Bild nicht mehr verfügbar.

Vladimir Šeks mit Jadranka Kosor, die bis Ende 2011 Premierministerin Kroatiens war.

Foto: AP

Bild nicht mehr verfügbar.

Schreckensbilder aus dem Jahr 1991. Menschen fliehen vor dem Krieg in Vukovar.

Foto: AP/Hassan Amani

Anders als in Slowenien gibt es in diesen Tagen in Kroatien wenig Grund zum Feiern. Vor 25 Jahren, am 25. Juni 1991, hatte man zwar genauso wie Slowenien die Unabhängigkeit erklärt, doch der Krieg im Land begann danach erst so richtig. Am 25. Juni habe man in Kroatien und Slowenien keine Illusionen mehr gehabt, dass die jugoslawische Krise so zu lösen sei, dass Jugoslawien in ein Bündnis unabhängiger demokratischer Staaten umgewandelt werden könnte, meint der damalige Verfassungsrichter und Politiker Vladimir Šeks. Damals hätten Kroatien und Slowenien zudem unterschiedliche Positionen innegehabt. In Slowenien habe sich Präsident Milan Kučan bereits mit Slobodan Milošević arrangiert und mit ihm vereinbart, dass sich Slowenien abspalten könne unter der Voraussetzung, dass die Serben in einem Staat zusammenleben könnten.

Der Slowenien-Krieg sei aber kein Bluff gewesen, denn in der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) habe es zwei Strömungen gegeben. "Die einen waren gegen eine Vereinbarung mit Slowenien, dass es sich abspalten kann; das war jene Strömung, die sich im Slowenien-Krieg mit Gewalt gegen die Unabhängigkeit wandte. Milošević aber wollte diesen Krieg nicht wirklich. Die zweite Strömung in der JNA war gegen die projugoslawische Seite. Das führte dazu, dass man den Eindruck hatte, es handle sich um eine Operette. Denn wegen der Krise in der obersten militärischen Führungsebene kam es zu einem Moralverlust in der Armee, und deswegen hat der Krieg nur ein paar Tage gedauert."

Ermutigende Signale von Mock und Busek

Die damaligen ÖVP-Politiker Alois Mock und Erhard Busek hätten Kroatien "ermutigende Signale", aber mit sehr vielen "Wenns" gegeben, erzählt Šeks. "Sie hatten Verständnis für den kroatischen Wunsch nach Unabhängigkeit, aber sie waren sehr behutsam. Man wollte den großen Bären aus dem Osten nicht verärgern und auch nicht Belgrad und sicher Gewalt vermeiden. Es gab zwar eine Ermutigung seitens der österreichischen Politiker, aber mit vielen Bedingungen. Die meisten Politiker in Europa haben sich dafür eingesetzt, dass Jugoslawien in diesem Rahmen erhalten bleibt – auch Genscher und Kohl."

Europa und die USA seien noch im Sommer 1991 klar dafür gewesen, dass man den jugoslawischen Rahmen aufrechterhält, erinnert sich Šeks. "Keines der politisch starken Länder wie Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien oder Österreich hat einen Groschen für die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens oder der anderen Teilrepubliken gegeben."

Grünes Licht der USA für Disziplinierung von Kroatien und Slowenien

Der wichtigste Grundsatz der Realpolitik habe damals gelautet: das Bestehende erhalten und die Unabhängigkeit nicht gestatten. Die europäische Politik und die Politik der USA hätten damals Kroatien und Slowenien auf dem Weg in die Unabhängigkeit eher entmutigt. "Noch im Juni 1991 hat der amerikanische Außenminister James Baker bei seinem Besuch in Belgrad grünes Licht dafür gegeben, dass man Kroatien und Slowenien diszipliniert, ebenso die europäische Troika, die damals für die Koordinierung gegenüber Jugoslawien zuständig war. Die europäische Politik und die USA waren dafür, dass man ein Auseinanderbrechen Jugoslawiens nicht gestattet, aber andererseits auch, dass man keine Gewalt anwendet, sondern eine politische Lösung findet", so Šeks.

Ihre Absicht sei es aber nicht gewesen, Milošević zu ermutigen. Ihre Intentionen seien gut gewesen, hätten sich aber als falsch erwiesen. "Es lag an einer falschen geopolitischen Einschätzung. Ich möchte dazu ein historisches Beispiel bringen: Als Chamberlain vor dem Krieg nach München kam, meinte er, der Frieden sei gerettet und man müsse nur die Tschechische Republik opfern. Und im Fall Jugoslawiens hat die europäische Troika geglaubt, dass man Milošević mit Zugeständnissen zufriedenstellen könne, damit er seine aggressive expansionistische Politik nicht fortsetzt. Milošević hatte das auch versprochen, aber er hat sie hintergangen."

