Der Schock nach der Hofburg-Wahl sitzt bei der SPÖ tief. Manche warnen sogar, die Kanzlerpartei steuere zielsicher dem Abgrund entgegen. Doch gibt es auch Gegentrends: In einigen Gemeinden schaffen rote Kandidaten immer noch, bei Wahlen zuzulegen. Fünf Porträts von fünf unterschiedlichen und teils auch ähnlichen Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen, die der Bundespartei vorzeigen, dass es auch anders geht.

Elisabeth Blanik, Lienz: Die Chefin der Stadt ohne "Angstmaschine"

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Im tiefschwarzen Tirol hat Elisabeth Blanik ein kleines rotes Wunder vollbracht: Sie hat eine Stadt umgepolt. Als sie im Jahr 2004 in ihrer Heimat Lienz zum ersten Mal antrat, lagen die Sozialdemokraten bei knapp über zwanzig Prozent – weit abgeschlagen hinter der Volkspartei. Sechs Jahr später wurde sie Bürgermeisterin. Im Februar dieses Jahres sprach ihre Partei dann gar von "Blaniks Erdrutschsieg": Die SPÖ bekam 42,8 Prozent der Stimmen, fast zehn Prozentpunkte mehr als die Schwarzen, und Blanik wurde mit deutlicher Mehrheit in ihrem Amt bestätigt.

Wie sie das macht? "In Lienz arbeiten wir alle konstruktiv zusammen – über Parteigrenzen hinweg", sagt Blanik. "Inhaltliche Auseinandersetzungen gibt es immer, aber wenn sich Politiker permanent gegenseitig schlechtmachen, ist es wenig verwunderlich, wenn man auch von der Bevölkerung nicht geachtet wird."

Lienz hat rund 12.000 Einwohner und seit über zehn Jahren ein Asylwerberheim – mitten im Stadtkern. "Das war immer ein offenes Haus, in dem regelmäßig Bälle und andere Veranstaltungen stattgefunden haben", erzählt Blanik.

Das Thema Asyl sei in Lienz – wo derzeit rund 190 Asylwerber leben – eigentlich nie politisch missbraucht worden. Kurz habe ihr schwarzer Kontrahent im diesjährigen Wahlkampf versucht, "die Angstmaschine" anzuwerfen. "Aber da haben bei uns nicht einmal die Freiheitlichen mitgespielt."

Blanik ist eine Vertreterin klassischer sozialdemokratischer Werte. Sie sagt Sätze wie: "Es ist mir zu einfach, Probleme auf einen Migrationshintergrund zu schieben." Beim Architekturstudium in Wien habe sie einige Iranerinnen kennengelernt – "meine Sozialisation im hintersten Osttirol hat sich von deren nur unwesentlich unterschieden."

Blanik ist 50 Jahre alt, zweifache Mutter und nebenbei Landtagsabgeordnete. "Für Hobbys habe ich keine Zeit." (Katharina Mittelstaedt, 28.4.2016)

Dieter Posch, Neudörfl: "Klipp und klar sagen, wofür man steht"

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Wäre Österreich Neudörfl, dann müsste die FPÖ bei Wahlen eventuell um den Einzug ins Parlament zittern. Bei der letzten Gemeinderatswahl 2012 lagen die Blauen bei 4,5 Prozent der Stimmen, um zwei Prozentpunkte weniger als bei der Wahl davor. Gewinnerin mit 52 Prozent war die SPÖ des amtierenden SPÖ-Bürgermeisters Dieter Posch. Das liegt nicht daran, dass es hier nicht genügend Stoff für sogenannte Integrationsdebatten gibt: 76 Flüchtlinge leben hier, die meisten davon in einem Caritas-Heim, das schon seit 26 Jahren einen Fixplatz in der burgenländischen 4800-Seelen-Gemeinde hat.

Posch stellt sich demonstrativ vor das Haus, hebt es in Reden und in seinem Vorwort im Gemeindeblatt hervor. "Offensiv angehen" müsse man das Zuwanderungsthema, ist er überzeugt. Und auch ÖVP-Bürgermeister hören ihm andächtig zu, wenn er auf Gemeindetreffen sein Modell vorstellt. Dieses klingt vordergründig simpel: mit allen reden, Probleme offen ansprechen, sich aber auch trauen, den eigenen Wählern zu widersprechen. Etwa letztens, im Wirtshaus, als die allgegenwärtige Mindestsicherungsdebatte auch den Stammtisch beherrschte. Posch verwies auf Geringverdienende im eigenen Ort. "Wenn ihr denen die Mindestsicherung kürzt, dann schlafen die halt am Bahnhof", argumentierte er. Die Botschaft kam an.

