Der neue libysche Premier Fayez al-Sarraj wagte den Sprung nach Tripolis

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Der Mann ist definitiv kein Feigling: Dass ihn die halbe Stadt umbringen will, hielt Fayez Mustafa al-Sarraj am Freitag nicht davon ab, sich in die Hauptmoschee und danach auf den Märtyrerplatz – ehemals Grüner Platz – zu begeben. Tripolis, die Hauptstadt von Libyen, dessen neuer designierter Regierungschef Sarraj ist, hatte er vor wenigen Tagen mit dem Schiff von Tunesien aus ansteuern müssen. Der Luftraum war für ihn gesperrt worden: nicht willkommen.

Beobachter wollen jedoch Anzeichen dafür wahrnehmen, dass die Stimmung langsam umschlägt. Neben den Drohungen gegen sein Leben gibt es auch Demonstrationen pro Sarraj, von Libyern und Libyerinnen, die die Ankunft des 56-jährigen Architekten und Geschäftsmanns als Chance zur Beendigung der Bürgerkriegs in ihrem Land sehen. Ein gutes Zeichen ist auch, dass die libysche "National Oil Corporation" (NOC) am Samstag bekannt gab, dass sie mit Sarraj zusammenarbeiten wird. Davon kann man sich eine Sogwirkung für andere staatliche Institutionen erwarten.

Obstruktion gegen neuen Premier

Sarrajs Einheitsregierung ist das Produkt monatelanger Verhandlungen unter Uno-Ägide. Sie soll den Zustand beenden, dass Libyen eine Regierung und ein Parlament in Tobruk und das gleiche noch einmal in Tripolis hat. Sarraj ist demnach Premier Nummer drei – aber jener, den die internationale Gemeinschaft stützt. Gegen Politiker sowohl in Tripolis als auch in Tobruk wurden bereits EU-Sanktionen verhängt, weil sie die Aufnahme der Amtsgeschäfte durch Sarraj obstruieren.

Stimmungsmache gegen Sarraj wird mit dem Argument betrieben, dass er eine von außen eingesetzte Marionette sei: einer, der ausländischen Mächten den Weg zu einer Militärintervention in Libyen ebnen wird. In der Tat wäre für die internationale Gemeinschaft die Existenz einer einzigen anerkannten libyschen Regierung vor allem angesichts der Ausbreitung des "Islamischen Staats" wichtig, etwa, um das Waffenembargo gegen Libyen aufheben zu können.

Sarraj, Inhaber einer Consultingfirma und aus einer angesehenen Familie stammend – sein Vater war in der Monarchie vor 1969 Minister –, war zuletzt Abgeordneter in Tobruk. In der Gaddafi-Zeit arbeitete er im Wohnbauministerium, galt jedoch als unpolitisch. Seine Stärke ist zugleich seine Schwäche: Er steht keiner Gruppe besonders nahe und gilt deshalb als halbwegs neutral. Allerdings hat er so auch keine Hausmacht. (Gudrun Harrer, 3.4.2016)