Auch vor dem ORF-Landesstudio konnte man die Lesungen drei Tage lang verfolgen.

Foto: ORF/Puch Johannes

Klagenfurt – Ada Dorian eröffnete den dritten und letzten Lesetag mit ihrem Romanauszug Betrunkene Bäume. Einmal mehr dieser Tage dreht sich jener um einen älteren Mann. In diesem Fall einen, in dessen Schlafzimmer ein kleiner Wald wächst. Dieser Wald ist, was ihm neben der Tochter vom Leben geblieben ist. Als die den Wald entdeckt, muss er ins Heim. In diese, in Russland ihren Ausgangspunkt genommen habende Familiengeschichte, webt Dorian die einer jungen Russin, die in der Wohnung nebenan campiert.

Viel Anlage, befanden die Juroren. Aber nicht alle waren darüber glücklich. Lobte STANDARD-Redakteur Stefan Gmünder den Text als "fein gearbeitet und fein verknüpft", so war er doch nicht ganz überzeugt. Meike Feßmann war das alles zu umständlich erzählt. Hubert Winkels konnte in dessen symbolischer Dichte gleich gar nicht atmen: Symbolproduktion mit den abgegriffenen Mitteln einer Birkenmelancholik von Tschechow-Inszenierungen, attestierte er.

Sandra Kegel erklärte das Gehölz der Geschichte zu so "funktional" gebaut wie ein IKEA-Regal. Es erinnere sie an einen Heimatroman der 50er Jahre, "aber ich würde ihn nicht per se abwerten." Das amüsierte Klaus Kastberger, der das korrekte Deutsch des Textes lobte und dem auch dessen Melancholie ganz gut gefiel, dem sich aber doch die Frage stellte: Wohin soll es laufen? Dass in Zeiten, in der sich alle Strukturen auflösten, eine konventionelle Erzählweise ein Risiko darstellen könnte, gefiel wiederum Hildegard Keller, die Dorian eingeladen hatte.

Patriarch mit Ei

Ein älterer Mann aus der Souveränität seines Lebens gerissen, begegnete dem Publikum als Herr Gröttrup in Sharon Dodua Otoos Herr Gröttrup setzt sich hin dann gleich noch einmal. Ausgehend von einem Kammerspiel aus dem Alltag eines deutschen Rentnerehepaares, satirisch gesättigt an allerlei Klischees von Gründlichkeit und Ordnung, nahm der Text der in London geborenen und in Berlin lebenden Autorin bald die Perspektive eines widerspenstigen Frühstückseis ein. Dieses bringt die enge, genau getaktete Welt des Patriarchen Gröttrup schwer ins Taumeln. Und beschert damit dessen Frau hämisches Vergnügen. Das Besondere daran: Das Ei verfügt über Bewusstsein.

Dafür war die Jury voll ei-nhelligen Lobes. Von einem stotternden Beginn und beeindruckender Gesamtanlage sprach etwa Winkels. Kastberger attestierte dem "sehr coolen" Text Swing und erinnerte an die Bedeutung des Genres Tischszene im bürgerlichen Roman der Moderne, wo jene oft benutzt werde, um das Bürgertum anzugreifen. Keller hingegen fühlte sich von diesem Setting an die Loriots erinnert. Auch Gmünder ("bei diesen Bachmanntagen herrscht kein Mangel an unsympathischen Männerfiguren") und Steiner ("Kampf der Senilen, die sich in einem großartigen Hass sehr subtil kaputtmachen in diesem Sandkastenkrieg auf dem Frühstückstisch") hatten hörbar großes Vergnügen daran.

Dass das Ehepaar Hubert und Irmi Gröttrup auf historischen Personen beruhe – Gröttrup hat u. a. die Chipkarte erfunden –, wie Kegel, auf deren Einladung die Autorin las, bemerkte, "muss man nicht wissen, aber es steckt eben auch drin".

Die alte Frau und die Angst

Astrid Sozio erzählte als vorletzte Starterin dann in Das verlassenste Land von der Begegnung einer alten Frau mit einem Flüchtlingsmädchen aus Afrika. Aus der Angst und den Ressentiments der Alten entwickelt sich gegen Ende etwas wie Zuneigung.

Nicht nur dafür musste die Autorin harte Kritik einstecken. "Zu eng, zu wenig, zu schematisch", befand Winkels über den Einbruch des Fremden in diesem Fall. Kegel fand den Text als "literarische Rassismusstudie" überhaupt problematisch: "Er trivialisiert das Problem", meinte sie und warnte vor "Kurzschlussliteratur, die so tut, als könnte man an ein paar Stellschrauben drehen und die Welt wird besser". Kritik an seinem allzu einfachen Verlauf und Ausgang äußerte auch Keller und "völlig missglückt im Verhältnis zum Thema" fand ihn Feßmann. Man hätte der Autorin überhaupt von dieser Konstruktion abraten müssen, meinte sie.

Juri Steiner, der Sozio eingeladen hatte, erkannte in dem Text, der ihn an Collagen Hannah Höchs erinnert, hingegen "Aufklärerisches". An diese Absicht glaubte Kastberger zwar ebenso, doch nicht daran, dass ihm das gelinge. Die Häufigkeit des Wortes Neger im Text war für ihn zudem eine "auffällige Provokation", von der er nicht wisse, wozu.

Lebenskünstler in der Wüste

Viel zufriedener waren schließlich alle bis auf Hubert Winkels mit dem Schlusstext des heurigen Bewerbs, Dieter Zwickys Los Alamos ist winzig. Die nur acht Seiten handeln von einem Schweizer Ingenieur, der mit seiner Frau in Los Alamos lebt. Doch während er – er hat ihr nicht gesagt, dass er von seinem Krebs wieder geheilt ist – sich dort eines lockeren Lebens freut, schafft seine Frau den Arbeitstag nicht ohne Weißwein am Abend.

Seine Frau, seine Brieftasche oder sein Gletscherseil würde er dem Erzähler deshalb nicht anvertrauen, verkündete Gmünder, fand aber sonst Gefallen an dem "etwas irren Erzähler" (Feßmann). Auch Keller gefiel dieser "Text, der ohne erzählerisches Zentrum das eine aufs andere baut." Für Steiner tut er dies "wie ein Zauberkünstler, der einen mit einer Hand ablenkt, um mit der anderen den Trick zu machen." Auch Kastberger spürte diesen Zauber, fand aber nicht nur den Text "faszinierend", sondern zudem nicht minder viel Freude an Zwickys Vortrag. Sollte er den Weltuntergang jemals erleben, wollte er, dass dieser von einem Schweizer kommentiert werde, so der Grazer.

Preisaussichten

Mit dem heutigen Tag ist der Kreis der Favoriten für die Preise des Wettbewerbs um Sharon Dodua Otoo und Dieter Zwicky gewachsen. Ebenso überwiegend gut abgeschnitten haben an den Vortagen Stefanie Sargnagel, Mario Dinic, Isabelle Lehn und Julia Wolf. (wurm, 2.7.2016)