Bei Tisch zu sitzen und einfach zu essen reicht vielen nicht aus. Wie Essen zum Event wird, zeigt auch das Wiener Künstlerduo Honey & Bunny, das sich bei einer Ausstellung in Südkorea mit Tischmanieren auseinandersetzte.

Foto: Honey & Bunny (S. Stummerer / M. Hablesreiter), Studio Köb, www.koeb.at

Dieses Bild entstand im Rahmen einer Installation des Künstlerduos Honey & Bunny. Fotografiert hat es Ulrike Köb.

Foto: Honey & Bunny (S. Stummerer / M. Hablesreiter), Studio Köb, www.koeb.at

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Köche im Himmel: Dinner in the Sky in Brüssel.

Foto: Reuters/yves herman

Die Angst vor dem Abendessen ist dem jungen Mann, der seine Freundin fein ausführen möchte, ins Gesicht geschrieben, nicht etwa weil er sich vor dem Essen oder der Rechnung fürchtet – er hat Höhenangst. Das ist nicht die beste Voraussetzung, wenn man einen Platz bei Dinner in the Sky gebucht hat. Noch bevor der Herr am Nebenplatz viel sagen kann, geht es 50 Meter in die Höhe, und seine vom Aperitif kirschroten Wangen verblassen zunehmends.

Und anstatt darum zu bitten, den Tisch wieder nach unten zu fahren, nickt er dem Koch vorsichtig zu, als dieser ihn fragt, ob alles in Ordnung sei. Während sich der junge Mann mit beiden Händen fest am Tisch festklammert, serviert der italienische Sternekoch Marco Martini den ersten Gang – Tatar vom Rinderfilet mit Seeigel und Nüssen.

Bei Dinner in the Sky werden Gäste in 50 Meter Höhe bekocht.
Foto: Alex Stranig

Der Küchenchef ist mit seinem Souschef Gianluca Durillo aus Rom angereist, um ein Wochenende lang Gäste über den Dächern der Bundeshauptstadt zu bekochen. Mitten im Wiener Prater steht ein Kran, der den Tisch mit 22 Sitzplätzen samt Küche nach oben zieht. "Links unten finden Sie einen Hebel. Wenn Sie ihn betätigen, können Sie die Lehne ganz zurückschieben", erklärt Guide Janis Cimermanis, der neben der Sicherheit auch für das Getränkeservice in der Luft zuständig ist.

Nicht alle finden das Tafeln in großer Höhe erstrebenswert.
Foto: Alex Stranig

Der akrophobische junge Mann denkt nicht im Traum daran, den Hebel zu bedienen oder womöglich einen Blick nach unten zu riskieren. Vielmehr versucht er, ohne sich viel zu bewegen den nächsten Gang – gegrillte Makrele auf Bagna cauda, einer Sauce aus Olivenöl, Sardinen und Knoblauch – zu essen. Spätestens jetzt wird auch seiner Freundin klar, dass es nicht die beste Idee war, ihren Liebsten auf 50 Meter hochzuhieven und zu glauben, dass er trotz Höhenangst den romantischen Abend über der Stadt mit ihr genießt.

Das ist ja so, als würde man mit Gymnophobie (die Angst vor der Nacktheit) völlig unbekleidet in einem Restaurant sitzen. Das kann man seit kurzem im neuen Nacktrestaurant Bunyadi in London. Weniger Mutige dürfen sich in einen Badenmantel hüllen, während sie krampfhaft versuchen, einen Schluck vom Wein zu machen, ohne auf die Genitalien des Servierpersonals zu lugen. In Großbritannien dürfte man nicht so schüchtern sein, was das Ablegen der Kleidung beim Essen betrifft, stehen doch bereits seit Wochen tausende Gäste auf der Warteliste.

Mach dich nackig

Ob so ein Konzept auch in Österreich funktionieren kann, wird sich bald zeigen. Im Wiener Palais Sansouci sollte dieser Tage das erste Naked Dinner stattfinden. Neben Essen vom Body-Buffet soll eine Nackt-DJane für Partystimmung sorgen. Fans dieser Veranstaltung, die sich wie eine riesige Swinger-Party mit Abendessen anhört, müssen sich aber gedulden. Laut Veranstaltern wird das Event nämlich auf Herbst verschoben. Glücklicherweise gibt es aber noch andere Möglichkeiten, seinem Abendessen den notwendigen Pep zu geben – sofern man das möchte.

