Weniger Regeln statt straff einspannen.

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AVL-Personalchef Markus Tomaschitz.

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Wenn Managementhistoriker die ersten Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts rückblickend bewerten, dann werden sie vor allem folgende Frage stellen: Wie war es möglich, so lange ein tradiertes Muster von Managementmethoden des 20. Jahrhunderts beizubehalten, obwohl wesentliche Parameter sich so entscheidend veränderten?

Tatsächlich verwundert es, dass wir immer mehr von jenen Instrumenten anwenden, die seltsam aus der Zeit gefallen erscheinen. Zielvorgaben, Zeiterfassung, langfristige Pläne, hierarchische Strukturen und Quartalsberichte sind in Zeiten entstanden, in denen die Umweltdynamiken einfach schienen und Veränderungen nur schleppend erfolgten. Heute haben wir hoch komplexe Unternehmensumwelten, und rasante Veränderungsgeschwindigkeiten in projektorientierten, global agierenden Unternehmen erfordern ein anderes Anspruchsdenken an wirksames Management. Management im 21. Jahrhundert muss daher von der Einsicht geprägt sein, dass wir keine trivialen, planbaren, beherrschbaren und leicht durchschaubaren Systeme verwalten, sondern unvorhersehbare und beschränkt gestaltbare Systeme innerhalb unserer Organisationen vor uns haben.

Die Grundlage funktionaler Arbeitsteilung, Regelmäßigkeit und Routine, ist abhanden gekommen und muss durch eine neue Form des Managements und der Organisationssteuerung ersetzt werden. Dieses neue Management wird gekennzeichnet sein durch Führung mit minimalen Regeln, wenig Dokumentation, viel Freiheiten für den Einzelnen, wenig Macht und die Einsicht, dass Management im Wesentlichen Anpassungsarbeit an sich schnell ändernde Bedingungen darstellt.

Methoden sind nicht das A und O

Erfolg hängt von der Fähigkeit einer Organisation zum Wandel ab und nicht so sehr von Methoden. Dieser Erfolg ist das Ergebnis der Passung der durch das Management geschaffenen Strukturen und Prozesse an neue Bedingungen und Marktgegebenheiten.

Drei Dinge stehen dabei im Vordergrund: Vertrauen in Mitarbeiter auf allen Ebenen, damit dort Entscheidungen getroffen werden, wo die Informationsgrundlage am besten ist. Zweitens die Kommunikationsfähigkeit des Managements bei gleichzeitigem Autoritätsverlust. Anstelle der alten Machtstrukturen treten Beziehungsarbeit, Sinnstiftung und Einflussnahme durch Überzeugung und Authentizität. Verlust an Macht und Autorität ist niemals leicht zu akzeptieren und muss daher auch folgerichtig mit einer Demut bezüglich des Handlungsspielraums des Managements an sich betrachtet werden.

Doch es gibt viele Beispiele, dass dieses neue Managementdenken in so manchem Unternehmen bereits erfolgreich Platz greift. Schließlich drittens die Nutzung der Ergebnisse der digitalen Transformation. Das Management wird Systeme zur Selbststeuerung entwickeln, in denen die wesentliche Einflussnahme über die Bereitstellung von Rahmenbedingungen erfolgen wird. Wir haben in den letzten 100 Jahren vor allem die manuelle Arbeit um ein Vielfaches produktiver gemacht. Landwirtschaft und produzierende Industrie können dank technologischer Einsatzmöglichkeiten schneller, günstiger und besser verwaltet werden. Jetzt kommt die Wissensarbeit dran: Mitarbeitergespräche, Verkaufsprozesse und interne Abstimmungsthemen werden in den nächsten drei Jahrzehnten um das 50-Fache produktiver gestaltbar sein. Universitäten, Ausbildungszentren und letztlich Unternehmen müssen daher auf diese Herausforderungen Antworten finden, um alle im Management auf diese Realitäten vorzubereiten.

Hilfe, neue Freiheiten

Dass wir hier noch weit weg sind, zeigte unter anderem ein Expertenworkshop des Münchner Kreises zur Automatik der Industrie 4.0 im Jahr 2014. Deutschland und Österreich sind vollkommen unvorbereitet auf die neuen Freiheitsgrade der industriellen Revolution. Wir schränken Mitarbeiter viel zu sehr ein, stellen zu viele Regeln auf und denken in Kontrolle. Kurz wir misstrauen einander. Misstrauensorganisationen sind teuer, denn ihre Systeme zur Kontrolle brauchen Zeit und Geld.

Dazu kommen leider auch externe Faktoren, wie ein heillos überaltertes Arbeitsrecht, das mit den aktuellen Herausforderungen nichts mehr zu tun hat. Daher ist Personalarbeit heute in vielen Firmen ein Drahtseilakt zwischen der Ermöglichung von Aufgabenerfüllung durch den Arbeitnehmer und völlig veralteten Bestimmungen aus einer Zeit, in der es keine projektorientierten Wissensarbeiter in einer global agierenden Unternehmung gab.

Doch zurück zu den internen Aufgaben: Organisationen sind keine Maschinen, können nicht "re-engineered" werden, bestehen aber aus komplexen sozialen Systemen, die meistens außerhalb der festgelegten Normen und Verfahren stehen und funktionieren. Die wirkliche Arbeit des neuen Managements liegt in den informellen Prozessen, den Mühen der Niederungen, der Unzahl an Interaktionen, die eigentlich festlegen, wie eine Organisation funktioniert. Wandel ist daher ein nicht-lineares und dynamisches Phänomen, das sich über die Zeit entwickelt. Entscheidend sind der Prozess und das Umsetzen des angestrebten Verhaltens der Organisationsmitglieder.

Achtung: Der Ruf nach Leadership

Diese Veränderungen erzeugen sozialen Schmerz, da sich viele von dieser Situation überfordert fühlen, denn sie bedeutet eine Abkehr von lieb gewonnenen Instrumenten, an die man sich gerade gewöhnt hat. Diesen Schmerz fühlen übrigens auch jene Mitarbeiter, die sich von den neuen Gegebenheiten überfordert und benachteiligt fühlen. Die Konsequenz ist der Ruf nach einem starken Management und einfachen Formeln in der Hoffnung, diese könnten den Schmerz nehmen.

"Leadership zeigen" ist wieder in und meint doch nur den Wunsch, dass endlich jemand wieder ganz einfach Zuversicht gibt, Schmerzen nimmt und eine Richtung vorgibt. Doch Vorsicht ist angebracht: Es gibt keine einfachen Antworten, und vor so manch starker Frau und starkem Mann sollte man auf der Hut sein. (Markus Tomaschitz, 23.5.2016)