"Das Wort schwul wird auch in anderen Bereichen abwertend verwendet. Im Fußball geschieht dies jedoch offener und ist ein fest integrierter Bestandteil der Sprachkultur", sagt der Kultur- und Sozialanthropologe Stefan Heissenberger.

Foto: Heissenberger

STANDARD: Nehmen Sie den Fußballplatz als einen homophoben und sexistischen Ort wahr?

Heissenberger: Ja und nein. Fußball ist durch und durch heteronormativ geprägt, was auch mit Homophobie und Sexismus einhergeht. Durch seine Größe bietet er aber auch Möglichkeiten, sich alternative Nischen zu suchen. Zudem kann der Fußball, wie die Ethnologin Almut Sülzle herausgefunden hat, auch ein Raum sein, um einen gewissen Geschlechtskonformismus temporär hinter sich zu lassen. Weibliche Fans können im Stadion ihre männlich konnotierte Seite ausleben, wenn sie ihren Lieblingsverein anfeuern oder fluchen. Ein Mann wie David Beckham wiederum ist durch den Fußball so in seiner Männlichkeit geerdet, dass er Ohrringe und Damenunterwäsche tragen kann, ohne als schwul zu gelten.

STANDARD: Es gibt jedoch eine Tradition offener homophober Aussagen im Profifußball.

Heissenberger: Das stimmt, hat in den letzten Jahren aber auch etwas abgenommen. Man muss aber sehen, dass Homophobie ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Das Wort schwul wird auch in anderen Bereichen abwertend verwendet. Im Fußball geschieht dies jedoch offener und ist ein fest integrierter Bestandteil der Sprachkultur. Jeder Pass, der zu schwach gespielt wird, ist ein schwuler Pass. Verlorene Zweikämpfe sind schwule Zweikämpfe.

STANDARD: Sport gilt in der Männlichkeitsforschung als einer der Hauptorte für die Definition von Männlichkeit. Was haben Sie in Ihrer Forschung dazu herausgefunden?

Heissenberger: Dass ein enger Zusammenhang zwischen Fußball und Männlichkeit besteht, ist mittlerweile Allgemeingut in der Wissenschaft. Mich hat vor allem interessiert, wie Männlichkeit hergestellt wird. Dafür habe ich einige Monate selbst bei zwei Amateurteams mitgespielt. Im Rahmen meiner Forschung habe ich fünf Aspekte herausgefunden, an denen sich Männlichkeit kristallisiert. Je mehr man dem entspricht, umso mehr Anerkennung hat man im Team. Das ist zum einen ganz banal, über Leistung definiert. Ein zweiter Aspekt ist Heterosexualität. Sie stellt eine implizite Annahme dar, wird wie selbstverständlich bei jedem Spieler vorausgesetzt. Hinzu kommt der Aspekt der Abgrenzung. Diese erfolgt gegenüber dem Gegner, dem Schiedsrichter und auf einer symbolischen Ebene, in Form von abwertenden Kommentaren, gegenüber Frauen und Schwulen.

Damit zusammenhängend ist der Aspekt der Inszenierung zu sehen. Jede Abwertung kann auch vor dem Publikum, den Mitspielern oder den Gegnern einen Performance-Charakter aufweisen, eine Möglichkeit, seine Männlichkeit darzustellen. Den letzten Punkt fasse ich als Entgrenzung von Gewalt gegen sich selbst und gegen andere. Beim Fußball geht man über die eigenen Schmerzgrenzen. Das wird auch vom Team gefordert, oft über die "Schiene" der Infragestellung der Männlichkeit. Zudem ist der Sport eines der letzten legitimen Felder, wo man in Grenzen auch noch gewalttätig sein kann. Hier gibt es, was ich auch bei mir selbst spüre, eine gewisse Lust an Körperlichkeit, am Zweikampf, am Foul.

STANDARD: Was war das Erstaunlichste, worauf Sie im Zuge Ihrer Forschungen gestoßen sind?

Heissenberger: Politisch am bedeutsamsten ist wohl der Aspekt, dass die Praxis keineswegs so trist ist, wie es JournalistInnen und WissenschafterInnen bislang annahmen. Zwar ist im heteronormativen Fußball eine homophobe Sprache fest verankert. Die meisten von mir beforschten Amateurspieler würden einem Coming-out aber neutral gegenüberstehen. Einige erzählten mir sogar, dass sie vor einem offen schwulen Fußballer besonders viel Respekt hätten, weil dieser sich einer potenziell schwierigen Situation stellen würde. Die Spieler in den schwulen Teams haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Von den wenigen, die sich in ihrem Hetero-Team geoutet hatten, hatten einige neutrale bis positive Erfahrungen. Ein Spieler hat mir jedoch auch erzählt, dass ihn sein Trainer rausgeschmissen hat, nachdem er ihm gesagt hatte, dass er schwul sei. Es gibt beim Fußball also eine große Spannbreite an Erfahrungen und Vorstellungen, was das Thema schwule Kicker betrifft. Das Post-Karriere-Coming-out von Thomas Hitzlsperger wird aber vermutlich einen Beitrag für einen offeneren Fußball leisten.