Das Angebot an Erlebnisgastronomieangeboten in Österreich ist enorm. Es reicht offenbar nicht mehr aus, einfach nur essen zu gehen und einen schönen Abend zu verbringen. Vielmehr baut man ein Spektakel um die Nahrungsaufnahme. Laut dem Ernährungssoziologen Daniel Kofahl sei das Phänomen nicht neu. "Sobald es über die Notwendigkeit hinausgeht, sich schnell mit Nährstoffen zu versorgen, ist es sinnvoll, ein Erlebnis um das Essen zu kreieren. Das beginnt bereits beim gemeinsamen Essen mit der Familie und endet beim romantischen Dinner mit dem Partner. Früher gab es Lebendbuffets, bei denen das Essen auf einer nackten Person angerichtet wurde. Auch Varietés gibt es schon sehr lange", sagt Kofahl.

Essen oder Erlebnis?

Doch vom Essen in 50 Meter Höhe oder einer unbekleideten DJane wird man wahrscheinlich wenig in Geschichtsbüchern finden. Nacktrestaurants seien laut dem Experten ein momentaner Trend, der sich auf Dauer nicht durchsetzen werde.

Andere Konzepte hätten hingegen Potenzial, solange es um das Essen per se gehe: "Das Erlebnis steht natürlich im Vordergrund. Man muss sich aber die Frage stellen, ob das Essen mit einer gewissen Gleichberechtigung auftritt oder ob es nur eine Verköstigung nebenbei ist wie beispielsweise im Kino. Dort gibt es auch Popcorn. Im Vordergrund steht aber eindeutig der Film. Bei der Erlebnisgastronomie ist immer das Essen der Aufhänger und nimmt einen prominenten Platz ein".

Auch bei Dinner in the Sky will man mit spannender Kulinarik punkten. Die Aussicht ist aber das wirkliche Highlight. Um gut essen zu gehen, muss man nämlich nicht an einem Kranhaken hängen. Die Idee scheint anzukommen, gibt es das Konzept doch bereits in über 50 Ländern weltweit. Der Tisch wird angeliefert, die Kräne vor Ort gemietet. "Es wäre zu teuer, die Kräne durch die ganze Welt zu schicken. Außerdem gibt es für jedes Land andere Bestimmungen und Zertifikate", sagt Geschäftsführer Uldis Kalnins.

Foto: Alex Stranig

Essen in der Achterbahn

Im Prater steht der Kran in bester Gesellschaft. Nur wenige Schritte entfernt, am Pratervorplatz, wurde kürzlich ein ebenfalls "einzigartiges" Gastronomiekonzept verwirklicht. Dabei werden keine Menschen in die Luft gehoben, sondern Essen durch Loopings katapultiert. Im neuen Rollercoaster-Restaurant fahren Speisen und Getränke auf Schienen über eine Art Achterbahn zum Gast.

Nachdem das Essen per Tablet bestellt wurde, wird es in der Küche zubereitet und hinausgeschickt. Ein Roboter sortiert die mit Code versehene Essensbox in die richtige Schiene. "Für das Einsortieren der Essen benötigt man hohe kognitive Fähigkeiten. An einem durchschnittlichen Abend muss man rund 3000 Speisen und Getränke sortieren. Der Roboter macht keine Fehler ", sagt Geschäftsführer Werner Aichholzer.

Viele der vorbeigehenden Gäste sind aber noch skeptisch, und nicht selten wird Aichholzer gefragt, ab welcher Größe Kinder mitfahren dürften. Man muss schon genauer hinsehen, um zu erkennen, dass hier nicht Personen, sondern das Essen durch die Luft geschleudert wird. Übel kann einem höchstens beim Zusehen oder durch den übermäßigen Alkoholkonsum werden.

Im neuen Rollercoaster Restaurant flitzt das Essen auf Schienen.
Foto: Rollercoaster Restaurant

Hier wird die Nahrungsaufnahme als Entertainment präsentiert und hat wenig mit einem gemütlichen Abend zu tun. Pärchen, die sich aber generell nicht viel zu sagen haben, dürften eine neue Möglichkeit gefunden haben, einen unterhaltsamen Abend zu erleben. Und schließlich geht es um Unterhaltung.

"Essen ist etwas, was wir ohnehin machen müssen. Der Mensch muss sich ernähren. Da kommen wir nicht drum herum. Es bietet sich also an, das Notwendige – das Essen – mit einem Erlebnis zu verbinden. Erlebnisgastronomie spricht nahezu alle Milieus an. Die Frage ist aber immer, wie anspruchsvoll sie ist", sagt der Soziologe Kofahl. Aufgrund des breiten Angebots sollte für den gelangweilten Feinschmecker ebenso etwas dabei sein wie für den ewig hungrigen Adrenalinjunkie.

Eines haben jedenfalls alle Erlebnisrestaurants gemein. Es geht um das Ausloten der eigenen Grenzen – selbst wenn es manchmal nur die Grenzen des guten Geschmacks sind. Nichtgrenzgänger und Gegen-den-Strom-Schwimmer dürfen gerne weiterhin ganz normal essen gehen. Das macht nämlich auch sehr viel Spaß. (Alex Stranig, RONDO, 24.6.2016)