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Christian Kern (SPÖ) wird wohl bald die Bundesregierung leiten. Zu Asylfragen hat er sich bisher nicht geäußert.

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Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) denkt dafür schon an weitere Verschärfungen für Flüchtlinge.

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Die dringendste Festlegung des wohl künftigen Bundeskanzlers, Christian Kern, – jene, der die stärksten Erwartungshaltungen vorhergehen – ist: Wie hält es der neue oberste Repräsentant der österreichischen Sozialdemokraten und Regierungschef des Landes mit der Asylfrage? Geantwortet hat er bisher darauf nicht.

Zwar ist diese Frage, nüchtern betrachtet, für die Zukunft Österreichs weit weniger entscheidend als wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (von deren Gelingen wohl abhängen wird, ob die SPÖ mittelfristig FPÖ- und Nichtwähler zurückholen kann). Doch in der aufgehussten Anti-"Asylanten"-Stimmung im Land und angesichts der aktuellen Allgegenwärtigkeit des Themas hat Kern gerade hier keine Bedenkzeit.

Massiver Druck

Von der ÖVP wird auf den Neuen an der Regierungsspitze in der Asylfrage derzeit massiver Druck ausgeübt. Das Weiterführen der bisherigen Linie – vor allem ein Ja Kerns und seiner künftigen Truppe zur Sonderbestimmung, auf deren Grundlage Regierung und Nationalrats-Hauptausschuss eine Stopp-Verordnung für Asylverfahren erlassen können – ist für die Schwarzen eine Bedingung, um die Koalition weiterzuführen.

Sind dem Ex-ÖBB-General in der Flüchtlingsfrage also die Hände gebunden? Muss er zu den Asyl-Bedingungen der ÖVP Ja und Amen sagen, wenn er Neuwahlen scheut – was er und die SPÖ wohl tun, erstens wegen der dann zu erwartenden FPÖ-Mehrheit, zweitens wegen der Möglichkeit, dass bald der Blaue Norbert Hofer als Bundespräsident in der Hofburg sitzt und nur mehr Regierungen nach seinem Geschmack billigt.

Nein, handlungsunfähig sind Kern und die SPÖ hier nicht.

Es wird wieder spannend

Wie es flüchtlingspolitisch im Land weitergeht, erschöpft sich nämlich keineswegs in einem Ja oder Nein zu der Asylnovelle samt ihrer – menschenrechtlich höchst umstrittenen – Sonderbestimmung, vulgo Notstandsregelung. Auch wenn sie wie geplant in Kraft tritt, dürfte die diesbezügliche Diskussion bald wieder sehr an Interesse gewinnen.

Besagte Sonderbestimmung – das muss auch von Kritikerinnen-Seite einmal gesagt werden –ist aus einer Situation heraus entstanden, in der die Republik auf sich allein zurückgeworfen war. Insofern ist nachvollziehbar, dass es zu ihr kam. Hätten sich die Mitgliedsstaaten der EU nicht als völlig unwillig und unfähig erwiesen, solidarisch mit der Fluchtbewegung umzugehen, hätten nicht Zynismus und Wegschauen das Verhalten in den meisten Regierungen bestimmt, wäre sie nie beschlossen worden.

Klar erscheint, dass die Regelung allein auf nationale Interessen setzt und ist damit einer EU-weiten Lösung (die aber nicht zu erkennen ist) entgegensteht. Sie ermöglicht, ein grundlegendes Menschenrecht – jenes auf Prüfung eines Asylbegehrens – für die meisten in Österreich ankommenden Flüchtlinge außer Kraft zu setzen. Das zeigt, wie wenig Wert die österreichischen Eliten dem internationalen Flüchtlingsrecht zuerkennen. Hier sind sie in Europa keineswegs allein.

Versagen der EU-Mitgliedstaaten

Nun besitzt eine ganze Reihe Staaten Sonder- und Notfallsbestimmungen für besonders exponierte Situationen verschiedenster Art. Die Frage ist jeweils, wann davon ausgegangen wird, dass eine solche Situation besteht. Genau das wird auch nach Inkrafttreten der österreichischen Asylnovelle die Gretchenfrage sein. Wann soll die "Notstands"-Verordnung beschlossen und wirksam werden?

Aus der ÖVP heißt es dazu: Schnell muss es gehen. Das sagte etwa Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) bei einer Pressekonferenz am Donnerstag. Doch eine rasche Verordnung müsste allein auf Verdacht hin beschlossen werden: Bis dato haben laut Auskunft des Innenministeriums heuer 19.000 Menschen in Österreich um Asyl ersucht. Da ist es bis hin zum Richtwert von 37.500 Asylanträgen noch recht weit.

Wie werden Kern und die SPÖ sich verhalten, sollte der Koalitionspartner lang vor dem Erreichen der 37.500 den Beschluss einer Notstandsverordnung fordern? Wird er darauf hinweisen, dass das völlig übersteuert wäre? Oder wird er der ÖVP willig sein?

Vorbereitungsarbeit für Strache

In ersterem Fall würde herausgestrichen, dass die Sonderbestimmung nur eine Regelung für wirkliche Sonderfälle sei. In letzterem Fall würde einem Asyl-Regime zugestimmt, mit dem die FPÖ auch ohne Regierungsübernahme weite Teile ihrer "Asylanten"-Sündenbock-Vorstellungen umgesetzt hätte. Ein möglicher künftiger Regierungschef Heinz-Christian Strache müsste dann nur noch nachjustieren.

Hier haben Kern und die SPÖ in Asylfragen weiter die Wahl. Dass ihre Entscheidung eng mit der Frage einer möglichen Annäherung an die FPÖ zusammenhängt, liegt auf der Hand. Wie es hier weitergeht, hat massiven Einfluss auf die Zukunft Österreichs. Also ob es (noch) eine Alternative zum Versinken der Republik in hegemonialen, also Politik und Gesellschaft bestimmenden Rechtspopulismus gibt. Man kann also sehr gespannt sein – besser gesagt: man muss. (Irene Brickner, 15.5.2016)