Ein weiterer interessanter Aspekt meiner Forschung zu schwulen Teams ist, dass sie sehr konventionell sind. Von außen betrachtet würde man meistens gar nicht bemerken, dass man einer schwul geprägten Mannschaft beim Kicken zuschaut. Vieles ist hier so wie in den Hetero-Teams. Ein paar Unterschiede machen sich erst in der Innensicht bemerkbar, wenn es etwa eine Beziehung zwischen zwei Spielern in einem Team gibt, man über seinen Freund und nicht über seine Freundin spricht oder der sexualisierte Humor schwule Themen aufgreift.

STANDARD: Die Tradition schwuler Fußballvereine gibt es in Deutschland und England, aber nicht in Österreich. Warum ist das so?

Heissenberger: In Österreich gibt es ein paar queere Sportvereine, aber es gibt kein schwules Fußballteam. Warum das so ist, weiß ich nicht. Ein Grund könnte darin liegen, dass solche Vereine ein urbanes, eher großstädtisches Phänomen sind und sich vielleicht deshalb eher in Ländern wie Deutschland und Großbritannien etablieren konnten. Schwule Fußballteams haben sich Ende der 1980er-Jahre aufgrund von Ausgrenzungserfahrungen gegründet. Wichtig war ihnen auch, dem Vorurteil entgegentreten, Schwule könnten nicht Fußball spielen. Bis heute ist der Aspekt der Inklusion daher auch ein wesentliches Merkmal schwuler Fußballteams. Das heißt, sie sind offen für alle schwulen Kicker, relativ unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit. Damit soll gewährleistet werden, dass jene, die für sich keinen Platz in einem Hetero-Team sehen oder aus diesem geworfen wurden, einen sicheren Raum finden, in dem sie ihrer sportlichen Leidenschaft nachgehen können. Manche berichteten auch, dass sie keine Lust hätten, offen schwul in einem Hetero-Team zu spielen, weil alles, was sie tun würden, immer auf ihre sexuelle Identität rückgeführt werden würde. Andere wiederum finden es einfach angenehm, sich in einer Gruppe von mehrheitlich – es gibt auch einige Heteros in solchen Teams – Schwulen aufzuhalten, weil man gewisse Lebensrealitäten teilt.

STANDARD: Was macht die Sogwirkung von Männerfußball aus?

Heissenberger: Es ist eine sehr einfach nachzuvollziehende Sportart, man kann im Prinzip auch mit einer Dose spielen. Gleichzeitig ist es ein fast globales Spektakel. Seitdem sich Fußball als wichtigste Sportart etabliert hat, ist er wie die Sonne, um die viele gesellschaftliche AkteurInnen kreisen. Alle wollen etwas von dem Licht abhaben, Teil des Ganzen werden und von ihm profitieren. Ich habe kürzlich ein Interview mit einem Handball-Funktionär gelesen, der sagte, für ihn sei es viel schwieriger, Jugendliche zu finden, die den Sport machen. Jugendliche wollen lieber Cristiano Ronaldo oder Lionel Messi sein als ein Handballer. Für viele Männer hat Fußball mitunter auch den Reiz, sich hier eine Männlichkeit zu erspielen. Wenn man ein Fußballer ist oder ein Zuschauer mit Fachwissen, bekommt man Männlichkeit "vorauseilend" zugeschrieben.

STANDARD: Im Vergleich dazu Frauenfußball. Die Ökonomie der Aufmerksamkeit ist hier viel geringer, zumindest in Europa.

Heissenberger: Die Hierarchisierung macht sich ja allein schon in der Semantik fest. Auf der einen Seite gibt es die Norm, den Fußball, auf der anderen Seite die Abweichung, den sogenannten Frauenfußball. Der ehemalige Fifa-Präsident Joseph Blatter hat vor ein paar Jahren gesagt, die Zukunft des Fußballs wird weiblich sein. Was die Anzahl an Spielerinnen und Zuschauerinnen betrifft, so ist gegenwärtig hier schon ein beträchtlicher Anteil zu verzeichnen. Was die Aufmerksamkeitsökonomie und damit zusammenhängt finanzielle Aspekte betrifft, habe ich meine Zweifel, ob sich hier "Fußball" und "Frauenfußball" angleichen werden. (Christine Tragler, 7.7.2016)