Alfred Eschwé: "Die Ouvertüre ist bestimmt nicht von Borodin, ich habe sie zusammengestrichen."


Foto: Robert Newald

STANDARD: Sie dirigieren mit "Fürst Igor" ein eigenartiges Werk: eine dreiviertelfertige Oper eines Komponisten, der hauptberuflich Chemieprofessor war. Die zwei Komponisten, die es fertiggestellt haben, Alexander Glasunow und Nikolai Rimski-Korsakow, haben Teile umgestellt und von 7000 Takten Borodins angeblich nur 1000 übernommen. Wie viel Borodin steckt in Borodins "Fürst Igor"?

Eschwé: Das kann ich Ihnen nicht sagen. Was mir aufgefallen ist: dass das Stück in inspirierte und weniger inspirierte Teile zerfällt. Die Ouvertüre ist ganz bestimmt nicht von Borodin, das ist eine langweilige Potpourri-Ouvertüre in einer Sonatensatzform, mit einem faden Durchführungsteil. Ich habe sie auf dreieinhalb Minuten zusammengestrichen.

STANDARD: Haben Sie noch weitere Änderungen vorgenommen?

Eschwé: Wir spielen nach dem Prolog den zweiten Akt, was auch gut ist, weil die Polowetzer Tänze, der bekannteste Teil der Oper, so direkt vor der Pause kommen. Ich habe das Stück um eine Dreiviertelstunde gekürzt, sodass wir jetzt auf zwei Teile zu etwa 70 Minuten kommen, dabei habe ich nicht einen wichtigen Melodietakt rausgenommen, sondern nur Wiederholungen. Den dritten Akt, den ich kompositorisch schwach finde, habe ich deutlich zusammengestrichen. Und wir schließen mit einem Chorbild, mit den zwei Bänkelsängern Skula und Jeroschka, den zwei Wendehälsen, den zwei "Herren Karls" aus Russland.

STANDARD: Es gibt da keine einheitliche Musiksprache, mehr ein Nebeneinander von Volksmusik, Kirchenmusik und Opernstil.

Eschwé: Die Musik ist sehr heterogen, dadurch aber abwechslungsreich. Es gibt große russische Chöre – bei uns sowohl am Anfang wie auch am Ende. Dann sind wieder Teile drin, die Arie des Wladimir etwa, die könnten von Lehár sein! Daneben gibt es effektvolle Passagen, die wohl auf Rimski-Korsakow zurückgehen, anderes ist eher bieder und spröde instrumentiert.

STANDARD: Wie war die Zusammenarbeit mit dem Regisseur, Thomas Schulte-Michels?

Eschwé: Schulte-Michels kommt vom Schauspiel, er inszeniert oft spontan, ihm gelingen in einigen Duettszenen ungewöhnliche Lösungen fernab aller schablonenhaften Opernposen. Das Zwischenmenschliche liegt ihm, er will, dass interagiert wird. Er ist kooperativ und offen für Vorschläge. Technisch interessant ist, dass der hinterste Teil des Orchestergrabens auf Bühnenniveau hochgefahren wird, wodurch die Bühne um etwa eineinhalb Meter verlängert wird. Die Sänger können so weit vorne agieren, sind für das Publikum präsenter und auch akustisch vorteilhafter positioniert. Ich brauche das Orchester nicht so zu dämpfen. Wir spielen ganz groß besetzt, mit zwölf ersten Geigen: Da soll schon ordentlich was los sein!

STANDARD: Sie dirigieren seit 1989 an der Volksoper. Wie viele Vorstellungen sind es mittlerweile?

Eschwé: Das weiß ich nicht. Bis vor drei Jahren habe ich meistens alle Werke des Spielplans, die Musicals und die Ballette ausgenommen, geleitet. Ich bin auch oft eingesprungen. Asher Fisch (ein ehemaliger Chefdirigent, Anm.) hat manchmal morgens angerufen, um mir zu sagen, dass ich abends den König Kandaules oder den Feurigen Engel leiten soll. Ich glaube, dass ich Sachen gut übernehmen kann. Und nach 26 Jahren freut sich das Orchester immer noch, wenn ich dirigiere! Die Volksoper ist meine Heimat, aber ich habe auch die Möglichkeit zu gastieren: Letztes Jahr habe ich an der Semper-Oper Wildschütz gemacht, vor kurzem war ich in Neapel und habe Die lustige Witwe gemacht. Das ist für mich befruchtend und erholsam zugleich.

STANDARD: Was hat sich an der Volksoper geändert in den Jahren?

Eschwé: Die Qualität des Orchesters hat sich enorm verbessert. Auch weil es ein völlig anderes System gibt: Als ich angefangen habe, hat man manchmal in einem Monat zwanzig verschiedene Werke gespielt! Da gab es kaum Orchesterproben. Im neuen Kollektivvertrag haben die Musiker mehr Dienste, jetzt gibt es selbst bei Wiederaufnahmen eine, oft sogar zwei Orchesterproben, mit den Sängern probieren wir oft 14 Tage. Und bei den Probespielen kommen von den Hochschulen die besten Leute. Das Repertoire ist insgesamt schmäler geworden, umso mehr freue ich mich, dass die Volksoper den Mut hat, solche Nischenstücke wie den Fürst Igor in den Spielplan zu nehmen. (Stefan Ender, 16.3.2016)