"Helft uns" steht mit Sprühfarbe auf einem Zelt in einem Flüchtlingscamp in Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze.

Foto: AFP / Andrej Isakovic

Für die Küstenwache auf See und die freiwilligen Helfer an Land war es eine Nacht wie jede andere: Mehrere Hundert Menschen landeten auch am ersten Tag des Flüchtlingsabkommens an den Stränden auf der Ostseite von Lesbos oder wurden noch während der Überfahrt von griechischen Sicherheitskräften aufgelesen.

Wieder gab es auch Tote. Aus einem der überfüllten Schlauchboote vor der türkischen Küste zogen Helfer am frühen Sonntagmorgen zwei bewusstlose Männer, die später für tot erklärt wurden. Das Abkommen, das die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg beenden sollte, versagt offensichtlich.

Doch dann scheint es auch noch viel zu früh für ein Urteil. Boris Cheshirkow, der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks auf Lesbos, nennt den ersten Tag des Merkel-Abkommens eine "Auszeit". Nichts ist wirklich klar, alles in Bewegung. "Wir wissen immer noch nicht, wie diese Übereinkunft umgesetzt wird", sagt Cheshirkow, "der UNHCR ist ja nicht Teil des Abkommens."

Völkerrechtliche Bedenken

50 Flugminuten entfernt, in Athen, versichert Premier Alexis Tsipras genau das Gegenteil: Der griechische Premier will die Uno an Bord haben, um die völkerrechtlichen Bedenken über die vereinbarte Massenabschiebung von Flüchtlingen zu zerstreuen.

Seit Sonntag nimmt der türkische Staat alle Migranten zurück, die illegal auf Lesbos und die anderen Inseln in der Ostägäis gelangen – Wirtschaftsflüchtlinge ebenso wie Menschen, die vor dem Krieg in Syrien fliehen und Schutz suchen. Asyl kann trotzdem jeder in den Registrierungszentren auf den Inseln, den sogenannten Hotspots, beantragen.

Täglich Asylverfahren

Damit fangen die Probleme an. "Es geht nicht nur um Geld, es ist eine enorm große Operation, die noch dazu sehr schnell anlaufen muss", so Panos Carvounis von der EU-Kommission in Griechenland.

280 Millionen Euro und 4.000 zusätzliche Fachkräfte – Juristen und Übersetzer vor allem – haben die Staats- und Regierungschefs der EU für die nächsten sechs Monate veranschlagt. In den erst kürzlich fertiggestellten Hotspots auf Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros ist niemand für diese Herkulesaufgabe gerüstet. Alle neu ankommenden Flüchtlinge können zwar mittlerweile registriert werden. Doch für täglich Hunderte von Asylverfahren im Schnelldurchgang und die Organisation der Rücknahme der Migranten durch die türkischen Behörden steht nichts bereit. In zwei Wochen, am 4. April, sollen die ersten Schiffe mit Migranten wieder zurück zur türkischen Küste.

Regierungsrat für Flüchtlings- und Migrationspolitik

In Athen hat die Regierung am Wochenende erst einmal einen neuen Arbeitskreis gebildet. Künftig soll ein Regierungsrat für Flüchtlings- und Migrationspolitik unter Vorsitz von Tsipras die Umsetzung des großen Rücknahmeabkommens steuern.

Zuletzt war Vize-Verteidigungsminister Dimitris Vitsas, ein langjähriges Politbüromitglied und früherer Werbefachmann, als Koordinator aufgetreten. 9.000 zusätzliche Plätze für Flüchtlinge hat Vitsas noch für diese Woche auf dem Festland versprochen. Die braucht er auch. Denn die Lager auf den Inseln mit den "alten" Flüchtlingen, die vor dem Inkrafttreten des EU-Türkei-Abkommens die Überfahrt schafften, werden nun alle geräumt.

Noch mehr Flüchtlingsplätze

Platz muss her für die Flüchtlinge der neuen Zeitrechnung, dreimal mehr sogar als bisher vorhanden: In Athen rechnet man mit etwa 20.000 Migranten, die im Vollbetrieb des Asyl- und Rücknahmeverfahrens untergebracht werden müssen. Als Koordinator der EU für das Flüchtlingsabkommen ist der Niederländer Maarten Verwey benannt worden: Er leitet seit vergangenen September die "Taskforce" der EU in Athen, die bei der Reformpolitik beraten soll. (Markus Bernath aus Athen, 20.3.2016)