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Warum Miss Ayako, die zugegebenermaßen ein glockenhelles, von Gott geschenktes Stimmchen besitzt, mitten in der Waldviertler Volksbank-Arena steht, ein Dirndl trägt und in der Halbzeitpause der Partie gegen den Wiener Sportklub "Im Prater blühen wieder die Bäume" singt, ist schwer erklärbar. Wunderbar, wenn man es mag.

Andererseits ist Horn vermutlich der letzte Ort in Österreich, in dem Willkommenskultur eine Tugend und kein Schimpfwort ist. Miss Ayako wurde mit Applaus zwar nicht überhäuft, aber bedacht. Man soll die Horner, es gibt circa 6800, natürlich nicht überinterpretieren oder als Heilige darstellen, das Waldviertel ist nämlich prinzipiell rau. Der Beifall könnte auch mit einem kollektiven Wunsch verbunden gewesen sein: Bitte sing daheim.

SV Horn: Im Fußball ist alles möglich.
derStandard.at

Keisuke Honda ist ein begnadeter Fußballer und in Japan äußerst populär. Der 29-Jährige, er spielt für den AC Milan, ist von der Bekanntheit her die Multiplikation von Niki Lauda mit Hermann Maier plus Thomas Muster zum Quadrat dividiert durch David Alaba hoch drei. Keisuke Honda ist bereits zweimal in Horn gewesen. "Wir wollen gemeinsam musizieren", hat er gesagt und es anders gemeint. Die Musi macht der Fußball. In fünf Jahren soll der 1922 gegründete SV Horn in der Champions League blühen.

Milans Keisuke Honda war schon zweimal in Horn.
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"Never give up"

Wüssten Real Madrid, Barcelona oder die Bayern davon, frage nicht, sie würden sich kalt anziehen. "Lachen sie nur, es klingt skurril", sagt Youji Honda, der 32-jährige Cousin von Keisuke. Er ist der Obmann in Horn, führt die Geschäfte, spricht nicht übers Geld und die Höhe der Investitionen, lächelt Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Projekts weg. "Wir sollten mehr träumen, es ist alles möglich. Hätten sie jemals gedacht, dass Leicester City englischer Meister wird? Nein? Sehen sie." Youji Honda hat eine Lebensphilosophie: "Never give up."

Dass er im Nadelstreif im gemütlich-bescheidenen Horner Klubhaus hinter einem schlichten Schreibtisch zwischen gefühlten 23 Computern sitzt – Youji Honda kommt um neun Uhr früh und geht selten vor Mitternacht – könnte mit der Abgeschiedenheit Japans zusammenhängen. "Wir sind vom Pazifik umgeben, abgeschottet und deshalb nicht gerade offen für andere Kulturen."

Youji Honda, Obmann in Horn: "Wir sollten mehr träumen, es ist alles möglich. Hätten sie jemals gedacht, dass Leicester City englischer Meister wird? Nein? Sehen sie."
Christian Fischer

Horn ist demnach auf eine gewisse Weise globaler als seine Heimatstadt Osaka. "Ihr grenzt an andere Länder, an andere Sprachen. Wir kennen nur Japanisch." Die Kooperation hat im Juni 2015 begonnen. Rudolf Laudon, der zweite Obmann, ein Banker und Funktionär alter Schule ("Ich bin ein echter Waldviertler, Horn soll erdig bleiben, ich mag hier kein Red Bull") sagt, der Zufall habe eine Rolle gespielt.

Die Rutsche

Der ehemalige Horner Co-Trainer Masaki Morass, rein zufällig Japaner, legte die Rutsche. Er hatte erfahren, dass die Agentur Honda Estilo nach Europa drängt. Sie, die Agentur, gehört und vermarktet Keisuke Honda, betreibt in Japan 65 Fußballschulen. Da der Kick dort an Größe und Niveau überbietbar ist, möchte der Superstar die strebsamen Schüler raus in die weite Welt schicken. Damit sie lernen, den Horizont erweitern, besser werden.

Die Zahl der Arbeitsplätze ist freilich begrenzt, also ist es naheliegend, sich bei Vereinen in Europa quasi einzukaufen. Österreich gilt als interessanter Markt. Es ist hier nämlich recht einfach, mit relativ geringem finanziellem Aufwand an die nationale Spitze zu gelangen. Siehe Mattersburg. Siehe Pasching. Siehe Wolfsberg. Siehe Grödig. Die Agentur prüfte den Sportklub, Wacker Innsbruck, die Vienna und Wiener Neustadt, die Gestaltungsspielräume waren ihr aber zu eng, die Stadien sind nicht im Besitz der Vereine. Also wurde es der SV Horn. Dessen Hauptversammlung war von dem Engagement schier begeistert, segnete es einstimmig ab.

