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Dass es ein spannender Wahlabend wird, hat sich abgezeichnet. Aber dass erst die Auszählung der Stimmen der Briefwähler die Entscheidung bringen wird, wer in die Hofburg einzieht, war dann doch eine Überraschung. Das knappe Rennen in der Präsidentenstichwahl am Sonntag zeigt die Polarisierung in diesem Land, die während des Wahlkampfs zu bemerken war: Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer waren zwei Kandidaten, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Den jeweils anderen zu verhindern war eines der stärksten Wahlmotive bei dieser Wahl. Aber auch wenn die Auseinandersetzung hart war, das Land ist nicht gespalten, sondern politisiert.

Während der erste Urnengang ein deutlich unterschiedliches Wahlverhalten zwischen Stadt und Land offenbarte, konnte Van der Bellen bei der Stichwahl in ländlichen Gebieten im Westen aufholen, Hofer noch stärker ganz im Osten punkten. Wien war entscheidend, schon im ersten Durchgang in grüne und blaue Bereiche geteilt: die Flächenbezirke in FPÖ-Hand, der Rest grünes Terrain. Überraschend war, dass im zweiten Durchgang Van der Bellen dann selbst in Flächenbezirken eine höhere Zustimmung verbuchen konnte, nur Simmering und Floridsdorf gingen an Hofer.

Beträchtliche Mobilisierung

Van der Bellen lag im ersten Wahlgang rund eine halbe Million Stimmen hinter Hofer. Er hat beträchtliche Mobilisierungskraft bewiesen – auch außerhalb des Spektrums der Grün-Sympathisanten, die ihn schon im ersten Wahlgang unterstützt hatten und auch im zweiten fast geschlossen noch einmal für ihn votierten. Die Aufholjagd ist dem langjährigen Grünen-Chef vor allem deshalb gelungen, weil er zwei von drei ehemaligen Griss-Wählern ansprechen und auch mehr als 200.000 vormalige Nichtwähler diesmal zur Stimmabgabe bewegen konnte. Ehemalige Griss-Wähler und frühere Nichtwähler könnten damit im zweiten Durchgang wahlentscheidend gewesen sein.

Einen nationalen Schulterschluss wie in Frankreich mit dem "cordon sanitaire" gegen den Front National gab es in Österreich nicht. Aber auch wenn weder SPÖ noch ÖVP eine offizielle Wahlempfehlung abgaben, ist ein Teil ihrer Anhänger zu Van der Bellen gewandert. Geholfen haben dabei Erklärungen etwa von vier ehemaligen ÖVP-Chefs, die sich demonstrativ an Van der Bellens Seite stellten. Dennoch konnte Van der Bellen stärker frühere Hundstorfer-Wähler mobilisieren.

Nicht für Van der Bellen, aber gegen Hofer

Für die meisten Wähler Van der Bellens war das wichtigste Motiv, ein Zeichen gegen rechts zu setzen. Viele haben nicht für Van der Bellen gestimmt, sondern gegen Hofer. Denn als Rechtsschwung ist schon das Ergebnis des ersten Wahlgangs international wahrgenommen worden.

Hofer hat im Wahlkampf seinen Stil durchgehalten, das freundliche, sympathische Gesicht der FPÖ zu sein. Aber Hofer ist Ehrenmitglied einer schlagenden deutschnationalen Burschenschaft und hat zumindest bei Parteiveranstaltungen kein Hehl aus seiner Einstellung gemacht. Jeder weiß, wofür er steht. Er kündigte an, dass er freiheitliche Politik auch nach der Wahl machen würde.

Kern-Effekt als Katalysator

Geholfen hat Van der Bellen auch, dass Werner Faymann nach dem ersten Wahlgang zurückgetreten ist und Christian Kern als neuer Kanzler gleich Führungsstärke bewiesen hat. Ein früherer Rücktritt Faymanns hätte der erneuerten Regierung die Chance geboten, die Ankündigung Kerns, den Stillstand zu beenden, bereits in die Tat umzusetzen.

Van der Bellen wirkte in der Schlussphase des Wahlkampfs im Vergleich zu Hofer müde. Hofer konnte ein Viertel der ehemaligen Griss-Wähler von sich überzeugen und vier von zehn, die im ersten Wahlgang für Andreas Khol gestimmt hatten. Der freiheitliche Kandidat konnte auch diesmal ein beträchtliches Potenzial an Protestwählern ansprechen und solche, die Angst vor Zuwanderung haben. Wie die Wählerbefragungen zeigen, profitiert Hofer weiterhin von der Flüchtlingskrise.

Das Interesse an Politik in Österreich ist in den vergangenen Wochen gestiegen. Das haben die Quoten bei den elektronischen und die Zugriffszahlen der Onlinemedien gezeigt. Das ist ein positives Faktum, das über den Wahltag hinauswirkt. (Alexandra Föderl-Schmid, 22.5.2016)