Das hat Europa gerade noch gefehlt. Wikileaks-Veröffentlichungen eines angeblichen Telefonats hochrangiger Vertreter des Internationalen Währungsfonds lassen Erinnerungen an die Griechenlandkrise wach werden. Die IWF-Leute sorgen sich, dass – analog zum Vorjahr – Probleme beim Athener Reformprogramm auf die lange Bank geschoben werden, bis neuerlich das Pleiteszenario vor der Tür steht. Die Befürchtung ist völlig berechtigt, mehr noch: In Verbindung mit der Flüchtlingskrise und den britischen Tendenzen zum Absprung aus der EU tickt eine wahre Zeitbombe.

All das wurde – in unbewährter Manier – bisher unter den Teppich gekehrt. Bei der Überprüfung der Reformfortschritte in Griechenland schauten die EU-Vertreter offenbar bewusst weg, weil Brüssel die Zusammenarbeit Athens zur Bewältigung des Flüchtlingsstroms benötigt. Regierungschef Alexis Tsipras hat die Nöte zu seinem Vorteil genutzt. Er weiß zu gut, dass es ohne Kooperation seines Landes in und an der Ägäis keine Lösung der Asylkrise geben kann. Das verhilft dem Premierminister zu neuem Selbstbewusstsein im Auftreten gegenüber den Partnern.

Hinzu kommt, dass bisherige Sparmaßnahmen Athens Tsipras innenpolitisch unter Druck gesetzt haben. Zahlreiche Schritte wie Privatisierungen und die Streichung von Vergünstigungen für Landwirte haben seiner Popularität geschadet und immer wieder zu heftigen Protesten geführt. Mit der Pensionsreform steht dem Syriza-Chef der gesellschaftspolitisch heikelste Einschnitt erst bevor. Doch selbst wenn Athen einlenken sollte, sind die Probleme längst nicht gelöst. Denn egal wie man es dreht und wendet: Das mit 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldete Griechenland wird seine Finanzlasten angesichts schwacher Wirtschaftsstrukturen langfristig nicht schultern können.

Das weiß der IWF längst und fordert die Europäer gebetsmühlenartig zu einem Schuldennachlass auf, den Berlin, Wien und andere ablehnen. Während die Euroländer bereit sind, gutes Geld schlechtem nachzuwerfen, ist diese Vorgangsweise für den Fonds keine Option. Im nun enthüllten Telefonprotokoll sprechen die IWF-Vertreter bisher Gesagtes nur im Klartext aus. Kommt kein Beitrag des Währungsfonds zum dritten Hilfspaket von 86 Milliarden Euro, sind freilich auch Deutschland die Hände gebunden: Im Bundestag wurde ein Mitwirken des IWF zur Bedingung für weitere Zahlungen an Athen gemacht.

Um eine neuerliche Eskalation der Griechenlandkrise zu vermeiden, sollten die Europäer jetzt rasch beide Probleme angehen. Ja, Griechenland steht in der Flüchtlingsfrage vor enormen Herausforderungen und benötigt daher mehr Zeit und Geld. Und nein, Griechenland wird auch mit dem dritten Hilfspaket zu keiner finanziellen Stabilität finden. Ein rascher Schuldenschnitt muss her, um wieder Vertrauen zu schaffen. Wer investiert schon in einem Land, über dem der Pleitegeier seit Jahren kreist? Im Gegenzug müsste Tsipras beim Asylthema die Schlagzahl erhöhen. Sowohl beim Grenzschutz als auch bei der humanitären Unterbringung der Flüchtlinge bleibt Athen viel schuldig.

Werden all die Probleme wieder unter den Teppich gekehrt, könnte das fatal enden. In einem Brexit-Grexit-Szenario, gepaart mit einer Eurokrise, die wegen des Streits in der Asylfrage nicht mehr zu verkraften wäre. (Andreas Schnauder, 3.4.2016)