"'Chicas Poderosas' denkt darüber nach, was im Journalismus aktuell und global passiert; und darüber, wie wir diese Sachen den Frauen beibringen können, die eine geringe Chance haben, dass ihre Stimmen sonst gehört werden", sagt Gründerin Mariana Santos.

Foto: Kent Hernandez

STANDARD: Sie haben Ihre Karriere beim "Guardian" in London angefangen. Eine Ihrer ersten Aufgaben hatte etwas mit Wikileaks zu tun. Worum genau ging es?

Santos: Ich bin Designerin für interaktive Gestaltung. Im August 2010 wurde ich Praktikantin beim "Guardian". Ich kam damals in das Team von Alastair Dant, der zu dieser Zeit der Entwicklungschef für das Wikileaks-Projekt war. Es war mein erstes journalistisches Projekt. Mein Team musste die Informationen visualisieren, die Julian Assange uns zur Verfügung gestellt hatte. Mein Chef hat dann gemeinsam mit dem Grafikteam des "Guardian", damals geleitet von Michael Robinson, die Datenvisualisierung erstellt. Wir haben versucht, eine Timeline für die Afghan War Diaries und die Iraq War Logs zu erstellen. Jede Menge komplexer Daten musste dafür aufgearbeitet werden. Wir mussten die Informationen so vereinfacht wie möglich darstellen, damit die User die Grafik nur anzusehen brauchten, um zu verstehen, worum es geht. Das hat mir die Augen geöffnet und mir gezeigt, wie viel Macht der Journalismus haben kann.

STANDARD: Wie ging es nach dem "Guardian" weiter?

Santos: Nach drei Jahren bei Alastair Dant – der zu meinem Mentor geworden ist und mich dazu animierte, das Beste aus mir rauszuholen – bot mir das Internationale Center für Journalismus an, nach Lateinamerika zu gehen. Ich konnte ein Projekt meiner Wahl unterstützen. Und ich wollte genau das machen, was mir beim "Guardian" mitgegeben wurde: von jemandem betreut zu werden, der Experte auf seinem Gebiet ist und sein Wissen gerne weitergibt, um andere besser zu machen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass der Journalismus eher eine Männerdomäne ist – in diesem Punkt wollte ich Abhilfe schaffen. Also ging ich nach Lateinamerika und sah, dass sehr viele Frauen im Journalismus tätig sind. Aber kaum eine bekleidet eine führende Rolle in irgendeiner Medienorganisation und schon gar nicht im technischen Bereich. Heute sieht die Sache anders aus, aber vor fünf Jahren war die Geschlechterungleichheit in der Technologie enorm.

STANDARD: So entstand dann Ihr Projekt "Chicas Poderosas"?

Santos: Ja, ich organisierte Lehrstunden – so ähnlich, wie ich es beim "Guardian" tat. Ich lud Vortragende von der "New York Times", aus dem Public-Relations-Bereich ein – Menschen, von denen ich wusste, dass sie in ihrem Fachgebiet gute Arbeit leisten und auch damit einverstanden sind, ihr Wissen weiterzugeben. Es ist nicht leicht, eine gute Kombination zu finden, denn nicht jeder kann Wissen vermitteln. In eineinhalb Jahren habe ich fünfzehn Veranstaltungen dieser Art geleitet. Letztes Jahr erhielt ich dann ein Stipendium für Stanford. Dort entschied ich, mit "Chicas Poderosas" auf eigene Faust weiterzumachen.

STANDARD: Was sind die Ziele des Projekts?

Santos: "Chicas Poderosas" denkt darüber nach, was im Journalismus aktuell und global passiert; und darüber, wie wir diese Sachen den Frauen beibringen können, die eine geringe Chance haben, dass ihre Stimmen sonst gehört werden. Natürlich agieren wir lokal, aber wir arbeiten mit eigenen Botschaftern, damit wir so viele Frauen wie möglich erreichen.

STANDARD: Sind die Journalistenstandards in Lateinamerika dieselben wie in Amerika?

Santos: Wenn wir eine Veranstaltung in Buenos Aires planen, stehen wir starken Frauen gegenüber, die verblüffenden Datenjournalismus betreiben. Vielleicht sogar besser als in den USA. Dann gibt es Events wie in Bolivien, wo das Radio im Fokus steht. Dort mussten wir den Journalisten den Umgang mit Whatsapp, Twitter und Radio-Podcast beibringen.

STANDARD: Könnte so ein Projekt auch auf der Balkanhalbinsel funktionieren?

Santos: Absolut. Wir starteten in Lateinamerika, weil das die Gegend ist, die das IFCJ für das Jahr 2014 gewählt hatte. Ich glaube, dass die Balkanhalbinsel von dem Projekt profitieren würde. Die Frage dabei ist: Wie würde das organisiert werden? Wir sind momentan etwa dreißig Gruppen, diese Gruppen haben Mentoren, in der Regel bis zu fünf. Sie stehen sehr eng in Verbindung zueinander und helfen einander gegenseitig. Ich wäre sehr froh, so ein Projekt auch am Balkan starten zu können.

STANDARD: Was ist das 19-Millionen-Projekt?

Santos: Wir schafften es, über 150 Journalisten aus der ganzen Welt in Rom zu versammeln – hauptsächlich aus Lateinamerika, den USA und Europa. Wir kamen zusammen, um darüber nachzudenken, was praktische Lösungen in der aktuellen Flüchtlingskrise sein könnten.

STANDARD: Was ist Ihre Motivation?

Santos: Bei dem Projekt geht es um Frauen, denen mal gesagt wurde, dass sie es nicht weit bringen. Diese kommen jetzt zusammen und bewirken etwas und zeigen anderen Frauen, dass es doch geht. So, wie ich es ihnen gezeigt habe. Ein Schneeballeffekt, den ich begrüße. (Sandra Čapljak, 28.6.2016)