Wolfram-Maria Märtig dirigiert viele ganz unterschiedliche Werke an der Wiener Volksoper: "Natürlich schwitzt man an der einen oder anderen Stelle, aber es ist ein gutes Training."

Foto: Andy Urban

Wien – Da muss ordentlich was los gewesen sein im Haushalt des Staatsopernchorsängers und Gesangslehrers Märtig in Hamburg: vier Söhne, und alle spielten sie ein Instrument. Einer davon sogar drei: Wolfram-Maria übte Klavier, Horn und Geige, und zwar so fleißig, dass er (mit einer Ausnahmegenehmigung) auf den ersten beiden Instrumenten ein Hauptfachstudium an der Hamburger Musikhochschule absolvierte. Womit sich die Frage erübrigt, was für ein Student der junge Dirigent von Millöckers Operette Der Bettelstudent denn gewesen ist – ein Bummelstudent also auf keinen Fall.

Der Ensemblegründer

Auf die beiden Instrumentalstudien folgte die Ausbildung zum Kapellmeister. In dieser Zeit gründete Märtig gleich mehrere Ensembles. Warum denn das? Um neben dem Studium auch praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Ensembleleitung zu sammeln, natürlich. "Das Hochschulorchester hat der Dirigierprofessor geleitet, und bei den Symphonikern hatte man so in etwa einmal im halben Jahr zehn Minuten für ein kleines Fagottkonzert." Nach ersten beruflichen Stationen als Assistent, Korrepetitor und Dirigent am Staatstheater Nürnberg, dem Aalto-Theater Essen und an der Staatsoper Berlin Unter den Linden ist Märtig seit letzter Saison an der Wiener Volksoper als Kapellmeister beschäftigt.

Warum hat er sich zum Wechsel von der Spree an die Donau entschlossen? "Wien ist natürlich schon eine tolle Adresse, was Oper anbelangt", konzediert Märtig. Die Dichte und die Vielfältigkeit der Spielpläne hier seien wohl einzigartig.

Aber es seien auch familiäre Gründe gewesen, die ihn zum Umzug bewogen hätten: In Berlin hätte er fast ständig vor Ort präsent sein müssen, und da seine Frau und seine drei Kinder in Essen leben, hätten sie ihn viel zu selten zu Gesicht bekommen. An der Wiener Volksoper hat Märtig auch mal zwei Wochen am Stück frei, da lässt sich zwischendurch ein längerer Besuch zu Hause eben einrichten.

Ein bisschen Schweiß

An die fünfzig Vorstellungen leitet der Deutsche in dieser Spielzeit, so etwa Don Giovanni und Viva la Mamma, Der Zauberer von Oz und The Sound of Music - was das weite Repertoirefeld des Mehrspartenhauses am Währinger Gürtel eben so hergibt. Insgesamt dirigierte er am Haus bereits mehr als zehn verschiedene Produktionen, die meisten davon ohne Orchesterproben: "Natürlich schwitzt man dann an der einen oder anderen Stelle, aber es ist an sich ein gutes Training. Man wird mit der Zeit immer abgeklärter. Und auf das Orchester der Volksoper kann man sich natürlich absolut verlassen."

Kommenden Samstag wird Märtig nun mit Carl Millöckers Der Bettelstudent seine erste Musiktheaterpremiere an der Wiener Volksoper leiten. Das 1882 im Theater an der Wien uraufgeführte Werk gilt zusammen mit Strauß' Fledermaus und Suppés Boccaccio als ein Klassiker der frühen Operette. Welche Qualitäten erkennt der Gelegenheitskomponist und Arrangeur Märtig in der Musik des Werks?

Geschätzter Regisseur

Millöckers Musik sei ungeheuer elegant, meint Märtig dazu. Er sei ja selbst ein halber Wiener, seine Mutter komme von hier. Das Ausarbeiten der kleinen Rubati, der agogischen Feinheiten, das bereite ihm alles sehr viel Spaß. "Und die Sängerbesetzung ist hervorragend."

Schüttelt das Wiener Volksopernorchester so etwas wie den Bettelstudenten ganz selbstverständlich aus dem Ärmel, kann man da gleich an die Detailarbeit gehen? "Wenn etwas sehr gut sein soll, muss man dafür immer auch sehr gut arbeiten", erklärt der 31-Jährige, der die seltene Fähigkeit besitzt, unglaublich schnell zu sprechen und dabei komplett entspannt zu wirken.

"Die Probenzeit ist begrenzt, weil das Volksopernorchester jeden Abend spielt; insofern ist da schon eine sehr konzentrierte Probenarbeit notwendig. Aber natürlich ist das Orchester prädestiniert für diese Literatur. Wenn ein Orchester Operette kann, dann ist es dieses!"

Wie klappt die Zusammenarbeit mit dem Regisseur Anatol Preissler? Sie hätten sich von Beginn an gut verstanden, meint Märtig, er schätze dessen Arbeit sehr. Eine gute Kooperation zwischen Regisseur und Dirigent sei für ihn essenziell – "leider ist das nicht immer so".

Wird denn Märtigs Mutter zur ersten Operettenpremiere ihres Sohnes zurück in ihre Heimatstadt kommen und dieser beiwohnen? Wird sie nicht! Babysitten ist angesagt, denn die Frau des Dirigenten singt zeitgleich die Wesendonck-Lieder in Marl. "Aber meine Mutter wird sich das Ganze im Frühsommer anschauen." (Stefan Ender, 25.4.2016)