Auch im Bund sollte die SPÖ "klipp und klar sagen, wofür sie steht", anstatt nur zu reagieren, glaubt Posch. Die Asyldebatte werde rein negativ geführt. Man spreche darüber, "wie viel Mindestsicherung einer bekommt, der noch nichts eingezahlt hat – anstatt dass man schaut, wie wir Neuankömmlinge dazu bringen, dass sie möglichst schnell einzahlen können". Die SPÖ schade damit sich selbst. "Dieses 'Die bedrohen uns!' nimmt uns doch niemand ab", glaubt Posch. Die Chance, dass die Hofburg-Wahl die Partei wachrüttelt, schätzt er auf 50 Prozent. Diese Zuversicht bewahre er sich. "Ich könnte ja auch freischaffender Bürgermeister sein", sagt er. "Aber ich glaube halt an diese Partei." (Maria Sterkl, 28.4.2016)

Toni Vukan, Mureck: "Es darf dir kein Weg zu lang sein, kein Kuhstall zu finster"

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Toni Vukan, der rote Bürgermeister im – früher tiefschwarzen – südsteirischen Mureck, hatte vor einiger Zeit in einem Gespräch mit dem Standard sein politisches Credo so definiert: "Es darf dir kein Weg zu lang sein, kein Kuhstall zu finster. Du musst überall hineingehen."

Es wird wohl dieser direkte Zug zur Bevölkerung, egal welcher politischen Couleur gewesen sein, der dem roten Vukan – er war früher SPÖ-Landesgeschäftsführer – die absolute Mehrheit in dieser 3600-Einwohner-Stadt eingebracht hat. Er habe gespürt, "dass die Strukturen aufbrechen und die Zeit der Parteiorganisationen vorbei ist", sagt Vulkan.

Für ihn habe sich die politische Situation hier im Süden durch die Ereignisse an der Grenze dramatisch verändert. "Als tausende Flüchtlinge die Polizisten überrannt haben, haben viele das Vertrauen in die Regierung verloren", erinnert sich Vukan. Seine Partei, die SPÖ, hätte "nur wenig Ahnung, was sich da an der Basis wirklich abspielt. Sie hört einfach nicht hin."

Vukan: "Ein Beispiel, das ungemein aufregt: Jemand, der 40 Jahre ins System eingezahlt hat, bekommt gleich viel aus dem Sozialtopf wie jemand, der gerade ins Land kommt. Das macht die Menschen total unrund, die wollen das nicht, das muss man in Wien endlich begreifen", sagt Vukan. Es habe keinen Sinn, "hier gleich wieder die Nazikeule zu schwingen und alle ins FPÖ-Eck zu stellen".

Die Integrationspolitik laufe in der Stadt – es werden 60 Asylwerber betreut – "total unaufgeregt". Vukan: "Man muss nicht jede Woche ein Multikulti-Fest veranstalten. Wir beschäftigen Asylwerber in der Gemeinde, jeweils zwei im Radl. Wir reden offen über die Probleme oder die oft absurden Gerüchte – dass zum Beispiel jeder Asylwerber ein neues Gebiss bekomme. Total bescheuert."

Vukan hat ganz offensichtlich Erfolg mit seiner "Red ma drüber"-Strategie. Vor der letzten Gemeinderatswahl hatte die SPÖ in Mureck – die jetzt fusionierten Gemeinden mitgerechnet – knapp 33 Prozent. Vukan drehte die Stadt und holte für die SPÖ 52 Prozent. Zuvor hatte die FPÖ vier Gemeinderäte. Jetzt nur noch einen. (Walter Müller, 28.4.2016)

Matthias Stadler, St. Pölten: Keine Kompromisse dank Mehrheit in St. Pölten

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Nur eine Woche lagen die beiden Wahlen auseinander, doch das Ergebnis könnte unterschiedlicher kaum sein: 59 Prozent der St. Pöltener wählten am 17. April ihren SPÖ-Bürgermeister Matthias Stadler, ein Plus von zwei Prozentpunkten. Die FPÖ legte zwar zu, blieb aber unter 15 Prozent (2011: 10,7). Bei der Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag erreichte der blaue Kandidat und Wahlsieger Norbert Hofer 30,5 Prozent in der niederösterreichischen Landeshauptstadt, der rote Rudolf Hundstorfer nur 17,4.

