Wir müssen uns den Vorwurf wohl gefallen lassen: Vermutlich waren wir tatsächlich zu defensiv, wenn es um die Verurteilung von muslimischem Machismo und Männergewalt durch Migranten ging. Wir, das sind die "linkslinken Gutmenschen" mit unserem "Political-Correctness-Terror", wie wir inzwischen längst nicht mehr nur in Hasskommentaren im Netz verunglimpft werden. Alice Schwarzer beschimpft uns dieser Tage auch als die "Neo-Feministinnen" mit ihrer "Fremdenliebe" (siehe auch den Auszug aus Schwarzers neuem Buch auf Seite 39, Anm.).

Unsere defensive Haltung beim Thema migrantische Männergewalt hat jedoch gute Gründe. Sie heißen FPÖ und AfD, Thilo Sarrazin oder HC Strache. Sie warnen vor der Islamisierung des Abendlandes, denken über ein generelles Islamverbot nach und beschließen auf ihren Parteitagen, dass der Islam kein Teil unserer Gesellschaft ist.

Unter Generalverdacht

Sie stürzen sich nicht nur auf die Ereignisse der Kölner Silvesternacht, sondern auch auf einzelne Verbrechen wie am Wiener Praterstern oder Brunnenmarkt, um Migranten unter Generalverdacht zu stellen. All das inszenieren sie als glühende Verteidigung von Frauenrechten und instrumentalisieren diese für rassistische Hetze. 924 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte wurden vergangenes Jahr in Deutschland verübt, 156 Übergriffe gab es in Österreich alleine auf Muslime und Musliminnen, meistens waren es Kopftuchträgerinnen. Angesichts dessen scheint uns das Anmahnen einer differenzierten Diskussionskultur dringend ge boten.

Der erhobene Vorwurf an uns geht jedoch noch weiter: Das "Vertuschen" von Problemen, die "falsche Toleranz" überlasse den Rechtspopulisten das Feld, ihr Erfolg sei also letztlich unsere Schuld. Dieses Argument – so beliebt wie perfide – ist grundfalsch. Die Menschen wählen nicht deshalb FPÖ und AfD, weil die Sozialdemokratie mit ihren Forderungen nach Integration und Obergrenzen nicht rigide genug wäre. Norbert Hofer hat knapp 50 Prozent der Stimmen erhalten, weil ihm die anderen Parteien nicht glaubwürdig und visionär genug entgegentreten. Ähnliches gilt für den Feminismus. Alice Schwarzer ist nicht deshalb so diskursdominant, weil andere Feministinnen tatsächlich zu viel Verständnis für Vergewaltiger und islamistischen Frauenhass hätten. Sie verdankt ihren Erfolg vielmehr dem kalkulierten Flirt mit der Pegida-Bewegung und anderen rechten Demagogen und Demagoginnen, deren "berechtigte Besorgnis" sie teilt.

Kalkulierter Flirt

Es sei sicherheitshalber noch mal unmissverständlich gesagt: Gewalt gegen Frauen ist ausnahmslos zu verurteilen. Selbstverständlich auch die durch Migranten. Dennoch ist es kein verharmlosender Kulturrelativismus, darauf hinzuweisen, dass Gewalt gegen Frauen und Kinder zum überwiegenden Teil nicht auf der Straße, sondern im privaten und sozialen Nahraum passiert. Die Täter sind Väter, Verwandte, Bekannte oder der eigene Partner. Auf diese Tatsache bei täglich rund zwanzig polizeilichen Wegweisungen von häuslichen Gewalttätern in Österreich zu verweisen, bagatellisiert die brutalen Übergriffe im öffentlichen Raum nicht.

Es verschweigt auch keineswegs reale Probleme, es benennt sie klar: Gewalt gegen Frauen ist nicht importiert, sie ist ein massives strukturelles Problem unserer Gesellschaft. Das allerdings ebenso strukturell nach außen und damit auf "die Anderen" projiziert wird. Sind die Machtverhältnisse nämlich andersherum und kommt nicht wie in Köln der Täter, sondern das Opfer aus dem "nordafrikanischen Raum", wie es exemplarisch bei Dominique Strauss-Kahn (dem ehemaligen Direktor des Internationalen Währungsfonds, Anm.) und der Hotelangestellten Nafissatou Diallo zu erleben war, sind Victim-Blaming und Verharmlosung von sexueller Gewalt an der Tagesordnung.

Heißt der Täter nicht Mustafa, sondern Christian, protestieren diejenigen, die nun am lautesten die sofortige Abschiebung der Täter fordern, plötzlich vehement gegen "Pograpsch-Paragrafen". Mit großer Wahrscheinlichkeit haben sie sich auch gegen mehr Geld für Frauenhäuser und Gewaltschutz und gegen einen unabhängigen Aufenthaltsstatus für Ehefrauen gesperrt, obwohl sich Migrantinnen so tatsächlich aus Gewaltbeziehungen befreien können.

Statt sich also mit solch bigotten Populisten zu verbünden, braucht es Solidarität mit muslimischen Frauenrechtsaktivistinnen und ihrer emanzipatorischen Kultur- und Religionskritik. Es braucht ein entschlossenes Auftreten gegen rechtspopulistische Politik, damit sich nicht nur in Europa und den USA, sondern möglichst weltweit liberale und nicht reaktionäre Kräfte durchsetzen. Denn eines ist wohl unbestritten: Frauenrechte werden gemeinhin durch linke, nicht durch rechte Politik gesichert.

Auch sozialstaatliche Errungenschaften müssen dabei unbedingt verteidigt werden, denn sie verhindern nicht nur Neiddebatten, sondern auch Stigmatisierung und soziale Segregation, die wiederum religiöse Radikalisierung begünstigen. Es ist keineswegs naiv, auf breite gesellschaftliche Debatten über Geschlechterbilder sowie auf Inklusion und konkrete sozialpädagogische und bildungspolitische Anstrengungen zu setzen. Die Wirkung solcher Maßnahmen ist nicht schlagartig, aber evident. Allein das stärkt die Frauen und verändert misogyne Männer – übrigens jeder Herkunft. Alles andere setzt Rechtsstaat und Demokratie aufs Spiel. Und für beides sollten wir gerade als Feministinnen sehr dankbar sein. (Lea Susemichel, 27.05.2016)