Also, da gibt es serienmäßige Motorräder, die sind grundsolide, aber ziemlich langweilig. Und weil sie eben unspannend sind, werden sie häufig umgebaut, damit sie "a G'sicht" kriegen. Fortan rollen dann solche Allerweltsmopeds als Café Racer, Bobber, Chopper, Scrambler, Tracker oder im Was-weiß-ich-Hauptsache-anders-Style durch die Welt.

Weil aber dieser Weg – Spendermotorrad, Konzept, Arbeitszeit, Wartezeit, Typisierung – jedenfalls zeit- und kostenintensiv und zumindest für manche daher abschreckend ist, hat Moto Guzzi ihn ganz einfach und frech abgekürzt und stellt mit der neuen V9 eine coole "Bobber" und eine cruisige "Roamer" in die Verkaufslokale, die schon alles haben, was die meisten Herzen begehren. Und für die, die immer noch herumbasteln wollen, gibt's dennoch tonnenweise Teile zur Auswahl.

Foto: gianluca wallisch

Angefangen hat Moto Guzzi damit ja schon in der vergangenen Saison: Damals wie heute konnte man – wollte man nicht mühsam selber Tuningteile recherchieren und besorgen (manchen gefällt gerade so etwas!) – aus vier Optionspakteten jenes auswählen, das einem für die eigene V7 am besten gefällt.

Schritt weiter

Jetzt gehen die Italiener einen Schritt weiter und bieten gleich zwei fix-fertige Motorräder an, die in diese Richtung gehen. Und wenn man schon dabei ist, kann man gleich einen neuen Motor auf den Markt werfen und einen neuen Rahmen ... na, mach ma gleich ein ganzes neues Motorrad daraus!

Foto: gianluca wallisch

Das Ergebnis kann sich sehen lassen: An die V9 Bobber und Roamer hat man in Mandello del Lario nur die besten Designer rangelassen. Und den Qualitätscontrollern haben's gleich präventiv auf die Finger geklopft und gesagt, dass es bei Material und Verarbeitung keinerlei Mängel geben darf. Nicht einmal solche, die man augenzwinkernd als "italianità" durchgehen lassen könnte. Ja, gerade nicht solche!

Immer wieder Kardan

Der Motor der V9 – natürlich à la Guzzi mit Kardanantrieb versehen – hat einen Hubraum von 853 Kubikzentimeter und leistet maximal 55 PS bei bei 6.250 U/min, das maximale Drehmoment liegt bei 62 Nm bei 3.000 U/min. Im Vergleich dazu die V7: 744 Kubikzentimeter, 48 PS bei 6.200 U/min und 60 Nm bei 2.800 U/min.

Foto: gianluca wallisch

Nominell am Papier oder am Bildschirm ist das ziemlich nah beinand', doch im Fahrbetrieb fühlen sich Bobber und Roamer um einiges erwachsener und souveräner an als ihre V7-Schwestern. Erstaunlich die Elastizität des Motors, der willig, aber keineswegs hysterisch Gas annimmt – und zwar ziemlich egal, in welchem Gang man gerade ist. So gesehen ist die Ganganzeige fast schon überflüssig, wenn man in der Stadt alles im zweiten, dritten und außerhalb fast alles im fünften, sechsten Gang fahren kann ... und wird.

Fast nur Vorteile

Das Fahrwerk der V9 weist einen um knapp fünf Zentimeter längeren Radstand im Vergleich zur V7 auf, das hat ebenfalls fast nur Vorteile – zumal für Motorräder dieser Charakteristik, die eindeutig aufs Cruisen ausgelegt sind.

Foto: gianluca wallisch

Richtig interessant wird die Bobber, wenn es ins kurvige Geläuf geht. Rein von der Theorie der Fahrphysik her müsste man damit rechnen, dass der Bock nicht und nicht um die Ecke gehen will, weil der Vorderreifen gar so blad ist. Immerhin wummert vorne ein Gummi in der Dimension 130/90 ... so was haben Triumph-Bonneville-FahrrerInnen HINTEN! Doch der Kurvenspaß ist auch mit der Bobber gegeben. Man muss bloß lernen, wie man sie umlegt: Mit einem Popsch-Schlenkerer, so wie bei einer Vespa.

Kick sie durch die Kurve!

Mit Hüftschwung in die Kurve ist sie zu kippen – und zwar ordentlich, denn der Hinterreifen ist für diese PS-Klasse mit 150/80 auch kein schmal'picktes Hendl. Wenn die Bobber erst einmal in der Kurve liegt, will sie auch nimmer so schnell wieder raus und macht sehr viel Laune. Die serienmäßigen Continental Milestone passen perfekt zu dieser Maschine und picken absolut sicher auf dem Asphalt – egal ob in der Kurve oder beim Bremsen.

Die Roamer fährt sich im Vergleich zur Bobber naturgemäß etwas agiler, weil vorne ein Reifen in der Dimension 100/90 werkt. Kurvenräuberinnen sind aber beide nicht, die Roamer läuft vorne immerhin auf 19 Zoll. Basisprogramm: gradaus in den Sonnenuntergang.

Foto: gianluca wallisch

Wenn auf diesem Weg zum Horizont die Kalte Kuchl liegt, wird diese aber auch ohne viel Aufregung mitgenommen. Dann geht's bei der Bobber halt nicht flak-flak-flak wie bei den Supersportlern, sondern flaaaaak-flaaaaak-flaaaaak. Auspuffrohre, Ständer und Fußrasten sind ausreichend hoch angebracht, sodass ordentliche Kurvenwinkel möglich sind – im Gegensatz zu dieser mitcruisenden wunderschönen, tiefergelegten Sportster, deren Seitenständer allzu bald in einer Linkskurve unter funkenspeiendem Protest ihrem Herrn die Haftgrenze zeigte (alles gutgegangen übrigens).