Keine Sezession

In Kroatien hatte man bereits entschieden, dass man selbst den Weg zur Eigenständigkeit einschlagen wird, wenn bis zum 25. Juni kein Einvernehmen aller Teilrepubliken erzielt werden kann, dass Jugoslawien in einem Bündnis von Republiken umgewandelt wird. Dieses Einvernehmen war bis zum 25. Juni nicht hergestellt, und Vladimir Šeks bereitete eine Verfassungsentscheidung über die Erklärung der Unabhängigkeit und Souveränität vor sowie eine Erklärung über die Rechte von Serben und anderen Minderheiten.

Šeks war damals Vizepräsident und Vorsitzender des Verfassungsausschusses des kroatischen Parlaments und am 20. Juni von Präsident Franjo Tuđman zum Leiter einer Arbeitsgruppe ernannt worden, die alle Akten vorbereiten musste, die die Grundlage der vollen Unabhängigkeit und Souveränität Kroatiens darstellen sollten. Der Verfassungsbeschluss sollte auch ein Verfahren zur Trennung von den anderen Teilrepubliken einleiten, die vermögensrechtlichen Verhältnisse sollten geklärt werden. Rechtlich betrachtet handelte es sich nicht um eine Sezession, sagt Šeks. Denn die Grundlage war die jugoslawische Verfassung von 1974, in der stand, dass sich die damaligen Republiken in Jugoslawien vereint hätten. Die Trennung war in diesem Sinne der entgegengesetzte Prozess.

Das Unglück, zu Staatenbünden gehört zu haben

Zudem sollte auch das Verfahren zur internationalen Anerkennung des Staates eingeleitet werden. Am 25. Juni wurde im kroatischen Parlament darüber eine Diskussion geführt. Der damalige Chef der sozialdemokratischen Partei, Ivica Račan, monierte, dass man für die Unabhängigkeit weder von den europäischen Staaten noch von den USA grünes Licht bekommen würde. Deswegen brachten die Sozialdemokraten einen Gegenvorschlag ein. "Inhaltlich war der Vorschlag eigentlich ident mit jenem, den meine Arbeitsgruppe vorgeschlagen hatte, außer in einem Punkt: Die Republik Kroatien solle zugleich mit dem Verfahren zur Loslösung auch ein Verfahren zu einer neuen Vereinigung mit den Teilrepubliken einleiten", so Šeks zum STANDARD.

Die konservative HDZ, die die Mehrheit hatte, argumentierte damals, dass das kroatische Parlament nicht für das kroatische Volk die Entscheidung treffen könne, dass man ein neues Bündnis eingehen könne. "Es gab damals die politische Überzeugung, dass Kroatien das Unglück hatte, verschiedenen Staatenbünden angehört zu haben, das war einst Österreich-Ungarn, dann war es das Jugoslawien nach dem Versailler Frieden und dann die jugoslawische Föderation. Deswegen sollte man sich nicht nach einer neuen Umarmung sehnen", erinnert sich Šeks.

Zwei Personen, die Jugoslawien untergraben wollten

Viele Sozialdemokraten verließen den Saal, aber 49 blieben im Parlament, und 48 stimmten gegen den Vorschlag, den Šeks vorbereitet hatte. Der HDZ-Mann war damals eigentlich ironischerweise Verfassungsrichter am jugoslawischen Verfassungsgericht. Am 14. April 1991 hatte ihn Tuđman als solchen vorgeschlagen. Gemeinsam mit dem letzten Präsidenten Jugoslawiens, dem Kroaten Stipe Mesić, machte er sich auf die Reise nach Belgrad, um seinen Eid abzulegen. Aber die serbisch-montenegrinische Mehrheit verhinderte, dass Mesić den Vorsitz im Staatspräsidium übernehmen konnte. "Und ich habe es dann abgelehnt, vor dem serbischen Vertreter Borisav Jović meinen Eid abzulegen", so Šeks. Die europäische Troika und die USA machten darauf Druck. Bei der Sitzung wurde wegen dieses Drucks Mesić dann doch zum Vorsitzenden des Präsidiums gewählt. "Und dann habe ich noch vor ihm meinen Eid abgelegt."

