sich bei der Umverteilungsaktion ganz hinten anstellen – und so hofft man, dass die Menschen erst gar nicht mehr in die Boote steigen.

Jetzt sind andere gefordert

Doch wer nimmt konkret die Syrer auf? Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) hat dazu schon Österreichs Linie formuliert. "Ich würde derzeit die Aufnahme nicht für Österreich sehen", sagte er. "Derzeit sind ganz klar andere Staaten gefordert."

Der Eins-zu-eins-Plan hat auch Schwächen, die größte: Iraker und Afghanen könnten sich weiterhin über die Ägäis aufmachen, um illegal nach Europa zu gelangen – und auch diese Menschen haben in den EU-Staaten, in denen sie Asylanträge stellen, gemäß Genfer Konvention und EU-Verträgen ein Recht auf ein faires Verfahren.

Luftbrücke für neues Leben

Deswegen basteln Merkel und die Niederlande schon an einer neuen "Koalition der Willigen", um ein neues Ansiedelungsprogramm zu starten. Per Luftbrücke sollen pro Jahr Hunderttausende aus den Flüchtlingslagern der Türkei nach Europa gebracht und ebenfalls hier angesiedelt werden – auch vom UNHCR ausgesucht, und vornehmlich Familien, die kein Sicherheitsrisiko darstellen.

Bis zu 900 Menschen könnten so am Tag ausgeflogen werden, rechnet ESI-Vorsitzender Gerald Knaus, ein Soziologe aus Österreich, der in Istanbul lebt, dem STANDARD vor. "Das wäre eine historische Aufgabe für die Union", sagt er. "Aber das wird nicht über Quoten gehen, sondern nur mit gutem Willen."

Obergrenzen oberste Priorität

Auf dem Wiener Ballhausplatz hält man sich dazu noch bedeckt. Nur so viel heißt es dazu: Alle Personen, die Österreich aufnehme, müssten im Rahmen des heurigen Richtwerts von 37.500 Asylanträgen bleiben. (Nina Weißensteiner, 15.3.2016)