Neuer Top-Chinese auf der Linken Wienzeile: Sichuan-Küche der Extraklasse.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Gedämpfte Muscheln, eine Kombination aus Austern, Vongole, Messer- und Miesmuscheln, wird nur für wenige Sekunden erhitzt.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Zhang Fa Jun ist Meisterkoch aus Luzhou am Jangtsekiang und der Mann, der die große, von Gewürzen schillernde Küche Sichuans in bislang ungekannter Qualität nach Wien gebracht hat. Bis vor wenigen Wochen war er im "No. 27", ebenda in der Ungargasse, zu Hause, jetzt hat Zhang ein neues Restaurant in unmittelbarer Nähe zum Naschmarkt, an der Wienzeile. Damit ist ein weiterer Qualitätssprung einhergegangen, auch (aber nicht nur) bei den Grundprodukten.

Zhangs Partner ist nämlich Jonny Cheng, der an dieser Adresse zuvor eine Fischhandlung mit angeschlossenem Restaurant hatte. Da gab es Meeresfrüchte in herausragender Frische, aber mäßig inspiriert zubereitet. Mit dem neuen Koch ändert sich das, gleichzeitig sorgen die Kontakte Chengs zu den Fischhändlern der oberen Adria dafür, dass man sich neben den Großartigkeiten der sichuanesischen Küche (viele davon Innereien) auch auf fantastisch frische Meeresfrüchte freuen darf – zu Kampfpreisen.

Der Rahmen ist auch gewinnender als das spartanische Ambiente an Zhangs vormaliger Wirkungsstätte. Der beste Platz ist auch hier am runden Tisch mit Drehplatte. Man kann es nicht oft genug sagen: Diese Art von Küche lässt sich nur in größerer Runde in ihrer ganzen Spannkraft und Finesse erleben. Das Prinzip heißt Teilen: viel bestellen, alles gemeinsam essen, irgendwann nach Stunden pappsatt und unbeschwert von dannen ziehen.

Roh marinierte Kaisergranate zum Beispiel, der Länge nach geteilt, mit Ingweröl beträufelt: wunderbar süß, saftig, pures Glück an einem heißen Tag. Gedämpfte Muscheln (siehe Bild), eine Kombination aus Austern, Vongole, Messer- und Miesmuscheln, wird nur für wenige Sekunden erhitzt, sodass das Fleisch noch prall und saftig ist. Drauf kommt knusprig frittierter Ingwer, Chili, gehackter Rosmarin – sieht toll aus, setzt unterhaltsame Konsistenzkontraste, schmeckt sehr gut.

Meeresfrische

Steinbutt im Ganzen (Nr. 3) wird gedämpft und – wie sonst in Sichuan Karpfen – mit brennheißem Öl, geröstetem Knoblauch, Sojasauce, in hauchdünne Streifen geschnittenem Jungzwiebel, Ingwer, Paprika bedeckt – großartig und um 19,80 Euro eine Mezzie. Und noch einmal Meeresfrüchte, bevor es an die Innereien geht: Mit der Haut frittierte Garnelen (W32), außen knusprig, innen von draller Saftigkeit, mit Salz, Pfeffer, Chili und Jungzwiebel bestreut. Die hauchdünne Haut ist knusprig und, wie stets bei Krustentieren, der eigentliche Geschmacksträger – unbedingt mitessen!

Bei den Innereien gibt es im Vergleich zur Ungargasse nur wenige Neuerungen, deshalb in aller Kürze: so zugänglich, so vielschichtig gewürzt, so makellos frisch bekommt man die wirklich argen inneren Werte sonst nirgends serviert. Blättermagen, der delikateste, am schwersten zu putzende (bei uns deshalb kaum je servierte) Teil der Kutteln, wird hauchdünn geschnetzelt und mit ebenso fein geschnittener, gesottener Zunge in einer frischen, kühlen, scharfen Sauce als Salat (KV3) aufgetragen – wilde Kombination, macht sehr glücklich. Oder Schweinsnieren (W9) mit viel Gemüse, ganz kurz und mit zahllosen Gewürzen im Wok behandelt: von geradezu schaumiger Zartheit, herrlich. Und erst W14, Schweinsdarm mit fermentiertem Gemüse: blitzsauber im Geschmack, in seiner virtuosen Würzkombination (grandioser Sichuan-Pfeffer!) von geradezu psychedelischer Kraft – das will man haben, immer wieder. Dass die Weinauswahl sehr eng ist, kann man verschmerzen: Zu Essen dieser Art wünscht man sich eh ein Bier. (Severin Corti, RONDO, 8.7.2016)