5.000 Bewohner sind in den Dörfern des rumänischen Donaudeltas verblieben. Sie leben von Fischfang, vom Ernten von Schilf oder vom Tourismus.

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Die Hälfte des europäischen Rosapelikan-Bestands nistet im Donaudelta – eine Schatzkammer für Ornithologen.

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Wenn das der Heilige Georg – der Drachentöter und Namenspatron des Südarms – sehen würde: eine monotone Wasserautobahn, auf der ein Schnellboot vorbeibraust, in deren Fahrrinne Plastikflaschen und Getränkedosen dümpeln, wo am Ufer wild gezeltet wird und wider die behördliche Ordnung Lagerfeuer kokeln. Dazu haben Hotelboote eingangs des Georgskanals festgemacht, ein paar Bootsminuten von Tulcea entfernt, dem Tor zum Donaudelta. Da, ein Autobahnschild: noch 37 Kilometer zum Schwarzen Meer.

Hinter der nächsten Kurve schon ist alles anders. Vom Arm des Drachentöters geht es links ab ins Labyrinth der Seen, Nebenarme, Auwälder, Riedzonen und Seerosenteppiche. Das Schilfrohr ragt wandhoch aus dem Wasser. Libellen tanzen, Moskitos schwirren. Hier staksen Seidenreiher, da Weißstörche, später werden die Frösche zur Freilichtoper bitten, links und rechts alles grün, ein europäischer Amazonas.

Über den Bäumen kreisen die ersten Rosapelikane mit ihren Vorratsschnäbeln. Fischer mit Ruderbooten inspizieren ihre Reusen. Auf dem Wasser zeigt sich eine Kormorankolonie, auf dem Festland Rehe, dann in 30 Meter Entfernung auf dem Uzlina-See mehr als hundert Pelikane.

331 Arten

Rund 2500 Paare Rosapelikane nisten im Delta – die Hälfte des europäischen Bestands. Der Donau wirres Ende: eine Schatzkammer für Ornithologen. 331 Arten kommen im Delta vor, 174 davon brüten dort. Dazu gesellen sich Schakale, Wildkatzen, Wölfe, Fischotter sowie der rare Europäische Nerz. Das Delta der Donau, die größte Schilfzone weltweit, achtmal so groß wie der Bodensee, Unesco-Weltnaturerbe, ist ein Puzzle aus Biotopen, Röhrichtzonen, Seen, Lagunen, Flussarmen und Kanälen über Auwälder, Trockenwälder und Feuchtwiesen bis hin zu steppenartigen Dünen und Strombänken.

82 Prozent der 5800 Quadratkilometer des Deltas liegen in Rumänien, der Rest gehört der Ukraine. Der nördliche 120 Kilometer lange Chilia-Arm bildet die Grenze. Der mittlere Arm wurde vertieft und begradigt und verkürzte sich so von 92 auf 64 Kilometer. Heute ist der Sulina-Arm eine schnurgerade Wasserschnellstraße.

Alltag im Delta

Murighiol, 40 Kilometer südöstlich von Tulcea: Wie es sich in Europas grünem Hinterhof lebt, studiert man bei George Valcu in dem 1400-Seelen-Dorf am urwüchsigen Georgsarm im Süden des Deltas. Durch den Garten seiner Pension watscheln zwei Pekingenten, einst zum Verzehr angeschafft, bis Gäste eindringlich um Schonung baten. "Jetzt kacken sie jeden Tag unter den Frühstückstisch", seufzt der korpulente 40-Jährige.

Auf dem Mittagstisch der Familie Valcu steht noch Ciorba de peste – Fischsuppe. Den Wels hat am Vortag ein Nachbar gestiftet. Valcu hat seine Pension vom Staat zertifizieren lassen, während andere im Dorf es vorziehen, schwarz zu vermieten. 2009 hat der rührige Vater zweier Kinder die Pension "2 Sturioni", zu Deutsch "Zwei Störe", eröffnet. Zuvor war er mal Barmann, mal Kellner, dann in Amsterdam Möbelrestaurator. Als das zweite Kind zur Welt kam, war es Zeit, nach Murighiol heimzukehren.

Die Dorfökonomie speist sich aus dem Geld der Urlauber, einem Schuss Improvisation und Gesetzlosigkeit und den Dividenden der Natur. Die Minze für den Tee kommt aus dem Garten, der auch das Gemüse liefert, Fisch ist immer da. Pro Tag und Familie dürfe er vier Kilo angeln, "holst du sieben Kilo heraus, sagt auch keiner etwas", erzählt er. "Oder die Leute kennen den Kontrolleur."

Müll im Fluss

Der Umweltschutz stehe leider nicht sehr hoch im Kurs, erzählt Valcu. "Die Leute werfen ihren Müll in den Fluss, Naturschutzorganisationen sammeln ihn wieder auf." Einmal habe er erlebt, wie jemand beim Autoölwechsel die schwarze Brühe ins Erdreich ablaufen ließ. Noch nie sei ihm zu Ohren gekommen, dass jemand wegen einer "Umweltsauerei" bestraft worden sei.

Schilf- und Sumpflandschaft des Ortes wurden unter Staatspräsident Nicolae Ceausescu trockengelegt, um Ackerland zu schaffen. Ein Fünftel des Deltas wurde so zerstört. Die Bauern des Dorfes verloren ihren Wasserzugang, die Böden wurden Ackerwüsten.

Die Frage, ob es unter Ceausescu besser war, beantwortet Valcu trotzdem wie aus der Pistole geschossen: "Absolut." Der alte Ostblock-Refrain: Damals habe jeder Arbeit gehabt. Heute sei die Korruption unerträglich. Im globalen Vergleich der Antikorruptionsaktivisten von Transparency International lag Rumänien 2015 auf Platz 58, hinter Ghana, vor Oman und Lesotho.

25 Siedlungen

Die Menschen in den Dörfern des Donaudeltas leben heute von Fischfang, dem Ernten von Schilf für Reetdächer, ein wenig Landwirtschaft, manche vom Tourismus. 1970 lebten fast 22.000 Menschen in den 25 Siedlungen des rumänischen Deltas, heute sind es noch 15.000. Es blieben vor allem die Alten.

1990, nach dem Sturz Ceausescus, war es aus mit der Industrialisierung des aquatischen Paradieses. Die neue Regierung erklärte den rumänischen Teil des Deltas zum Biosphärenreservat. 1998 zog die Ukraine mit ihrem Deltaanteil nach, aber Verschmutzung, Überdüngung und Überfischung setzen dem Delta noch immer zu. Am Ende des Donaulaufs japsen die Fische nach Sauerstoff. Dazu kommt Schlamm aus den Karpaten, eine Folge der Abholzung dort, ein wilder Kapitalismus lässt aus den Bergen grüßen. (Kai Althoetmar aus Tulcea, 7.4.2016)