Hanf enthält schmerzlindernde Wirkstoffe. Allein: Schwerkranke Patienten, die davon profitieren, haben kaum Zugang. Das könnte sich ändern.

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Hanf, den kennt man als Mehl oder Öl, als Seil aus seinen Fasern, als Textil oder Dämmstoff und, natürlich, vor allem unter seinem wissenschaftlichen Namen – Cannabis – als Droge. Dem Rauschmittel werden verschiedenste Effekte nachgesagt: Entspannend soll es wirken, den Appetit anregen, manche werden euphorisch oder albern nach dem Konsum, andere müssen sich übergeben. Das weiß man – vom Hörensagen oder durch Selbsttests.

Fakt ist: Aussagekräftige wissenschaftliche Daten über die Wirkung von Hanf liegen wenige vor. Vergangenes Jahr haben Forscher die Ergebnisse sämtlicher Untersuchungen, die in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden, in einer Arbeit ("Cannabinoids for Medical Use: A Systematic Review and Meta-analysis") zusammengefasst und bewertet. Mehr als 16.000 Artikel zum Thema wurden analysiert, schlussendlich hielten die Autoren lediglich 76 Studien für brauchbar.

Die Meta-Analyse zusammenfassend lässt sich sagen: Eine Behandlung mit Cannabis zeigt Wirkung bei schmerzhafter Spastik aufgrund von multipler Sklerose, es hilft einigen Patienten gegen Übelkeit und Erbrechen während einer Chemotherapie und macht Aidskranken ein wenig Appetit. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass durch Hanfkonsum verschiedene Formen chronischer Schmerzen erträglicher werden. Fest steht für die Wissenschafter: Um klare Aussagen über den medizinischen Nutzen zu treffen, braucht es definitiv mehr kontrollierte Studien.

Lediglich ein Arzneimittel

Auf diesem Argument ruht sich auch die heimische Politik aus. In Österreich ist derzeit lediglich ein einziges Arzneimittel mit Cannabis-Wirkstoff zugelassen. Es handelt sich um einen Mundspray, den MS-Patienten bekommen, wenn ihnen keine anderen Medikamente helfen.

Tetrahydrocannabinol, kurz THC, also jener Wirkstoff der Hanfpflanze, der unter anderem auch berauschend wirkt, wird in seltenen Fällen als Reinsubstanz verschrieben. Bei schweren Erkrankungen übernimmt die Krankenkasse dafür die Kosten.

Der zweite Inhaltsstoff von Hanf, dem eine Hauptwirkung auf den menschlichen Organismus zugeschrieben wird, ist Cannabidiol (CBD). Für eine arzneiliche Verwendung von CBD liegen für die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) allerdings "keine ausreichenden wissenschaftlichen Daten vor". Die Ages betreibt in Österreich die einzige legale Hanfplantage – unter Aufsicht des Gesundheitsministeriums.

Medizinische Verwendung seit Jahrtausenden

Rund 100 Kilogramm staatliches Marihuana werden in Glashäusern in Wien jährlich angebaut. Der Ernteertrag geht an Pharmaunternehmen. Allen anderen ist in Österreich der Besitz von blühenden Hanfpflanzen verboten, sobald deren THC-Gehalt 0,3 Prozent übersteigt.

In Deutschland könnte sich bald etwas ändern. In dem Nachbarstaat hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass Patienten, denen herkömmliche Therapien nicht helfen und die keine Möglichkeit haben, Cannabis zu kaufen, selbst anbauen dürfen sollten. In den Niederlanden, in Colorado und Kanada wird Cannabis bereits seit mehr als 15 Jahren für medizinische Zwecke verschrieben, in Israel wurden Patienten bereits Anfang der 1990er-Jahre mit Hanf therapiert.

Hinweise auf die medizinische Verwendung von Cannabis gibt es laut Peter Cremer-Schaeffer, Facharzt für Anästhesiologie und Leiter der Opiumstelle im Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, bereits in Schriften aus dem dritten Jahrtausend vor Christus. Auch in Europa sei die Pflanze als Heilmittel schon von Hildegard von Bingen beschrieben worden, schreibt er in seinem Buch "Cannabis – Was man weiß, was man wissen sollte". Im 19. Jahrhundert seien nahezu alle Anwendungsgebiete bekannt gewesen, die auch heute diskutiert werden.

"Geringes Gefährdungspotenzial"

Glaubt man dem österreichischen Drogenbericht 2015, haben heute 30 bis 40 Prozent der heimischen Bevölkerung zumindest einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. Innerhalb eines Jahres würden allerdings nur vier Prozent der Österreicher zumindest einmal kiffen. Die Zahl der Anzeigen wegen Cannabis ist deutlich gestiegen: Im Jahr 2012 waren es zirka 17.000, im Jahr 2014 bereits mehr als 25.000.

Die Nebenwirkungen des medizinischen Konsums scheinen überschaubar. Cremer-Schaeffer listet als häufige unerwünschte Effekte Schwindel und Müdigkeit. Häufige Nebenwirkungen seien reduzierter oder erhöhter Appetit, Euphorie, Gedächtnisstörungen und Durchfall. Selten würden Patienten halluzinieren.

Keine "Horrordroge"

"Cannabis in der Medizin hat ein geringes Gefährdungspotenzial", schlussfolgert er. Die Aussicht auf den Nutzen überwiege bei schwer kranken Patienten, bei denen andere Medikamente keine Wirkung zeigen, "in jedem Fall die Risiken". Auch er weist aber klar auf die Notwendigkeit weiterer Studien hin: Die Gefahr einer "flächendeckenden Anwendung nicht geprüfter Arzneimittel" sei auf Dauer zu groß.

Cremer-Schaeffer ist überzeugt, dass die medizinische Versorgung mit Cannabisprodukten ausgeweitet wird. Hanf sei keine "Horrordroge": "Cannabis ist als Substanz deutlich weniger gefährlich als Alkohol und in der Summe seiner Risiken auch weniger gefährlich als Nikotin" – zumindest für Erwachsene. (Katharina Mittelstaedt, 13.4.2016)