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In ganz Brüssel wurden nach den Attentaten vom Dienstag die Sicherheitsvorkehrungen massiv verschärft. Im Zentralbahnhof in der belgischen Hauptstadt sicherten schwer bewaffnete Soldaten die Eingänge, und zusätzlich waren Sicherheitsfirmen im Einsatz.

Foto: Reuters/Vincent Kessler

Der Tag nach einem Terroranschlag mit vielen Toten und hunderten Verletzten in Brüssel ist der Tag der Forderungen nach "mehr Europa" und besserer Polizeizusammenarbeit: Anlässe für Kritik, Selbstkritik und das Aufzeigen von Versäumnissen. So war es nach den Attacken in Paris im November mit 130 Toten; so war es in den meisten EU-Hauptstädten und der Kommission am Mittwoch nach dem Doppelanschlag am Vortag.

Quasi stellvertretend für alle Sicherheitspolitiker zeigte sich EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos wütend: "Wir alle wussten, dass das passieren kann", sagte er in Brüssel. "Wenn wir alles, was wir im Vorjahr beschlossen haben, voll umgesetzt hätten, hätten wir der Situation effizienter begegnen können."

Gespräche seit Jahren

Auf EU-Innenministerebene wurde seit Jahren mehr polizeiliche Zusammenarbeit, Datenaustausch, enge Kooperation der Geheimdienste beschworen und teils beschlossen. Gehe es aber um die Umsetzung und das Abtreten nationaler Kompetenzen, scheitere man jedes Mal. "Jetzt aber", betonte der Innenkommissar, sei der Augenblick gekommen, zur Tat zu schreiten. Ein Thema könnte auch eine andere Kontrolle auf Flughäfen sein, etwa dass Passagiere vor dem Betreten eine Sicherheitsschleuse passieren müssten.

Diesbezüglich konnte er sich eines Sinnes mit Kollegen quer durch die Union wissen. Der belgische Innenminister Jan Jambon forderte ein Sondertreffen des EU-Ministerrats. An dem Treffen heute, Donnerstag, Nachmittag, in Brüssel sollen auch die EU-Justizminister teilnehmen.

Kampf um Kompetenzen

Während die Staaten über die EU-Behörden Europol und Eurojust im Bereich der sicherheitspolitischen und justiziellen Verzahnung noch am Konkretesten weiterkommen, liegt die Arbeit der polizeilichen und militärischen Geheimdienste ganz in nationaler Kompetenz. Die Regierungen wollen sich dabei nicht in die Karten schauen lassen.

Dazu kommen große Auffassungsunterschiede, was für das nationale Wohl wichtig ist: Während in Frankreich zum Beispiel noch immer Ausnahmezustand herrscht und die Regierung sehr freie Hand hat bei der Verfolgung von Terroristen, werden etwa von Deutschland oder Österreich auf EU-Ebene oft Datenschutzgründe angeführt, warum bestimmte Überwachungsmaßnahmen abgelehnt werden.

Mikl-Leitner für Vernetzung der Geheimdienste

Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sieht in der Zusammenarbeit der europäischen Geheimdienste Verbesserungsbedarf. Diesbezüglich will sie beim Treffen in Brüssel "Druck machen und die Vernetzung vorantreiben". Eine Plattform dafür könnte laut Mikl-Leitner eine eigene Institution sein oder auch an einen Nationalstaat angehängt werden. Weiter kritisierte Mikl-Leitner, dass de facto nur fünf EU-Staaten, darunter Österreich, die sogenannte Jihadisten-Datenbank füttern.

Auch an der Geheimdienstarbeit in Österreich selbst kam Kritik auf. Sicherheitsexperte Reinhard Kreissl sagte dem STANDARD, dass mit Recht etwa vonseiten anderer europäischer Staaten darauf hingewiesen werde, "dass es in Österreich immer noch an einer klaren organisatorischen und rechtlichen Trennung zwischen geheimdienstlichen und polizeilichen Aufgaben mangelt".

Zu wenig Arabischsprechende

So habe das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) beide Aufgaben inne, sodass die Geheimdienste bei ihrer Tätigkeit "vielfach zu eng an polizeiliche Ermittlungsaufträge gebunden sind". In der Schweiz habe man vor ein paar Jahren die Aufgaben strikt getrennt und damit das Problem gelöst. "Der Verfassungsschutz beobachtet, sonst nichts. Verdichtet sich ein Verdacht, so gibt er den Fall an die Polizei weiter." Darüber hinaus mangelt es den heimischen Geheimdiensten laut Kreissl immer noch an "Mitarbeitern, die Arabisch beherrschen."

Innenministerin blockt Kritik ab

Mikl-Leitner ließ Kreissls Kritik nicht gelten. "Der Staatsschutz muss Polizeibehörde bleiben", sagte sie dem STANDARD und verwies auf das neue Staatsschutzgesetz mit weitergehenden Befugnissen für Verfassungsschützer. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei, BVT und Heeresnachrichtendienst (HND) funktioniere gut. Bis 2019 würden 70 weitere Mitarbeiter im Staatsschutz aufgenommen werden. Bei der Polizei sind es noch in diesem Jahr 1500 Beamte, 2000 weitere in kommenden Jahren sollen folgen.

Es gebe im Staatsschutz ausreichend Mitarbeiter, die Arabisch sprechen. Nicht näher eingehen wollte die Ministerin auf Informationen, wonach einer der mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge in Brüssel, Najim Laachraoui, vor einigen Monaten in Österreich registriert worden sein soll. "Die Ermittlungen laufen." Man befinde sich mit belgischen Behörden "im engsten Kontakt".

Lücken an EU-Außengrenzen

Mikl-Leitners deutscher Kollege Thomas de Maizière (CDU) fordert vor allem einen besseren Datenaustausch in der EU. Zum einen will er ein Ein- und Ausreiseregister für den Schengenraum und mehr Kontrollen. "An den Außengrenzen sind zu viele Lücken", sagt de Maizière.

Zum anderen verlangt er eine bessere Vernetzung der Daten verschiedener europäischer Behörden. Es gebe zu viele einzelne "Datentöpfe", diese müssten verbunden werden: "Das beste Mittel gegen solche Anschläge ist Informationsaustausch." Er denkt dabei an den Visaverkehr, Fahndungsdateien und Fluggastdaten. In Richtung etwaiger Kritiker sagte er: "Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten wie diesen hat Sicherheit Vorrang."

Bilaterale Kooperation

Die Kooperation der Geheimdienste ihrer Länder war auch Thema eines Treffens des französischen Premiers Manuel Valls mit seinem belgischen Amtskollegen Charles Michel am Mittwoch in Brüssel. Valls äußerte sich zudem zu den französischen Vorwürfen, die belgischen Behörden hätten gegenüber den Terroristen versagt oder zu lange zugewartet.

Frankreichs Finanzminister Michel Sapin hatte zuvor erklärt, einzelne belgische Politiker hätten zugelassen, dass sich in Vierteln wie Molenbeek eine Gemeinschaft abseits jeder Polizeikontrolle entwickeln konnte. Valls meinte nun, Franzosen und Belgier seien es zwar gewöhnt, sich zu "kitzeln"; in dieser schweren Stunde stehe man aber geeint zusammen (Thomas Mayer aus Brüssel, Birgit Baumann aus Berlin, Stefan Brändle aus Paris, Irene Brickner, David Krutzler, 24.3.2016)