Island hat den Ruf eines leicht schrägen Landes. Da passt es, dass die Bevölkerung der Insel am Wochenende den Geschichtsprofessor Guðni Thorlacius Jóhannesson zum Präsidenten wählte.

Guðni, wie er in Island genannt wird, war der Allgemeinheit bis vor kurzem eher als politischer Rundfunkkommentator und als Stephen-King-Übersetzer bekannt. Als er sich im Frühjahr entschied, für die Nachfolge von Langzeit-Staatsoberhaupt Ólafur Ragnar Grímsson zu kandidieren, hatte er sich gerade frische Sporen als kompetenter Erklärer der Panama Papers verdient, die in Island mehr als anderswo die politische Landschaft gebeutelt haben. Der von den Papers auf dem falschen Fuß erwischte Premier Sigmundur Davíð Gunnlaugsson und Altpräsident Grímsson waren nur die politisch Ranghöchsten in einer Reihe von einflussreichen Isländern, die von den Enthüllungen betroffen waren.

Jóhannesson genoss von Beginn seiner Kandidatur an die höchsten Umfragewerte unter allen Kandidatinnen und Kandidaten. Das hängt wohl auch mit dem Lebenslauf zusammen, mit dem sich viele aus der jüngeren Generation identifizieren können. Jóhannesson, der just am Sonntag 48 wurde, trat zwar politisch bisher nicht in Erscheinung. Das fällt aber nicht ins Gewicht, er ist offenbar besonders den jüngeren Isländern einfach sympathisch. Er vertritt ein weltgewandtes, liberales Gedankengut.

Die akademischen Meriten holte er sich in Reykjavík, Oxford und London. 2003 promovierte er am Queen Mary Institute of History an der Universität London. Er spricht mehrere Sprachen, darunter Deutsch. In der Familie wird, seiner Frau wegen, meist Englisch gesprochen. Guðni ist mit einer Kanadierin verheiratet, das Paar hat fünf Kinder. Seinen Austritt aus der katholischen Kirche begründete er mit den Missbrauchsskandalen. Seither führt er als Glaube jenen an die UN-Menschenrechtserklärung an.

Der Nachname Jóhannesson ist in Österreich nicht unbekannt: Guðnis um vier Jahre jüngerer Bruder Patrekur ist seit viereinhalb Jahren Trainer des österreichischen Handball-Herrennationalteams. Er selbst interessiert sich sportlich eher für Fußball – was in Island dieser Tage gewiss nicht unpopulär ist. Auf seinen neuen Job, den er am 1. August antritt, ist er mit historischen Veröffentlichungen über die Finanzkrise von 2008, den legendären Fischereikonflikt mit Großbritannien ("Cod Wars") und über das Amt des isländischen Präsidenten schon jetzt bestens vorbereitet. (Andreas Stangl, 26.6.2016)