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Demonstration am 19. März 2014 in Kanada, um auf ermordete und verschwundene indigene Frauen aufmerksam zu machen.

Foto: Reuters / Fred Thornhill

Brenda Wilson lief und lief. Sie lief buchstäblich um ihr Leben und um das Leben von indigenen Frauen in isolierten Gebieten Kanadas. Mit Freunden und Verwandten legte Brenda die rund 724 Kilometer der "Straße der Tränen" ("Highway of Tears") zurück. Hier in der Provinz British Columbia wurde vor 22 Jahren ihre Schwester Ramona ermordet, eine Indianerin des Gitxsan-Stammes. Die 49-jährige Brenda Wilson will mit ihrer Aktion verhindern, dass diese Gewalttat und weitere dutzende unaufgeklärte Frauenmorde entlang des Highway Number 16 in Vergessenheit geraten.

Die meisten Opfer sind Indigene aus verarmten Gemeinden entlang dieser Überlandstraße. "Es wird nicht genug getan, um die Morde aufzuklären und weitere Morde zu verhindern", sagt Wilson. Ihre damals 16-jährige Schwester wollte an einem Juniabend im Jahr 1994 tanzen gehen – und kehrte nie zurück. Erst zehn Monate später wurde ihre Leiche beim Flughafen entdeckt. Der Fall bleibt wie die meisten Morde am Highway 16 ungeklärt.

Serientäter

Die kanadische Polizei zählte von 1969 bis 2006 18 Mordfälle am Highway 16 oder auf dessen Zugangsstraßen. Seither verschwanden noch mehr Frauen in dieser Region oder kamen ums Leben. Vor zwei Jahren wurde der erst 24-jährige Cody Legebokoff verurteilt, weil er vier Frauen in der Umgebung der "Straße der Tränen" ermordet hatte.

Indigene Aktivistinnen schätzen die Zahl von Mordopfern viel höher als die Polizei. Auch die für die Ureinwohner zuständige Ministerin Carolyn Bennett glaubt, dass die offiziellen Zahlen zu niedrig seien. Hinter Todesfällen von solchen Frauen vermute die Polizei oft viel zu schnell Suizide, Drogen oder Unfälle, so Bennett.

"Mörder läuft frei herum!"

Der Highway führt an dichten Wäldern, ausgedehnter Wildnis und einem Dutzend Dörfern vorbei. Überall biegen versteckte Forststraßen ab. Viele Indigene fahren hier per Anhalter, weil sie sich kein Auto leisten können. Daran ändert auch das große gelbe Schild am Straßenrand nichts, auf dem steht: "Mörder läuft frei herum!" Öffentliche Verkehrsmittel gibt es praktisch nicht.

Indigene Frauen leben in Kanada besonders gefährlich. Sie machen nur etwa vier Prozent der weiblichen Bevölkerung aus, jedoch sind 16 Prozent der weiblichen Mordopfer Ureinwohnerinnen. Die Uno kritisierte bereits im März 2015, dass es in Kanada keine Untersuchung der hohen Zahl vermisster und ermordeter indigener Frauen gebe. Die frühere konservative Regierung hatte so etwas immer abgelehnt. Der neue liberale Premierminister Justin Trudeau stellte nun umgerechnet 28 Millionen Euro dafür zur Verfügung.

Die Regierung von British Columbia will bald Überwachungskameras und Busfahrten entlang der "Straße der Tränen" finanzieren. Für Brenda Wilson passiert das alles viel zu langsam. "Wir müssen einen Plan haben, damit unsere Kinder und Stammesmitglieder sicher sind", sagt sie. "Das muss sofort geschehen." (Bernadette Calonego aus Vancouver, 14.6.2016)