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Mehr als die Hälfte der Sexarbeiterinnen hinter den Fenstern Amsterdams sollen von Zuhältern zum Sex gezwungen werden.

Foto: Peter Dejong/AP/dapd

Sie trägt billige lilafarbene Reizwäsche. Scheinbar gelangweilt steht sie hinter ihrer Glasscheibe und beobachtet das Treiben um die Oude Kerk, die Alte Kirche. Wie immer schieben sich Besucher aus aller Welt durch die engen Gassen Amsterdams, darunter viele Familien mit Kindern. Dabei sind die Wallen, wie dieses Gebiet rund um den Kirchplatz heißt, nicht nur der malerischste und älteste Teil der niederländischen Hauptstadt, sondern auch der verruchteste: Hier befindet sich das berühmte Rotlichtviertel.

Ob die junge Frau freiwillig hier steht? Es gibt nur Schätzungen. Ihnen zufolge werden hinter den Fenstern mehr als die Hälfte der Prostituierten von Zuhältern und Menschenhändlern zum Sex gezwungen. Bei den Frauen, die weniger sichtbar in Clubs arbeiten oder auf den Strich gehen, dürfte die Ziffer noch höher liegen, und das trotz der Legalisierung der Prostitution vor 16 Jahren. Auf diese Weise wollte die damalige Regierung aus der Prostitution einen Beruf wie jeden anderen machen – vorausgesetzt, die Frauen sind volljährig, stammen aus der Europäischen Union und bieten ihre Dienste freiwillig an.

Mehrheit für Gesetz

Doch die Rechnung ging nicht auf. Dafür ist das Geschäft mit dem Sex zu lukrativ. Es spielt sich nach wie vor im Verborgenen ab, mit Minderjährigen, mit Frauen aus Osteuropa und Lateinamerika. Die Tageszeitung Trouw spricht von "legalisierter Sklaverei".

Für Gert-Jan Segers, den Fraktionsvorsitzenden der streng calvinistischen ChristenUnie, ist es ein klarer Fall: "Das Gesetz hat nicht zu weniger, sondern vielleicht sogar zu mehr Opfern geführt." Seine Partei hat zwar nur fünf der 150 Sitze im Abgeordnetenhaus, aber für eine Wende gesorgt: Statt Liberalisieren setzen die Niederländer auf Verbot. So weit wie Schweden, wo sich jeder Kunde einer Prostituierten mit seinem Besuch strafbar macht, wollen die Niederländer zwar nicht gehen. Aber Freier, die ein "ernstes Vermuten" haben, dass die Prostituierte unter Zwang arbeitet und es nicht melden, sollen sich strafbar machen. Ihnen droht eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren oder eine Geldbuße von bis zu 20.250 Euro.

Sexarbeiterinnen gegen Gesetz

So sieht es ein Gesetzesentwurf vor, für den die ChristenUnie eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich weiß – auch die Grünen: "Wer beim Besuch einer Prostituierten in einer Kellerbox landet, wo er auf ein viel zu junges Mädchen trifft, das kein Nederlands spricht und mit blauen Flecken übersät ist", sagte Vize-Vorsitzende Liesbeth van Tongeren, "kann schwer davon ausgehen, dass es sich freiwillig prostituiert. "Natürlich sei es schwer, ein "ernstes Vermuten" zu beweisen. Aber das Gesetz könne dafür sorgen, dass Freier verdächtige Orte wie Kellerboxen oder Garagen meiden.

Die Gemeinschaft Proud, zu der sich Prostituierte und andere Sexarbeiter zusammengeschlossen haben, ist aber gegen das neue Gesetz: "Politiker, die von unserem Fach keine Ahnung haben, wollen für mehr Sicherheit sorgen", klagt Sprecherin Yvette Luhrs. Aber es würden noch mehr Frauen in der Anonymität verschwinden. Proud hat die Unterstützung der Linksliberalen und der rechtsliberalen VVD-Partei des Premiers. Kommende Woche wird abgestimmt. (Kerstin Schweighöfer aus Amsterdam, 28.5.2016)