Softer und härter

Wie der Name schon nahelegen will, ist die Roamer durchaus für längere Strecken gedacht. Daher sind ihr Fahrwerk und ihre Sitzbank auch etwas softer ausgelegt als bei der Bobber. Beide Motorräder sind aber ausreichend bequem, um die Tankstopps nicht herbeizusehnen. Bei beiden Modellen sind die Federbeine hinten in gewissen Grenzen auf persönliche Notwendigkeiten und Vorlieben einstellbar.

Foto: gianluca wallisch

Weil weiter oben von einer mitreisenden Harley die Rede war: Beim Sound wird Guzzi nachhelfen müssen, will man von der Fraktion der Americanos ernst genommen werden. Das Böllern ist zwar sehr vernehmlich und auch auch gefällig, doch weit davon entfernt, so richtig laut zu sein. Zum Fußgängerschreck am Zebrastreifen reicht's aber allemal.

Guzzi-typisch der Antrieb. Der Kardan gehört seit Ewigkeiten zur Italienerin. Japanisch beeinflusste Ausnahmen wie die Moto Guzzi GTS 400 aus den 1970er Jahren sind schon lange her. Und wie jeder Kardan der Familie sirrt auch dieser im niedrigen Drehzahlbereich wie eine Kaffeemühle. Nicht störend, aber vernehmlich. Dreht man höher, überlagert bald der Motor die Mühle. Insgesamt ist der Antrieb sehr ausgereift und problemlos.

Foto: moto guzzi werk

Das Getriebe hingegen ist ziemlich Guzzi-untypisch... die Gänge flutschten perfekt rein, kein Haken, kein Bocken! Hurra! Klack, klack klack. Easy. Sogar der Leerlauf – bei der ersten V7-Serie oft noch ein Suchrätsel – ist genau dort, wo man ihn vermutet. Hier haben die Ingenieure ganze Arbeit geleistet. Bravi ragazzi!

Ach ja, Traktionskontrolle. Ja, es gibt eine. Ja, sie funktioniert zuverlässig – und zwar durch Eingriff in die Motorsteuerung. Das wirkt dann so wie ein Drehzahlbegrenzer. Ja, man kann zwischen zwei Programmen wählen: nass oder trocken quasi. Nein, wirklich brauchen tut man sie eher nicht.

Nettes Gimmick: Über den serienmäßigen USB-Anschluss und via Bluetooth kann die vom Piaggio-Konzern angebotene Multimedia-Plattform betrieben werden. Am Handy erhält man dann detaillierte Daten zu allem möglichen, wie z.B. Reichweite und Empfehlungen, welche Tankstellen in der Nähe liegen – und welche gar nicht mehr erreicht werden können.

Foto: moto guzzi werk

Bleibt nur noch eine Frage: Welche nehmen? Ausprobieren, und zwar beide! Die Motoren sind identisch und das Fahrwerk ziemlich ähnlich, doch das Fahrverhalten ist aufgrund der Bereifungen doch recht unterschiedlich.

Zwischen der V7-Serie und der V9-Serie klafft kaum eine Lücke, dafür eine umso größere zwischen der V9-Serie und der Stelvio 1200 – und überhaupt der California 1400... Wann kommt endlich eine V11, zum Beispiel als würdiger Nachfolger der nackerten Griso? Darauf Marketingchef Hubert Freiler vom Guzzi-Importeur Faber: "Jetzt hab' doch bitte ein bissl Geduld! Es wird schon... eins nach dem anderen." Na gut, warten wir halt. Aber bitte nicht zu lange! (Gianluca Wallisch, 8.6.2016)

Technische Daten

Alle Daten sind Werksangaben und betreffen beide Modelle (abweichende Daten der Roamer in Klammer)

Motor: 90° V-Twin 2-Zyl. 4-TaktKühlung: luft- und ölgekühlt
Hubraum: 853 ccmMax. Leistung: 55 PS (40,44 kW) bei 6.250 U/minMax.
Drehmoment: 62 Nm bei 3.000 U/min
Max. Geschwindigkeit: k.A.
Getriebe/Antrieb: 6 Gänge, Kardan
Auspuffanlage: 2 in 2 Anlage aus Edelstahl, 3-Weg-Katalysator mit Lambda Sonde, Euro 4
Fahrwerk vorne: Hydraulische Teleskopgabel, Ø 40 mm
Fahrwerk hinten: Schwingarm aus Leichtmetall mit 2 Federbeinen, einstellbare Federvorspannung
Bremsen vorne: Ø 320 mm schwimmend gelagerte Bremsscheibe aus Edelstahl, 4 Kolben Bremsattel, serienmäßig ABS
Bremse hinten: Ø 260 mm Bremsscheibe aus Edelstahl, schwimmend gelagerter 2 Kolben Bremssattel, serienmäßig ABS
Bereifung vorne: 130/90 16" (Roamer: 100/90 19")Bereifung hinten: 150/80 16"
L / B / H: 2.124 mm / 892 mm / 1.110 mm (Roamer: 2.134 mm / 722 mm / 1.110 mm)
Radstand: 1.480 mm
Sitzhöhe: 770 mm (Roamer: 775 mm)
Eigengewicht fahrfertig: 200 kg
zul. Gesamtgewicht: 401 kg
Tankvolumen: 15 Liter (davon 4 Liter Reserve),

Farben: Bobber: schwarz/grau, grau/rot – Roamer: rot/grau, weiß/rot, gelb/schwarz

Preise: Bobber und Roamer jeweils: 10.990,- inkl. MWSt

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Website von Moto Guzzi Österreich