Rund 300.000 Frauen pro Jahr überleben Komplikationen in der Schwangerschaft oder bei der Geburt nicht. Darauf macht die Plattform Mutternacht aufmerksam. Zum Thema Müttersterblichkeit wird am Dienstag im Wiener Topkino der Dokumentarfilm "Sisters" gezeigt.

Foto: Alexandra Swati Guild

Wien – Mutter werden kann tödlich sein, vor allem für Frauen in Entwicklungsländern – und für Frauen auf der Flucht. Rund 300.000 Frauen pro Jahr überleben Komplikationen in der Schwangerschaft oder bei der Geburt nicht, 99 Prozent von ihnen kommen aus Asien, Afrika oder Lateinamerika. Doch die meisten Komplikationen wären durch verbesserte Gesundheitsversorgung, Bildung von Mädchen und Zugang zu Verhütungsmitteln vermeidbar.

Bald ist Mutternacht

Die 2010 ins Leben gerufene Initiative Mutternacht gedenkt am Vorabend zum Muttertag, jenen Frauen und Mädchen, die bei der Geburt sterben. Mutternacht ist eine von rund 20 Organisationen getragene Plattform, die sich für die Verbesserung der Müttergesundheit in Entwicklungsländern einsetzt. Unter ihnen sind neben Amnesty International, dem Arbeiter-Samariter-Bund, den entwicklungspolitischen NGOs Care, Südwind, Frauensolidarität und WIDE, auch die Evangelische Frauenarbeit, die Katholische Frauenbewegung Österreichs und die Parlamentsparteien SPÖ, Grüne und Neos vertreten.

Die Müttersterblichkeit erheblich zu reduzieren sahen auch die "Millennium Development Goals" der Vereinten Nationen vor. "Dieses Ziel wurde am wenigsten von allen acht vorgenommenen Zielen erreicht, und das, obwohl es eigentlich das billigste wäre", sagt Petra Bayr. Die SPÖ-Bereichssprecherin für globale Entwicklung hielt im Vorfeld des Muttertags gemeinsam mit dem Samariterbund und der Hilfsorganisation Care eine Pressekonferenz zum Thema ab. Nach wie vor sei der Zugang zu Verhütungsmethoden und sicherer Abtreibung ideologisch stark aufgeladen. "Wenn es um Verhütung, Zugang zu Abtreibungen und generell um sexuelle Selbstbestimmung geht, scheitert es oft an religiösen Fundamentalisten, an totalitären Regimen, aber auch einfach an patriarchalen Denkmustern", berichtet Bayr.

Wenn Zugang zu Verhütung zum Problem wird

Angaben der Weltgesundheitsorganisation und des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen zufolge würden 225 Millionen Frauen verhüten, wenn sie Zugang zu Verhütungsmitteln hätten. Jedes Jahr kommt es zu rund 40 Millionen Schwangerschaftsabbrüchen, davon finden die Hälfte in der Illegalität und unter unsicheren Bedingungen statt. Das Gesundheitsrisiko dabei ist beträchtlich: 13 Prozent der Todesfälle in Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt sind auf unsichere Abtreibungen zurückzuführen.

Die Initiative betont, dass restriktive Gesetze Schwangerschaftsabbrüche nicht zu verhindern vermögen. Um die Müttersterblichkeit zu senken, wären sexualpädagogische Aufklärung, Zugang zu Verhütungsmitteln, bessere Gesundheitsversorgung und sicherer Zugang zu Abtreibung nötig, erklärt die Plattform. Wichtig ist es auch, Mädchen zu bilden, zu stärken und ihnen Perspektiven zu bieten. Denn: Die weltweit häufigste Todesursache bei Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren ist der Suizid. Die Verbesserung der Müttergesundheit geht also auch einher mit der Förderung von Frauenrechten und dem Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch.

Fokus auf flüchtende Frauen und Mädchen

Aus aktuellem Anlass liegt der Fokus der diesjährigen Mutternacht auf flüchtenden Frauen und Mädchen. Laut Schätzungen des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge waren im Februar etwa 60 Prozent aller in der EU ankommenden Flüchtlinge Frauen, Mädchen und Kinder. Während der Flucht sind sie nicht selten mit sexueller Gewalt konfrontiert. Zudem fehlt es an Verhütungsmitteln und medizinischer und psychologischer Betreuung bei sexuellen Übergriffen. "Für Frauen, die flüchten müssen, bestehen besondere Gefahren während der Flucht und auch in der Ankunftsphase. Sie brauchen geschlechtsspezifische Sozialarbeit und Unterstützung dabei, ihre neue gesellschaftliche Identität in Österreich zu finden", sagt Anita Monika Jahrmann-Foidl vom Samariterbund.

Für Flüchtlingsfrauen, die in Österreich mit 40 Euro Taschengeld im Monat auskommen müssen, wird die Pille praktisch unerschwinglich, sagt Jahrmann-Foidl. Seit zehn Jahren betreut sie Flüchtlinge. Verhütung ist ihrer Erfahrung nach ein großes Thema unter den Frauen – sowohl unter jüngeren als auch unter denen, die bereits mehrere Kinder haben.

Frauen schultern Hauptlast von Krieg und Vertreibung

Frauen in und um Syrien sehen sich zudem weiteren Herausforderungen gegenüber, berichtet Beatrix Bücher. Sie hat für die Hilfsorganisation Care eine Studie über die Situation der Syrerinnen in ihrem Heimatland und den Nachbarregionen geleitet. Im Bürgerkriegsland Syrien wird mittlerweile eine von sechs Familien weiblich geführt. "Syrische Frauen und Mütter schultern einen Großteil der Last von Krieg und Vertreibung", sagt Bücher. "Sie sind mittlerweile häufig allein für die Versorgung der Kinder und das Familieneinkommen verantwortlich." In den angrenzenden Staaten, die Millionen Flüchtlinge aufgenommen haben, sind bis zu 35 Prozent der Haushalte von Frauen geführt.

Lokale und internationale NGOs, die bei der Versorgung von Flüchtlingen helfen, müssen weiter unterstützt werden, fordert Care. Und: Es braucht eine umfassende Betreuung von Flüchtlingsfrauen und -mädchen im Bereich sexueller und reproduktiver Gesundheit.

Filmabend im Topkino

Zum Thema Müttersterblichkeit präsentiert die Plattform "Mutternacht" am Dienstag im Wiener Topkino als österreichische Erstaufführung den Dokumentarfilm "Sisters". Er erzählt die Geschichte von werdenden Müttern, Hebammen und Ärzten in Äthiopien, Kambodscha und Haiti. Thematisiert werden die schwierigen Umstände ihrer Arbeit, die Müttersterblichkeit zur Menschenrechtsfrage machen. Im Anschluss an den Film gibt es ein Publikumsgespräch mit Petra Bayr und Barbara Wagner von Amnesty International. (chrit, 2.5.2016)