Die Situation sei bizarr gewesen. "Mesić wurde zum Präsidenten Jugoslawiens, obwohl er 1972 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, weil er angeblich zum Zusammenbruch Jugoslawiens beitragen wollte. Ich wurde zum Verfassungsrichter, obwohl ich 1981 verurteilt worden war, weil ich angeblich auch Jugoslawien auseinanderbringen wollte. Ich war ja auch im Gefängnis. Jetzt hatten sich zwei, die Jugoslawien untergraben wollten, in so hohen Ämtern befunden", meint Šeks heute lächelnd.

Kampagnen, die Angst unter den Serben schürten

Bei der ersten Sitzung des Verfassungsgerichts musste sich Šeks mit der Verfassungsmäßigkeit der Unabhängigkeitserklärung des kroatischen Parlaments befassen, dessen Hauptarchitekt und Verfasser er selbst war. Der Antrag, die Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, kam von einer großen serbischen Mehrheit. "Das wäre alles nicht passiert, wenn es nicht bereits 1989 eine derart starke Kampagne in serbischen Medien gegeben hätte – etwa in der Zeitung 'Politika' – gegen die Ereignisse in Kroatien", meint Šeks. "Das war eine Art Artillerie." Durch diese Artikel hätte man ständig Angst in der serbischen Bevölkerung geschürt, dass eine neue Ustascha-Welle komme würde und wieder ein Gemetzel wie einst drohe.

Ein zusätzliches Argument war die Verfassungsänderung, wonach die Serben in Kroatien ihren Status als konstitutives Volk verloren hätten. "Man hatte den Serben eingeflößt, dass dies nur die Ouvertüre sei und all die schrecklichen Ereignisse wieder aufkommen würden. Wenn es diese Propaganda nicht gegeben hätte, wäre es auch nicht zu dem bewaffneten Aufstand der kroatischen Serben gekommen", glaubt Šeks.

"Narrengewand von Serbien herunterreißen"

Prinzipiell betont er, dass es keine Korrelation zwischen der Unabhängigkeitserklärung Kroatiens und dem Krieg gegeben habe. "Ich weiß, dass es unterschiedliche Kreise in Europa gibt, die glauben, dass die Unabhängigkeitserklärung die Ursache für den Krieg war. Viele meinen, dass eine verfrühte Erklärung von Kroatien und Slowenien dazu geführt habe, dass der Krieg ausbrach. Aber ich glaube, dass es sich hier um falsche Auffassungen handelt. Die Hauptursache für den Krieg war die imperialistische Politik von Slobodan Milošević, der versuchte, Jugoslawien unter serbischer Dominanz umzugestalten." Zuerst habe er bereits 1989 die föderative Ordnung untergraben, als zwei konstitutive Bestandteile abgeschafft wurden, nämlich die Vojvodina und der Kosovo.

"Slowenien hat man überlassen, weil es eine 'ethnisch einheitliche' Republik war", denkt Šeks. Doch dann wandte Milošević sich Kroatien zu. Er selbst habe es so ausgedrückt, dass er das "Narrengewand von Serbien herunterreißen" wolle. "Er war davon überzeugt, dass die Stellung von Serbien innerhalb von Jugoslawien untergeordnet und die Lage innerhalb des Föderalismus erniedrigend sei. Er war der Meinung, dass Serbien beschnitten war. Deshalb wollte er die jugoslawische Föderation auseinanderbrechen", so Šeks.

Dem Volk die "Würde" zurückgeben

Milošević habe gewollt, dass man dem serbischen Volk, die "Würde" zurückgeben sollte, die es angeblich verloren hatte, und damit meinte er auch das serbische Volk, das in den anderen Teilrepubliken Jugoslawiens lebte, etwa in Mazedonien und in Kroatien. "Es war eindeutig, dass man das nur durch Gewalt erwirken könne. Die erste Voraussetzung dafür war, dass man die legale Führung von Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien herabsetzt. In Montenegro, der Vojvodina und im Kosovo hatte man schon früher die politischen Führungskräfte entfernt", so Šeks zum STANDARD. Kroatien habe sich in einem "Reflex" gewehrt, verteidigt er die damalige Vorgehensweise. Milošević habe die Jugoslawische Volksarmee komplett transformiert. Die Führungspositionen seien von Serben besetzt worden. (Adelheid Wölfl, 25.6.2016)