Rudolf Laudon, ebenfalls Obmann: "Horn soll erdig bleiben, ich mag hier kein Red Bull".
Christian Fischer

Aus der Ersten Liga gerade abgestiegen, konnte man das Budget von 2,5 Millionen Euro in der Regionalliga Ost halten. Der Kader besteht aus 27 Vollprofis, der Wiederaufstieg ist bereits geglückt. Denn der einzige ernsthafte Konkurrent, die Vienna, pfeift auf die Lizenz. Sie hat keine Japaner und auch kein Geld. Es ist übrigens absoluter Unsinn, dass die Hondas den SV Horn in ein japanisches Reservenationalteam ummodeln wollen. Momentan sind sechs Söhne Nippons im Aufgebot, in der Startelf gegen den Sportklub stand genau keiner. Cheftrainer Masanori Hamayoshi wischt Befürchtungen weg. "Wir pflegen die japanisch-österreichische Freundschaft, wollen die besten Talente von überall."

Doppelbesetzung

Man hat sich aneinander gewöhnt. In der Verwaltung ist jeder Job doppelt besetzt. Pressechef Philipp Pfeffer hat einen japanischen Kollegen, die Übersetzung der Homepage ins Japanische wäre für den 25-Jährigen eine Überforderung. Auch Geschäftsführer Marc-Kevin Prisching hat einen Doppelgänger. Per Livestream werden die Partien der Horner über den Pazifik geschickt, 20.000 Honda-Jünger lassen sich tatsächlich regelmäßig den Schlaf rauben. Obmann Laudon sagt: "Wien ist weit weg, in unserem Einzugsgebiet leben 300.000 Menschen." Gegen den Sportklub sind 1400 gekommen, der Schnitt beträgt 1000, die Hütte fasst 4000. Das Potenzial harrt der Ausschöpfung.

Horn gegen Sportklub: Der Fußballklub aus dem Waldviertel hat hohe Ambitionen.
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Das Match endete 4:1. Die Fans waren zufrieden, die friedliche japanische Übernahme sehen sie entspannt. "Sollen sie ihr Geld verbrennen, wir leben in einer Demokratie", sagt der Karl, ein Stehplatzbesucher. Sein Haberer Ferdinand hält es allerdings für wahrscheinlicher, "dass die SPÖ bei den nächsten Nationalratswahlen die absolute Mehrheit erreicht, als dass Horn in der Champions League spielt". Der Gourmetbereich (vulgo Fressstandln) bietet einen Japanese Food Corner. Die gebratenen Nudeln werden von den Schnitzelsemmeln schamlos abgehängt, der Sake wird vom Vitus-Wein im Halbliterplastikbecher gnadenlos deklassiert. Noch.

Die gebratenen Nudeln haben es noch recht schwer gegen die Schnitzelsemmeln. Aber es ist ja ein Langzeitprojekt.
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Der 21-jährige Nikki Havenaar ist Niederländer und in Japan aufgewachsen, besitzt die Doppelstaatsbürgerschaft. Der fast zwei Meter große Innenverteidiger träumte von Arsenal, gelandet ist er in Horn. "Das Leben ist nicht planbar. Japaner gehen sehr ins Detail. Wie du erfolgreich Fußball spielst, wissen aber die Europäer. Österreich ist ein Land der Talente. Keine Ahnung, was mit mir noch passiert." Made in Japan, destroyed in Horn? "Nein. Made in Japan, developed in Horn."

Lange Beziehung

Youji Honda telefoniert täglich mit seinem Cousin Keisuke. "Er will Informationen, wir bleiben lange hier, es ist eine dauerhafte Beziehung." Für die Erste Liga werden ein paar neue Spieler verpflichtet. Ein Stadionneubau steht derzeit nicht auf der Agenda. Laudon: "Wir sollten nicht raunzen. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass sie von heute auf morgen gehen. Aber auch in diesem Fall wird es in Horn Fußball geben. Der Verein gehört uns ja, wir halten 51 Prozent, haben keine Schulden, sind erdig."

Der Horner Wanderweg beginnt vor der Waldviertler Volksbank-Arena und endet dort. Es handelt sich nämlich um einen Rundwanderweg. Er ist 6,3 Kilometer lang. Das Nussbaum-Bankerl, das Horner-Blick-Bankerl und das Föhren-Bankerl laden zur Rast ein. Es wäre Platz für ein Champions-League-Bankerl. In fünf Jahren. Miss Ayako könnte dann ihr schönstes Dirndl anziehen und mit glockenheller Stimme "We are the Champions" singen. Wunderbar, wenn man es mag. (Christian Hackl, 16.5.2016)