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Demonstranten warfen der Regierung bei Protesten in der albanischen Hauptstadt Tirana im Dezember 2015 Verbindungen zur organisierten Kriminalität vor.

Foto: AP/Hektor Pustina

Kürzlich wurde ein Richter in Albanien mit Messerstichen ins Spital eingeliefert. Er behauptete, "blöd gefallen" zu sein. In seinem Auto fand man zigtausend Euro. Der Richter meinte, das Geld sei von einem "Neffen", er habe es gerade zur Bank tragen wollen. Eigenartigerweise konnte die Polizei die Fingerabdrücke auf den Geldscheinen nicht aufnehmen, und eigenartigerweise verschwanden auch andere Beweise. In Albanien gibt es eine Kette von Akteuren, die zusammenspielen, wenn es darum geht, Korruption zu vertuschen.

Die EU und die USA versuchen seit Monaten, Druck aufzubauen, um eine aufwendige Justizreform in Albanien durchzusetzen. Eine Untersuchungsbehörde, deren Kriminalpolizisten acht Monate in den USA geschult und gut bezahlt werden sollen, eine Spezialstaatsanwaltschaft und ein Sondergericht für Korruption sollen geschaffen werden. Die Richter und Staatsanwälte sollen vorher unterschreiben müssen, dass sie abgehört werden können, und nur eine Kreditkarte verwenden, die laufend überprüft wird. Ziel ist, eine korruptionsfreie Elite in der Polizei und bei Gericht zu schaffen in einem Staat, in dem 80 Prozent der Richter und Staatsanwälte als korrupt wahrgenommen werden.

Leute von der Straße wurden Richter

In der jungen albanischen Demokratie wurden nach dem Fall der kommunistischen Diktatur 1990 Leute von der Straße ohne Universitätsstudium als Richter und Staatsanwälte berufen. Viele gelten nicht nur als korrupt, sondern auch als unprofessionell. Die schwache Justiz spielt direkt der organisierten Kriminalität in die Hände – und jenen, die in der Politik für diese Strukturen arbeiten. Deshalb gibt es in der Politik auch Widerstand gegen die Reform. Viele fürchten, dass Institutionen wie das Untersuchungsbüro tatsächlich unabhängig werden könnten.

Die Höchstrichter sollen nicht mehr nur vom Parlament ernannt werden. Weil ihr Mandat nach neun Jahren ausläuft und sie wiedergewählt werden wollten, gingen diese Richter bisher nicht gegen korrupte Parlamentarier vor. Solche wechselseitigen Abhängigkeiten und Gefälligkeiten machten es praktisch unmöglich, dass in Albanien so etwas wie Rechtsstaatlichkeit entstehen konnte.

Beitrittsverhandlungen spielen keine Rolle mehr

Gegenwind für die Reform, die in EU-Kreisen bereits für unwahrscheinlich gehalten wird, kommt aus der Demokratischen Partei, die in alter albanischer Oppositionstradition alles verhindern will, was die Regierung plant. Die EU und die USA versuchen Druck auszuüben, indem sie ein öffentliches "Blaming and Shaming" ankündigen für den Fall, dass die Reform scheitert. Dabei soll direkt auf jene Politiker gezeigt werden, die das Scheitern zu verantworten haben. Aufgrund der mangelhaften Unterstützung für die EU-Integration der südosteuropäischen Staaten durch die alten EU-Staaten spielt die "Karotte" Beitrittsverhandlungen jedoch praktisch keine Rolle mehr. Die meisten Politiker auf dem Balkan wollen überdies gar nicht in die EU, weil das ihre Geschäfte stören könnte.

Widerstand gegen die Reform kommt auch von Personen aus der sozialistisch geführten Regierung. "Man hat Angst, dass die Justizreform tatsächlich funktionieren könnte, und will sie deshalb nun verwässern", sagt ein Insider. Das unabhängige Inspektorat, das gegen Richter und Staatsanwälte vorgehen soll, ist auch Justizminister Ylli Manjani ein Dorn im Auge. Praktisch würde der Justizminister durch die Reform tatsächlich entmachtet, weil er keine Disziplinarmaßnahmen gegen Richter mehr durchführen könnte und er nicht mehr dem Hohen Justizrat angehören würde.

Korruptionsvorwürfe gegen LSI-Chef Meta

Manjani selbst gilt als engagiert und arbeitet mit den USA und der EU zusammen. Trotzdem darf man nicht vergessen, wer über ihm "thront". Der Chef seiner Partei LSI, die in Albanien den Königsmacher spielt, ist Ilir Meta. Gegen Meta gibt es viele Korruptionsvorwürfe. Trotz offensichtlicher Beweise führten alle Verfahren bisher zu – nichts. Oft sind auch Politikern selbst die Hände gebunden, denn die Oligarchen im Hintergrund haben zuweilen stärkeren Einfluss auf parteipolitische Entscheidungen.

Für die Übergangszeit, bis die Reform wirkt, sollen Screenings eingeführt werden, mit denen die "schlimmsten" Richter und Staatsanwälte aus dem Justizapparat entfernt werden. Erstens sollen sie ihr Vermögen deklarieren. Auch die Familie wird untersucht, denn viele überweisen das Geld auf das Konto von Angehörigen. Die Beweislast soll bei dem verdächtigen Richter oder Staatsanwalt liegen. Wenn dieser sein Vermögen nicht erklären kann, wird er entlassen. Es gibt etwa 20 Staatsanwälte und Richter in Albanien, die Millionen Euro besitzen.

Verbindungen zur organisierten Kriminalität

Zweitens sollen die Verbindungen dieser Richter und Staatsanwälte zur organisierten Kriminalität erforscht und drittens ihre Professionalität evaluiert werden. Wenn es um Korruption geht, werden in Albanien die "Fleischfresser", also jene, die im großen Stil kassieren, von den "Grasessern" unterschieden. Die Fleischfresser sollen mithilfe dieser Überprüfungskommission geschnappt werden. Die Kommission soll danach wieder abgeschafft werden.

Die Idee für diese Kommission kam auf, weil man in Staaten wie Bulgarien erkannte, dass europäische Modelle der Einführung von Transparenz- und Überprüfungsmechanismen nicht fruchteten. (Adelheid Wölfl aus Tirana, 30.5.2016)