Der Sonntag hat bei der Bundespräsidentenwahl noch keine Entscheidung gebracht. Beim Gang an die Urne setzte sich FPÖ-Kandidat Norbert Hofer mit 51,9 zu 48,1 Prozent der Stimmen gegen den offiziell unabhängigen ehemaligen Grünen-Chef Alexander Van der Bellen durch. Erst am Montagnachmittag fiel die Entscheidung durch jene Stimmen, die mit Wahlkarte abgeben worden waren.

Briefwahl-Verschwörungstheorien

Durch die knapp 700.000 Stimmen, die so zusätzlich zum regulären Urnengang gezählt wurden, konnte Alexander Van der Bellen den bislang führenden Norbert Hofer noch überholen. Schon im Vorfeld der Auszählung wurden von der FPÖ mögliche Verschwörungen vermutet, insbesondere nachdem das Innenministerium versehentlich Testdaten kurzfristig veröffentlicht hatte.

Parteichef Heinz-Christian Strache selbst postete am frühen Montagmorgen einen Eintrag auf seiner Facebook-Seite, der in eine ähnliche Richtung zielt. Ein Sieg Van der Bellens würde "diametral" gegen "den Wahltrend" gehen und "entgegen allen internationalen Erfahrungen" verlaufen. Seine dazu angestellte Rechnung war allerdings nicht korrekt.

Straches Rechenfehler (unterstrichen) führt zu einem Unterschied von mehr als zehn Prozent gegenüber einer korrekten Berechnung.
Foto: Screenshot, Hervorhebung: WebStandard

Falsches Rechenspiel

Strache ging realistischerweise davon aus, dass am Montag 650.000 bis 700.000 gültige Wahlkarten auszuzählen sind. Unter der Annahme der 700.000 geht er davon aus, dass Van der Bellen die Hälfte dieser Stimmen plus 145.000 zum Gutmachen seines Rückstands aus der Urnenwahl braucht. In Straches Rechnung müsste Van der Bellen somit 495.000 Briefwahlstimmen erhalten. Ein Anteil von 70,71 Prozent.

Korrekte Berechnung

Tatsächlich sind es jedoch deutlich weniger. Hofer hat nach der Abstimmung in den Wahlkabinen einen Vorsprung von 144.006 Stimmen auf Van der Bellen. Möchte man nun errechnen, wie viele Stimmen Hofers Konkurrent braucht, um die Wahl für sich zu entscheiden, muss dieser Abstand zuerst von der Gesamtzahl der gültigen Wahlkarten abgezogen werden. So ermittelt man die Stimmen, die zur Aufteilung übrig blieben, wenn Van der Bellen den Rückstand egalisieren kann. Das Ergebnis lautet 555.994.

Diese Zahl muss nun durch 2 geteilt werden, was 277.997 ergibt. Hier wird der Abstand wieder addiert, um auf den notwendigen Stimmenanteil für Van der Bellen für einen exakten Gleichstand zu kommen. Es sind 422.003 Stimmen, die in diesem Fall für eine Wahlwiederholung sorgen würden.

Viele hunderttausend Wähler entschieden sich für die postalische Stimmabgabe. Sie drehten das Ergebnis vom Sonntagabend zugunsten von Alexander Van der Bellen.
Foto: derStandard.at/Pichler

Strache irrt um zehn Prozent

Gibt es also 700.000 gültige Wahlkarten, würde Van der Bellen mit 422.004 Stimmen (60,29 Prozent) oder mehr als nächster Präsident in die Hofburg einziehen. Da Van der Bellen auch im ersten Wahlgang ein gutes Briefwahlergebnis vorweisen konnte und auch seine Ex-Partei hier in der Regel überdurchschnittlich abschneidet, liegt auch die Prognose von Sora für den ORF bei ähnlichen Werten – sie hat sich am Montag bestätigt.

Hofer hätte wiederum 277.998 Stimmen benötigen, um insgesamt als Sieger vom Platz zu gehen. Straches eigene Rechnung ist arithmetisch unsinnig und liegt um mehr als 70.000 Stimmen beziehungsweise zehn Prozentpunkte daneben. Die FPÖ hat in ersten Statements allerdings keine Wahlanfechtung angekündigt, Kandidat Norbert Hofer seine Niederlage eingestanden.

Kontrolle

Die Rechnung ist einfach verifizierbar, nämlich durch eine simple Subtraktion und Addition. 422.003 minus 277.997 ergibt 144.006, exakt den Abstand der beiden Kandidaten aus der Urnenwahl. Zählt man beide zusammen, kommt man wiederum auf die Gesamtzahl der gültigen Wahlkarten in diesem Szenario – 422.003 plus 277.997 ergibt 700.000. (Georg Pichler, 23.5.2016)