Wien – Der Wind spielt auf einem Triangel im Baum. Das Vor- und Zurückwippen eines Spielplatz-Schaukelpferdchens bringt das um seinen Hals gelegte Tambourin zum Klingen. Die Schwerkraft entlockt einer Ziehharmonika ein letztes Stöhnen.

Installation von Nevin Aladag auf dem Graben: "Screen I-III" (2016).
Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2016

Die Stadt als Orchester: So poetisch, aber auch mit Sinn für Humor hat Nevin Aladag ihre Heimatstadt Stuttgart 2015 im Projekt Traces porträtiert. Bereits 2013 hatte sie in der Stadt Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten Wüste und Landschaft zu Musikern werden lassen: Sie hatte Perkussionsinstrumente der irakischen, iranischen, indischen oder pakistanischen Arbeitsmigranten zum Tönen gebracht. Oder 2014: Da ließ sie auf der Insel Samos, noch bevor die Flüchtlingskrise bestimmend wurde, in der Audioarbeit "High Season Samos" die Stimmung plötzlich kippen: Aus Kinderlachen und Ballspiel wurde das Grollen eines von Wellen umspielten Bootes.

Es sind Erfahrungsräume, die Nevin Aladag schafft. Oft arbeitet sie dabei mit Musik, die in ihrer 1973 von der Türkei nach Deutschland emigrierten Familie eine große Rolle gespielt hat. Musik versteht Aladag seitdem als zusätzliche Sprache. Man hätte also für ihre letzten Freitag eröffnete Arbeit im öffentlichen Raum Wiens, am sogenannten Kunstplatz Graben, mit einer akustischen Intervention gerechnet.

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Aber bei aller Liebe zur Musik ist die 1972 Geborene, der im Herbst im Lentos in Linz eine Personale gewidmet ist, Bildhauerin. Obendrein herrsche am Graben sowieso schon eine "Kakofonie", erklärt sie dem STANDARD. "Mein Zugang zur Musik ist stiller, auch experimenteller, das wäre schwierig gewesen, hier umzusetzen."

Geworden ist es ein Spiel mit Licht und Schatten – auch im metaphorischen Sinn: Sie hat Paravents aufgestellt, die in ihren ornamentalen Mustern leise an die Maschrabiyyas, Ornamentwände und Holzgitter aus dem arabischen Raum erinnern. Deren Filigranität hat sie aber bewusst in etwas Massives übersetzt, das mit der Idee des vermeintlich Schutzgebenden spielt.

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Auch tarnen sich die semitransparenten Objekte, passen sich an, ist ihr Ornament doch aus dem Material des Pflasters – Waldviertler Granit, aber auch Rauriser Marmor – gefertigt. Einen Moment der "Mimikry" nennt das Aladag, deren Arbeiten auch als aktive Handlungsorte zu verstehen sind. Und so fordern die Paravents Screen I–III nicht nur räumlich dazu auf, Position zu beziehen: Orientalische Bezüge sind in der europäischen Architektur seit Jahrhunderten vorhanden, so die Künstlerin, die etwa anregen will, über die gemeinsame Geschichte nachzudenken, über das, was verbindet, und darüber, was die Angst vor dem Islam eigentlich ist.

Bleibt zu hoffen, dass ihr Impuls zum interkulturellen Dialog im Konsumgewusel auf dem Graben aufgegriffen wird. (Anne Katrin Feßler, 7.6.2016)

Bis 30. 10.

Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2016
Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2016
Foto: Iris Ranzinger / KÖR GmbH, 2016
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