Zur Verbrechensbekämpfung in Österreich feierten Supercomputer in den 1990er-Jahren Premiere, als der Verfassungsschutz nach dem Briefbombenattentäter Franz Fuchs suchte.

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Entführungen, Banküberfälle, Attentate: In den 1970er-Jahren hielt der linksextremistische Terror der RAF Deutschland in Atem. Die Sicherheitsbehörden waren überfordert und sahen sich genötigt, neue Methoden einzusetzen. Im deutschen Bundeskriminalamt feierte der "Kommissar Computer" seinen Durchbruch.

Der Erfinder der computergestützten Rasterfahndung

BKA-Chef Horst Herold gilt als Erfinder der computergestützten Rasterfahndung. Seine Überlegung war simpel: RAF-Mitglieder zahlen die Stromrechnung in konspirativen Wohnungen in bar und benutzen dabei einen Falschnamen. Also könnte man sie schnappen, indem man alle bar zahlenden Stromkunden mit Datenbanken legaler Namen abgleicht.

Mit dieser Methode fasste das deutsche Bundeskriminalamt 1979 tatsächlich einen Terroristen der RAF – und bewies so den Nutzen der Datenbankanalyse durch Rechensysteme.

Mittlerweile ist der Einsatz von Supercomputern, die massenhaft Daten analysieren, aus der Arbeit von Polizei und Geheimdiensten nicht mehr wegzudenken. Auch in Österreich feierten sie in den 1990er-Jahren Premiere, als der Verfassungsschutz verzweifelt nach dem Briefbombenattentäter Franz Fuchs suchte.

Verbrechen vorhersagen

In den vergangenen Jahren gingen Behörden noch einen Schritt weiter: Sie wollen nun nicht mehr nur Verbrechen aufklären, sondern diese sogar verhindern. Das Zauberwort hieß "Prävention", sowohl bei Geheimdiensten als auch bei der Polizei. Durch die Massendurchsetzung des Konsumentenmarktes mit Smartphones, also datenspeichernden Minicomputern, hatten Behörden einen wahren Schatz, auf den sie legal oder illegal zugreifen konnten. Diese Daten sollen so aussagekräftig sein, dass sie auch zur zukunftsgerichteten Verbrechensforschung nutzen können.

Die Big-Data-Analyse wurde zu einem heiligen Gral, der für absolute Sicherheit sorgen kann. Doch genau wie beim mythischen Wunderobjekt ist unklar, ob eine Vorhersagbarkeit von Verbrechen tatsächlich existiert.

Momentan sieht es eher so aus, als ob die Hinwendung zu Big Data, die massiv Ressourcen verschlingt, für Aufmerksamkeitsdefizite gesorgt hat – und das zu einem teuren Preis, nämlich zulasten der Bürgerrechte der Bevölkerung. Zu viele Terroristen sind den Geheimdiensten durch ihr Netz geschlüpft, obwohl sie ihnen vorab bekannt waren: etwa die rechtsextreme NSU in Deutschland, die Attentäter von Paris oder Brüssel oder die Bombenleger des Boston Marathon 2013.

Klar ist: Wer hunderte Millionen Euro für Software, Computer und Analysten ausgibt, muss bei klassischen Methoden wie Observation oder dem Aufbau von Quellen sparen.

Zu spontan, zu innovativ

Doch die Effektivität der Datenanalyse für die Prävention von Anschlägen ist umstritten. Grundsätzlich basiert die Methode auf dem mathematischen Satz von Bayes, der aus dem 18. Jahrhundert stammt. Er besagt, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses in der Zukunft aufgrund der Merkmale bisheriger Ereignisse errechnen lässt. Das mag für den Münzwurf stimmen, bei Terroristen ist das jedoch zu bezweifeln – zu spontan und "innovativ" ist der Mensch, um seine Pläne exakt vorhersagen zu können.

Von den Fehlschlägen zeigt sich der Hype um Big Data allerdings unbeeindruckt. Das hat auch Gründe, die manche als Korruption bezeichnen würden. Denn in den USA hat sich mittlerweile ein "militärisch-digitaler Komplex" herausgebildet, in dem Silicon Valley und Geheimdienste in einem ungesunden Naheverhältnis stehen.

Ehemalige NSA-Analysten wechseln zu IT-Konzernen und umgekehrt; große Rüstungsfirmen satteln schon länger auf digitale Produkte um. FBI, NSA und Konsorten schreiben lukrative Aufträge aus, Privatkonzerne versprechen Sicherheit und machen die Geheimdienste zu willfährigen Abhängigen.

Massenüberwachung

Über die USA strahlt diese Philosophie dann nach Europa aus. Die Überwachungsstation Bad Aibling in Bayern soll etwa mit US-Geldern aufgerüstet worden sein, im Gegenzug soll der Geheimdienst BND die Massenüberwachung verstärkt und mehr Daten nach Amerika geliefert haben.

In Österreich dürfte dieser Mechanismus ähnlich funktionieren. Solange derartige Abhängigkeiten bestehen, ist ein Umdenken in der Geheimdienstbranche nicht zu erwarten. Das zeigt der Beschluss der Fluggastdatenspeicherung auf EU-Ebene, der noch mehr Daten der Bürger sammelt.

Wie ein sinnvoller Einsatz von Datenanalysen in der Praxis aussieht, zeigt ein Test der Wiener Polizei: Dort berechnet Software anhand statistischer Daten, wo demnächst Wohnungseinbrüche wahrscheinlich sind. Die Polizei widmet dieser Fläche dann besondere Aufmerksamkeit. "Software kann keine Straftat verhindern, allerdings die Arbeit der Polizei erleichtern", so die Polizei. (Fabian Schmid, 8.5.2016)