Stadler hat es freilich einfacher als die Genossen im Bund, gibt er im Gespräch mit dem STANDARD zu: Da wie dort sei in der Politik eine "klare Linie notwendig", mangels Mehrheit müssen im Bund aber Kompromisse geschlossen werden, "die teilweise von den Wählern als faule Kompromisse gesehen werden". Mit seiner Absoluten tut sich Stadler leichter, Politik zu machen – und so mehr Wähler zu überzeugen. Wer hat, dem wird gegeben werden.

Nicht nur Straßenbeleuchtung und Kindergartenrenovierungen – Dinge, die die Leute "fast täglich sehen" – kann Stadler kompromisslos umsetzen. Auch die Unterbringung von Flüchtlingen ging in St. Pölten einigermaßen reibungslos über die Bühne. Auch weil sich Stadler gegen Großquartiere gewehrt hat. "Wir haben hier schon sehr früh begonnen, aktiv zu agieren", die Stadt hat die Leute über hunderte Wohnungen in der ganzen Stadt verteilt. "Deswegen hat die FPÖ wenig Chancen gehabt, mit diesem Thema zu punkten", sagt Stadler.

Die Wähler würden heute stärker unterscheiden, glaubt Stadler: Wer in der Gemeinde rot wählt, tut das längst nicht mehr notwendigerweise auch bei anderen Wahlen. Deswegen müsse die Regierung ihre Erfolge "viel intensiver verkaufen". Werde etwa nur über die Registrierkassenpflicht gesprochen und nicht über Steuererleichterungen für Arbeitnehmer, werde die Reform "vom Wähler nicht so goutiert, wie es aus meiner Sicht notwendig wäre". (Sebastian Fellner, 28.4.2016)

Elisabeth Feichtinger, Altmünster: Lieber im Traunsee baden als in der roten Suppe schmurgeln

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Seit vergangenem Oktober ist das Westufer des Traunsees politisches Neuland. In der gesamten Zweiten Republik gab es in der bürgerlichen Hochburg Altmünster nur ÖVP-Bürgermeister. Doch dann kam im Vorjahr Elisabeth Feichtinger. Die erst 28-jährige Lehrerin zeigte in der Stichwahl dem damaligen ÖVP-Langzeitbürgermeister, wo der Kommunalbartl den Most herholt: Altmünster ist nun die einzige Gemeinde im Bezirk Gmunden mit einer SP-Bürgermeisterin.

Seitdem ist Feichtinger nicht nur der rote Shootingstar am Traunsee, sondern gleich das weibliche Wunder für die gesamte Landespartei. Selbige leckt sich nach dem desaströsen Wahlergebnis vom September 2015 immer noch die Wunden. Die wenigen siegreichen Ausnahmen wie die junge Traunsee-Bürgermeisterin werden da gerne zum Morgenrot am dunklen Horizont hochstilisiert und in der Partei herumgereicht.

Feichtinger selbst sieht die Sache gelassen – und ist trotz schwieriger Parteilage "stolze Sozialdemokratin". Für ihren eigenen Erfolg hat die Jungpolitikerin eine einfache Erklärung: "Ich bin nicht in der Partei groß geworden. Ich war nie bei den Roten Falken, nie in anderen parteinahen Kreisen. Dadurch habe ich auch nie den Blick von außen verloren."

Darin sieht die Bürgermeisterin auch ein großes Problem der SPÖ: "Personen werden in Führungspositionen gehoben, die ein Leben lang nur in der roten Suppe geschmurgelt sind. Und dann wundert man sich, wenn der Kontakt zu den Menschen dahin ist."

Feichtinger selbst hat im Wahlkampf alle 4706 Haushalte von Altmünster besucht. "Wir müssen uns als SPÖ wieder in die Menge trauen. Und die Menschen spüren – nicht nur lächelnd Hände schütteln."

In der SPÖ wünscht sich Elisabeth Feichtinger vor allem mehr basisdemokratische Personalentscheidung. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte die Wahl einer neuen Bundesspitze sein. Denn in der aktuellen roten Führung sieht Elisabeth Feichtinger wenig Zukunft: "Ich kenne Werner Faymann zwar nicht persönlich – aber es braucht jetzt eine klare sichtbare Änderung der SPÖ-Führung." (Markus Rohrhofer, 28.4.2016)