Nach dem Bruch der Regierungskoalition wird eine Amtsenthebung von Staatschefin Rousseff immer wahrscheinlicher – profitieren könnte davon der derzeitige Vizepräsident Michel Temer.

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Brasiliens 75-jähriger Vizepräsident Michel Temer ist seinem Lebenstraum ein Stück nähergekommen: der Präsidentschaft der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas.

Im Fall einer Anklageerhebung gegen seine Chefin, Präsidentin Dilma Rousseff, muss diese zunächst 180 Tage lang ihr Amt ruhen lassen, ihr Vize übernimmt dann automatisch die Regierungsgeschäfte. Auch bis zu möglichen Neuwahlen würde Temer, der dem bisherigen Koalitionspartner PMDB angehört, die Präsidentschaft führen.

Hinter den Kulissen, so berichten Vertraute, sucht sich der studierte Anwalt aus São Paulo bereits seine Kabinettsmitglieder zusammen. Dabei ist die liberale Partei der Demokratischen Bewegung PMDB ein Novum in der brasilianischen Parteienlandschaft: Sie stellt die größte Zahl an Gouverneuren, Abgeordneten in Landesparlamenten und Bürgermeistern, ist aber bisher nie mit einem eigenen Präsidentschaftskandidaten angetreten. Auf Bundesebene paktiert sie stets mit der regierenden Partei, um nicht in die Koalition zu gehen.

Temer, dem eine gewisse Eitelkeit und Machtverliebtheit nachgesagt wird, gilt als talentierter politischer Strippenzieher und Mehrheitsbeschaffer. 2011 war die PMDB eine Zweckgemeinschaft mit Rousseffs regierender Arbeiterpartei eingegangen. Temer fungierte dabei stets als Verbindungsglied zwischen beiden Koalitionspartnern, die programmatisch weit voneinander entfernt sind. Ein veritables Vertrauensverhältnis hat es zwischen Rousseff und Temer aber nie gegeben.

Der Bruch der Koalitionäre wurde durch einen offenen Brief Temers – verfasst Anfang Dezember des vergangenen Jahres – eingeleitet, in dem er sich beklagt, bloß "dekoratives Element" der Regierung zu sein. Es war der erste Schritt zum offiziellen Ausstieg aus der Regierung. In den vergangenen Wochen war Temer abgetaucht und äußerte sich nicht öffentlich zum Amtsenthebungsverfahren.

Temer kommt aus dem Bundesstaat São Paulo, war dort als Staatssekretär für Sicherheit zuständig, ist seit mehr als 20 Jahren Kongressabgeordneter und hatte auch die mächtige Position des Parlamentspräsidenten inne. Sein Name wurde aber auch mehrfach mit Korruptionsermittlungen genannt. Temer, dessen Familie in den 1920er-Jahren aus dem Libanon eingewandert ist, hat fünf Kinder. Seine 32-jährige zweite Ehefrau, Exmodel Marcela, ist mit dem gemeinsamen zweiten Kind schwanger. (Susann Kreutzmann, 31.3.2016)